Mediengenealogie. Eine medientheoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Mediums

Medienhistorische Annäherungen und Überlegungen zu einer performativen Ästhetik.


Bachelorarbeit, 2013

40 Seiten, Note: 1,3 (sehr gut)

angehender B.A. Medienwissenschaft/Medienpsychologe Isa Taspinar (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung - Eine erste Annäherung

2. Der Medienbegriff aus wissenschaftshistorischer Perspektive
2.1 Die Verwendungsweisen des Medienbegriffs
2.2 Der lexikalische Bedeutungswandel Medienbegriffs

3. Der Medienbegriff in der Wahrnehmungslehre des Aristoteles
3.1 Das Wahrnehmungsgeschehen im aristotelischen Wahrnehmungsmodell
3.2 Die Funktion des Mediums
3.3 Die Notwendigkeit des Mediums für den Vorgang der Rekonstitution

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Unsere Gesellschaft ist eine Mediengesellschaft, unsere Welt ist in all ihren Facetten medialisiert“2 - mit diesen Worten beginnt Stefan Münker sein Vorwort in seinem Sammelband Was ist ein Medium? und führt dabei von Anfang an rigoros die ubiquitäre Verwendung des Medienbegriffs ein. Betrachtet man sich im Zuge der Entwicklung der gegenwärtigen Informationsgesellschaft diesen Standpunkt, so entsteht im ersten Hinblick der Eindruck, dass wir tatsächlich von Medien umgeben sind.3 Medien bestimmen unser Alltag, wir kommunizieren mit Medien und lassen uns durch Medien stets informieren. Die Übertragung und Aufbewahrung von Wissen und Information geschieht durch Medien, ja selbst in der Industrie werden Konsumgüter durch Medien geschaffen.4 In der Tat scheint die Präsenz der Medien in unserem Lebensumfeld und in der Gesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen, wie sich das besonders bei historischen Ereignissen wie der französischen Revolution bemerkbar gemacht hat. Denn nicht zuletzt ist unter diesem Aspekt die französische Revolution ein wichtiges Medienereignis der neuzeitlichen Geschichte gewesen, bei dem das Medium bzw. eben die Medien die beste Möglichkeit dargeboten haben, Propaganda zu betreiben und eine Volksbewegung zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere Jürgen Habermas, der die Relevanz der Medien in einer revolutionären Umgestaltung wissenswert umreißt.

Die französische Revolution wurde [...] zum Auslöser eines Politisierungsschubes einer zunächst literarisch und kunstkritisch geprägten Öffentlichkeit. Das gilt nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland. Eine »Politisierung des gesellschaftlichen Lebens«, der Aufstieg der Meinungspresse, der Kampf gegen Zensur und für Meinungsfreiheit kennzeichnen den Funktionswandel des expandierenden Netzes öffentlicher Kommunikation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.5

Wie kaum ein anderes historisches Ereignis hat die französische Revolution die Geschichte der Moderne geprägt und nicht zuletzt war das Medium dabei der Schlüssel zu einer modernen Demokratie. Doch im Unterschied zum allgemeinen Sprachgebrauch der Medien, wo die materielle Präsenz der Medien wie z.b der technischen Medien für die Vermittlung von Information im Vordergrund steht, hat der terminologische Gebrauch des Medienbegriffs eine weitaus größere Bedeutung. Wie wir in dieser wissenschaftlichen Abhandlung zur Geschichte des Medienbegriffs noch sehen werden, unterzieht sich der Medienbegriff einem ständigen Bedeutungswandel im Spannungsfeld der älteren und modernen Medientheorien. In einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise durch die aristotelische Wahrnehmungstheorie, weist Dieter Mersch auf das weite Bedeutungsfeld des Medienbegriffs hin und das man bereits mit Medium schon früh physikalische Grundstoffe wie Luft und Wasser bezeichnete.6 Der Medienbegriff hat sich seit seiner Übernahme aus dem lateinischen als deutsches Lehnwort erst im 17. Jahrhundert allmählich verbreitet, wie sich das bei Merschs Medientheorien zeigen lässt.7 Die Wortbedeutung von Medium hat sich durch die unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen und historischen Verzweigungen dermaßen vervielfacht, dass eine einheitliche Bestimmung des Ausdrucks von Medium unter einer begriffsgeschichtlichen Analyse kaum möglich ist. Denn bis heute ist durch die stetige Entwicklung der technischen Apparate wie der elektronischen Massenmedien und neuer Kommunikationstechniken eine Welt entstanden, in der die Fäden des medialen fast nicht mehr sichtbar sind. Sowohl die Geistes- als auch die Medien und Kommunikationswissenschaftler haben sich diesem Problemfeld angenommen, darunter auch Marshall McLuhan, der freilich zu den wichtigsten Medienforschern gehört. Mit einem ersten Vergleich zu McLuhans Ansatz, dass das Medium die Botschaft sei, hebt Stefan Hoffmann diese These im Gegensatz zu den Instrumentalisten besonders hervor.

Die Instrumentalisten unter den Medienwissenschaftlern - vor allem diejenigen, die einem simplen Kommunikationsmodell anhängen, wonach ein Medium der reibungslosen Übermittlung von Botschaften dient - haben einen Namhaften Gegner: Marshall McLuhan. [...] ihn interessiert die Entstehung der von Kommunikation genauso wenig wie der Inhalt eines vom Medium angeblich nur weitergeleiteten Informationspakets. Er richtet seinen analytischen Blick vielmehr auf die Medieneigenschaften, die unabhängig von den vermittelten Inhalten wirksam werden und betreibt somit eine Medienwirkungsforschung, die aufs Ganze geht.8

Mcluhan eröffnet somit das Feld für eine wissenschaftliche Untersuchung des Medienbegriffs und etabliert für die nachfolgenden Jahre eine sehr bedeutende medientheoretische Fragestellung. Zunehmend entwickelte sich durch die Ausweitung des Medienbegriffs in den unterschiedlichen Teilwissenschaften, ja so könnte man sagen, eine eigenst ä ndige Disziplin, nämlich die akademische Institutionalisierung der Medienwissenschaften.9 Der wissenschaftliche Diskurs des Medienbegriffs orientiert sich dabei an medientheoretischen Erklärungsversuchen und Überlegungen von unterschiedlichen Positionen. Dazu zählen z.b literaturwissenschaftliche, kommunikationswissenschaftliche, philosophische und medienwissenschaftliche Ansätze, wodurch von Anfang an mit der wissenschaftlichen Erörterung des Medienbegriffs eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs beginnt.10 Die Bestimmung des Medienbegriffs scheint mit dem Aufkommen zahlreicher Vereindeutigungen unübersichtlich zu werden, weshalb seine historische Betrachtung unumgänglich ist.11 In erster Anlehnung an das Buch von Dieter Merschs Medientheorien will die vorliegende Bachelorarbeit versuchen, durch eine medienhistorische Annäherung auf die Ursprünge des Medienbegriffs einzugehen und die wichtigen Bedeutungsvarianten und Verwendungsweisen aufzulisten. Das diese Arbeit zur Begriffsklärung historisch verfährt, hat im wesentlichen eine wichtige Funktion. Sie soll uns dabei helfen, die wissenschaftliche Debatte über die Geschichte des Medienbegriffs klarer zu gestalten und im Klärungsversuch wichtige historische Befunde zur Bestimmung des Medienbegriffs zu geben. Um wesentliche Verständnisprobleme und Verwirrungen zu vermeiden, werden zunächst durch einen einführenden Teil zur Begriffsgeschichte unterschiedliche Verankerungen und Verwendungsweisen des Medienbegriffs gesichtet, die sich geschichtlich erfassen lassen und für eine begriffsgeschichtliche Analyse des Medienbegriffs unerlässlich sind. Unter besonderer Berücksichtigung der Dissertation von Stefan Hoffmann will die vorliegende historische Untersuchung auch versuchen, lexikalische Arbeit zu leisten und einen Überblick über die Bedeutungsvarianten aus deutschen historischen Wörterbüchern zu geben, die für die Bedeutungsentwicklung von Medium im deutschen Sprachgebrauch sehr wichtig sind.12. Nicht zuletzt spielt zudem die Wahrnehmungslehre des Aristoteles auf der Grundlage dieser begriffsgeschichtlichen Darstellung eine besonders wichtige Rolle, weshalb der zweite Abschnitt, also das 3. Kapitel in besonderer Sorgfalt dem aisthetischen Medienbegriff gewidmet ist. Gleichwohl haben wir es hier mit einer geschichtlich sehr wichtigen Verwendungsweise des Medienbegriffs zu tun, weshalb es an dieser Stelle angemessen erscheint, speziell im Zusammenhang mit Hoffmanns beeindruckenden Ausführungen zur antiken Aisthesislehre zu arbeiten. Dabei stellt auch er die überaus bedeutende Wichtigkeit des aisthetischen Medienbegriffs dar: „Gerade der aisthetische Medienbegriff muß [sic!] in einer historischen Untersuchung zum Medienbegriff ausgestellt werden, denn er bildet die Grundlage einer wichtigen und wirkungsmächtigen Verwendungstradition von Medium im Deutschen.“13 Im Rahmen einer solchen begriffsgeschichtlichen Erforschung ist es daher unbedingt notwendig, auf spezifische Aspekte der aristotelischen Wahrnehmungstheorie hinzuarbeiten und besondere Grundzüge im Wahrnehmungsgeschehen in der Begriffsgeschichte zu berücksichtigen. Im Unterschied zu anderen wissenschaftlichen Arbeiten in denen die Autoren nur auf wichtige Verwendungsweisen des Medienbegriffs hinweisen, wird im dieser Untersuchung auf weitaus bedeutendere Funktionen des Medium Rücksicht genommen, um auf diese Weise eine umfassendere begriffsgeschichtliche Darstellung zu ermöglichen. Die wesenhafte Eigenart und Aufgängigkeit des aisthetischen Medienbegriffs vermittelt nämlich geradezu erstaunliche Informationen über die Bedeutung des Mediums, sodass die wichtigsten und wesentlichen Grundzüge der Aristotelischen Wahrnehmungslehre den Hauptteil dieser Untersuchung bilden.14 Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit ist es somit, in einer begriffshistorischen Untersuchung über den Gebrauch des Ausdrucks von Medium zu sprechen und wesentliche Verwendungsweisen des Medienbegriffs in der Begriffsgeschichte aufzuzeigen. Der im Titel erwähnte Begriff der performativen Ästhetik soll keineswegs Verwirrung stiften. Vielmehr soll mit dem Begriff des performativen auf die begriffliche Dynamik und den Bedeutungswandel des Medienbegriffs hingewiesen werden. Ferner gewinnt die Frage zur Bestimmung des Medienbegriffs angesichts seiner Verwendung im deutschen Sprachgebrauch und in der gegenwärtigen Begriffsdiskussion zunehmend an Bedeutung. Und nicht zuletzt ist dies ein wichtiger Grund dafür, den Leser dieser vorliegenden Untersuchung mit der Begriffsentwicklung und der Vieldeutigkeit von Medium zu konfrontieren und auf den Geschmack einer wissenschaftshistorischen Perspektive zu bringen. Ein abschließendes Resümee bildet den Schlussteil dieser Arbeit.

2. Der Medienbegriff aus wissenschaftshistorischer Perspektive

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Genese des Medienbegriffs ist aus wissenschaftspolitischer Sicht nicht immer ganz einfach. Angesichts der Tatsache, dass die Exploration der Kommunikations- und Massenmedien in den verschiedenen Disziplinen der Medienforschung sukzessiv an Bedeutung gewinnt, macht sich in der aktuellen Begriffsdiskussion ein kritisches Verhältnis zwischen den Vertreten der geistes- und der sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft bemerkbar.15 Und zweifelsohne wird der Medienbegriff zwischen diesen beiden Wissenschaften auch inhaltlich anders thematisiert, wie es in den einführenden Werken unabweisbar hervortritt. Ein solches Medienverständnis findet sich auch in den dreizehn Vortr ä gen zur Medienkultur, in dem besonders Knut Hickethier die Abgrenzungen in der Medienforschung wirkungsvoll darstellt.16 Folgt man seinen Ausführungen zur Frage nach der Medienwissenschaft, so wird man die Abgrenzungsbem ü hungen zwischen der Publizistik und der Medienwissenschaft wahrnehmen müssen, die sich mehr oder weniger durch einige wissenschaftspolitische Fehden voneinander abgrenzen.17 Der Hinweis auf die Verselbständigung zweier Disziplinen ist hier ein notwendiger: Denkt man nur einmal daran, dass durch mehrere Disziplinen in der Medienforschung sich auch die Vieldeutigkeit des Medienbegriffs ausweitet. Aus diesem Grund ist es erforderlich, sich dem Medienbegriff aus dem historischen Umfeld zu nähern und aus wissenschaftshistorischer Perspektive wichtige Verwendungsweisen und Bedeutungsvarianten aufzuzeigen.

2.1. Die Verwendungsweisen des Medienbegriffs

Der Begriff des Mediums ist heute in unserer Mediengesellschaft allgegenwärtig geworden. Denn stellt man sich die Frage, was wohl mit Medium gemeint ist, so sprechen die meisten von technischen Apparaten oder elektronischen Medien die in die Kategorie der Massenmedien fallen. In die Bedeutung dieses Ausdrucks fließen jedoch auch andere Beobachtungen aus der Antike mit ein, die das gewaltige Potenzial des Medienbegriffs erkennen lassen. Das besondere dabei ist, dass der Ausdruck seit seinem Erscheinen in dem deutschen Sprachgebrauch einige wichtige Veränderungen durchgemacht hat. So gibt es eine führende Bedeutung des Ausdrucks, die zum ersten mal bei Aristoteles in seinem Werk De Anima auftaucht, worin er die Beziehung zwischen unseren Sinnesorganen und den Wahrnehmbaren Qualitäten von Dingen erläutert.18 Vielmehr ist damit gemeint, dass das wahrnehmbare Ding nur dann gesehen, gerochen und gehört werden kann, wenn ein Medium sie an uns vermittelt.

Für jetzt ist soviel klar, daß [sic!] das, was im Licht gesehen wird, Farbe ist. Daher wird Sie auch nicht ohne Licht gesehen; denn dies war das Sosein der Farbe, nämlich das Durchsichtige in Wirklichkeit bewegen (erregen) zu können. Die Vollendung des durchsichtigen ist das Licht. [...] Wenn nämlich jemand das farbige Objekt auf das Auge legt, so wird er es sehen. Vielmehr bewegt die Farbe das Durchsichtige, z.B. die Luft, und durch dieses (Medium) [Hervorhebung durch Vf.], das kontinuierlich ist, wird das Sinnesorgan bewegt (erregt). [...] Das Sehen geschieht ja, indem das Wahrnehmungsfähige etwas erleidet. Unmöglich jedoch durch die sichtbare Farbe selbst. So b l e i b t also nur übrig, daß [sic!] es durch das Medium geschieht, so daß [sic!] es notwendig ein Medium geben muß [sic!]. Wenn dieses leer wird, so wird nicht nur nicht deutlich, sondern überhaupt nichts gesehen.19

Aristoteles versucht dadurch zu beschreiben, dass zwischen dem Wahrnehmenden und dem farbigen Wahrnehmungsgegenstand ein Medium liegen muss, dass die Vermittlung des Wahrnehmbaren Gegenstands oder des Objekts erst ermöglicht und somit sichtbar macht. Die Luft, also hier das Medium, wie Aristoteles hier beschreibt, ist demnach eine unsichtbare Substanz, dass die Vermittlung eines Gegenstands im Wahrnehmungsvorgang an unser Sinnesorgan ermöglicht. Das Medium ist dabei eine vermittelnde Instanz, die zwischen Auge und Objekt liegt. Im Rahmen dieser Verwendungsweisen des Medienbegriffs weist auch Dieter Mersch auf die mediale Bedingtheit des Dritten hin.

Als philosophischer Begriff wiederum bildet diese Wortbedeutung von Medium die lateinische Übersetzung des » metaxu «, dass an prominenter Stelle in der »Aisthesislehre« von De Anima auftaucht. Denn nach Aristoteles bedarf es hinsichtlich des Sehens eines »Dritten«, das dem Auge allererst erlaubt, »etwas« zu sehen; dieses »dritte« schiebt sich folglich »zwischen« Auge und Gegenstand und gestattet die Vermittlung beider. Der Gedanke folgt der Einsicht, dass jedes wahrgenommene sich dem Wahrnehmenden mitteilen muss, so dass eben ein »Drittes« anzunehmen ist, wofür Aristoteles behelfsweise den Schwer zu übersetzenden Ausdruck » m e t a x u « einsetzte, den er mit Bezug an ältere Wahrnehmungslehren auch Diaphane oder »Durchscheinende« nannte.20

Die Wahrnehmungstheorie von Aristoteles gründet somit die Erkenntnis des Vermittlungsmediums, wobei sich seine Wahrnehmungstheorie erst im Mittelalter langsam durchsetzte.21 Zu dem existieren weitere Modelle zur Wahrnehmung der Objekte, die die Entstehung der Vermittlungsinstanz jedoch aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten:

Platon sieht in seiner Theorie des Gesichtssinns zwar ein Medium zwischen Sinnesorgan und Objekt vor, diese Vermittlungsinstanz [Hervorhebung durch Vf.] entsteht aber erst im Moment der Wahrnehmung durch die Vereinigung von Sehstrahlen, die aus dem Auge treten, mit dem Tageslicht. In dieser Vorstellung existiert das Medium nicht unabhängig vom Sinnesorgan, sondern lediglich als dessen Fortsatz und als Instrument des wahrnehmenden Subjekts. Das gilt gleichermaßen für das Modell der Stoiker, demzufolge ein Medium erst durch das Zusammenspiel von Licht und dem sogenannten Pneuma aktiviert wird, das vom Sitz des Bewusstseins ins Auge fließt und von dort aus die benachbarte Luft erregt.“22

Infolgedessen halten sich diese beiden Modelle aus der Antike an subjektabhängigen Vermittlungsinstanzen fest. Im Vergleich zur aisthetischen Wahrnehmungslehre entsteht bei Platon die Vermittlungsinstanz, also das Medium, erst im Prozess der Wahrnehmung. Vielmehr wird durch unser Sinnesorgan selbst das Medium aktiviert. Die aristotelische Wahrnehmungslehre plädiert dagegen auf ein Subjektunabhängiges Modell, in dem sich etwas zwischen Subjekt und Objekt schiebt, stets vorhanden ist und folglich die Wahrnehmung erst ermöglicht:

Das aristotelische Modell des Sehens - oder vielmehr des Sichtbaren - setzt dagegen drei subjektunabhängige Bedingungen für das Sehen: ein farbiges Objekt, ein Vermittlungsmedium und das Licht. [...] In dieser Theorie des Gesichtsinnes spiel also - im Gegensatz zu den übrigen Vorstellungen der griechischen Antike - das Medium eine wichtige Rolle, denn sein Vorhandensein ist für das Sehen absolut notwendig. Ohne ein Medium und bei direktem Kontakt zum Wahrnehmungsgegenstand, so der aristotelische Befund, sehe man schlecht und einfach ü b e r h a u p t nichts.23

Ohne ein Medium ist die Sinneswahrnehmung nicht möglich. Um etwa ein Gegenstand wahrnehmen zu können, brauchen wir ein Element, dass sich in der Mitte hält, so wie es Fritz Heider in seinem Aufsatz Ding und Medium erwähnt. Haider konzentriert sich dabei jedoch nicht wie die älteren Theorien des Gesichtssinnes auf die Sinnesorgane, sondern beschränkt sich vielmehr auf den Raum der Dinge.24 Unsere Wahrnehmung ist so aufgebaut, dass wir gewissermaßen Gegenstände und Vorgänge Wahrnehmen, ohne uns selbst dabei zu hinterfragen, wie das ganze überhaupt geschieht. Es ist in unserem Leben zu einer Gewohnheit geworden, dass wir diesen Tatbestand so hinnehmen. Doch nach Heider muss es irgendetwas geben, dass uns das Erkennen, das Sehen oder hören ermöglicht und somit Vermittlungsarbeit leistet.

Irgendetwas überträgt sozusagen Signale, vermittelt zwischen dem Erkennenden und dem Objekt des Erkennens und ermöglicht Sinneseindrücke, die den Erkennenden Dinge in seiner weiteren Umgebung hören, sehen, riechen, also wahrnehmen lassen. Dieses Vermittelnde nennt Heider ›medium‹. Er bezeichnet damit in erster Linie Elemente wie Luft oder Wasser [Hervorhebung durch Vf.], die den Raum zwischen dem Objekt und dem Erkennenden füllen, ihn erkennen lassen und das Erkennen dabei möglichst wenig beeinträchtigen.25

Das Medium, dass unbestimmt in einem Raum liegt, wird auch bei Platon durch seinen Begriff des Chora auf die gleiche elementare Ebene gelegt. Diese Begrifflichkeit entstand während eines Dialogs von Platon mit Timaios zu seiner Rede über das All oder die Entstehung der Erde.26 Dieser Terminus bezeichnet dabei einen unbestimmten Raum, der nicht einheitlich kategorisiert werden kann und zudem auch nicht zugänglich ist.27 Verglichen mit den vorangegangenen Modellen und Beschreibungen lassen sich gewisse Ähnlichkeiten, ja sogar identische Eigenschaften erkennen. Auch Julia Kristeva spricht in ihrem Werk Die Revolution der poetischen Sprache über die Chora und markiert diese Begrifflichkeit als eine Raum, der eine logische Deduktion nicht zulässt.

Den Terminus chora entlehnen wir Platons Timaios; er soll eine noch ganz provisorische, im wesentlichen mobile Artikulation kennzeichnen, die aus Bewegungen und deren flüchtigen Stasen besteht. [...] doch an sich geht die chora als Einschnitt und als Artikulation - als Rhythmus - der Evidenz und der Wahrscheinlichkeit, der Räumlichkeit und Zeitlichkeit voraus. Unser Diskurs - der Diskurs ganz allgemein - läuft ihr zuwider, das heißt, er beruht auf ihr, doch gleichzeitig setzt er sich von ihr ab, da die chora zwar bezeichnet und reguliert werden, aber nie endgültig hergestellt werden kann - so daß [sic!] sie sich wohl ermitteln und gegebenenfalls mit Hilfe einer Topologie beschreiben läßt [sic!], sich aber der Axiomatisierung [Hervorhebung durch Vf.] entzieht.28

In ihrem Werk versucht Sie, der Semiotik einen neuen wissenschaftlichen Status zuzuweisen und spricht daher über den Prozess der Sinngebung und den beiden Modalitäten wie des Symbolischen und des Semiotischen der Sprache und verbindet den Prozess der Sinngebung mit dem Terminus Chora.

Es handelt sich einerseits um das, was die Freudsche Psychoanalyse als Bahnung und strukturierende Disposition der Triebe postuliert. andererseits geht es um die so genannten Primärvorgänge, bei welchem sich die Energie sowie deren Einschreibung verschieben und verdichten: diskrete Energiemengen durchlaufen den Körper des späteren Subjekts und setzten sich im Laufe der Subjektwerdung nach Maßgabe von Zwängen ab, die auf den immer schon semiotisierten Körper [...] ausgeübt werden. Auf diese weise artikulieren die Triebe, ihrerseits sowol »energetische« Ladungen als auch »psychische« Markierungen, das, was wir eine chora nennen: eine ausdruckslose Totalit ä t, die durch die Triebe und deren Stasen in einer ebenso flüssigen wie geordneten Beweglichkeit geschaffen wird.29

In diesem Zusammenhang verweist auch Mersch auf den Ausdruck Chora, welcher schließlich mit der Wahrnehmungstheorie von Aristoteles vergleichbar sei: „»Medium« und »Medialität« entdecken sich hier negativ, als etwas, das eine konstitutive Funktion erfüllt, aber ohne Kontur bleibt - vergleichbar mit jenem »Dritten«, das bei Platon mit dem Ausdruck chora für eine »unbestimmt bleibende Ortschaft« versehen wird, die weder Form noch Materie ist [...].“30 Bemerkenswert ist hierbei der Bezug auf Aristoteles, bei dem der Zwischenraum die selbe Funktion erfüllt, wie Platons Chora. Die Verwendungsweise des Medienbegriffs gewann von diesem Zeitpunkt besonders für die Naturphilosophie und die klassische Physik eine große Bedeutung.31 Johann Gottfried Herder stellt in seinem Werk, Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menscheit, die natürlichen globalen Eigenschaften wie die Natur selbst als determinierenden Nährboden für die körperliche und seelische Entfaltung des Menschen dar. „Die Natur versieht sich selbst mit Merkmalen, die es erlauben, ein Kontinuum von Wahrnehmung, Empfindung und Sprache zu bilden: Ein Gemälde des Klimas, in dem Naturgeschichte und Geschichte des Menschen ineinander verschränkt sind.“32 Doch vielmehr konzentriert sich Herder auf das Klima und insbesondere auf die Luft. Denn nur das natürliche Medium Luft mache die Erkenntnis und die Entdeckung der Umwelt zur menschlichen Entfaltung erst möglich.33 Für die sinnliche Wahrnehmung, die Erkenntnis und die Sprache, wird die Luft zu einem relevanten Element. Das Medium formiert sich hier zu einem Stoff, es ist die Luft, die etwas bewegt.

In den Ideen formuliert Herder eine Vermutung über den Ursprung der Erde und des Lebens, wonach die »ersten Bestandteile« der Erde »vielleicht alle aus der Luft niedergeschlagen wurden und durch Übergänge aus dem Sichtbaren ins Sichtbare traten.« Aber auch die naturwissenschaftlichen Entdeckungen des 18. Jahrhunderts - »die elektrische Materie und der magnetische Strom, das Brennbare und die Luftsäure, erkältende Salze und vielleicht Lichtteile, die die Sonne nur anregt« [...] wirkten »alle im Medium der Luft«. Die Luft sei »die Mutter der Erdgeschöpfe« und das »allgemeine Vehikel der Dinge«.34

Erst im 18. Jahrhundert schlug die Bedeutung des Wortes Medium mit der Medienzäsur um 1800 und der Bewusstwerdung von Sprache als Medium des Denkens eine etwas andere Richtung ein. Doch wie immer sich auch der Geltungsbereich des Medienbegriffs ausweitete, nie wurde seine eigentliche Bedeutung durch seinen Ursprung in der Aisthesislehre vergessen. Die Assoziation mit dem Phänomen bezieht sich immer auf etwas, eines weiteren dritten Elements, eine Energie, dass zwischen dem wahrgenommenen und wahrnehmenden etwas bewegt. „Medienbegriffe werden virulent, wo ein Drittes zwischen Differenzen tritt und sie vermittelt, um ihre Differentialität allererst auszutragen - ein Drittes, das freilich als Drittes selbst unbestimmt [Hervorhebung durch Vf.] bleibt und die Kategorien sprengt.“35 Der aristotelische Gebrauch des Diaphanen hatte eine vermittelnde Funktion, aus dessen sich bis ins 17. Jahrhundert der Aspekt des stofflichen herleitete. Erst durch die technischen Erneuerungen und Innovationen im 19. Jahrhundert wandelte sich dieser Terminus in ein eher ästhetisch, philosophischen Begriff, der nicht nur zwischen etwas steht und vermittelt, sondern auch Differenzen verbindet.

Technik ist Medium geworden heißt, sie hat sich in etwas verwandelt, in das sich (nahezu) alles übersetzten lässt oder in dem anderen zirkulieren kann. Medium bedeutet auch Mittel, doch nicht primär Mittel zu sein, sondern eher die Summe über alle Mittel, in der Zwecke und Mittel relativ beliebig gegeneinander verschoben werden können. Was Zweck ist, was Mittel ist, liegt nicht mehr hierarchisch geordnet ein für allemal fest.

[...]


1 Hans-Georg, Gadamer: Kultur und Medien. In: Axel Honneth (Hrsg.): Zwischenbetrachtungen im Prozeß [sic!] der Aufklärung. Jürgen Habermas zum 60. Geburtstag. Frankfurt/M. 1989, S. 715.

2 Vgl. Stefan, Münker: Vorwort. In: Stefan Münker/Alexander Roesler (Hrsg.): Was ist ein Medium? Frankfurt/M. 2008, S. 7.

3 Vgl. Gadamer: Kultur und Medien. S. 715.

4 Vgl. Münker: Was ist ein Medium? S. 7f.

5 Jürgen, Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt/M. 1990, S. 14.

6 Vgl. Dieter, Mersch: Medientheorien. Zur Einführung. Hamburg 2006, S. 18f.

7 Vgl. ebd., S. 29.

8 Stefan, Hoffmann: Geschichte des Medienbegriffs. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Hamburg (2002), S. 154.

9 Vgl. Mersch: Medientheorien. S. 10.

10 Vgl. ebd., S. 11.

11 Vgl. ebd.

12 Vgl. Hoffmann: Geschichte des Medienbegriffs. S. 24-28, hier S. 19.

13 Ebd., S. 18.

14 Im Grunde ist der Wahrnehmungsprozess des Aristoteles in jedem Kapitel und Absatz vertreten. Damit beginnt nämlich auch die auf mehrere verteilte Untersuchung des Medienbegriffs. Für die Erörterung des Medienbegriffs liegt - so könnte man behaupten - nichts näher als die aristotelische Wahrnehmungstheorie. Aus diesem Grund ist der Absatz 3.3 auch in den 3. Kapitel integriert. Denn eigentlich sollte dieser Absatz als neuer 4. Kapitel beschrieben werden. Doch wie der Leser bemerken wird, ist die Verbindung zwischen dem - als die Mitte bezeichnete - Medium zu groß, sodass es für eine sorgfältige Arbeit sinnvoller war, dies in Kapitel 3 zu integrieren.

15 Vgl. Hofmann: Geschichte des Medienbegriffs. S. 9.

16 Vgl. Knut, Hickethier: Medienkultur und Medienwissenschaft. In: Claus Pias (Hrsg.): Dreizehn Vorträge zur Medienkultur. Weimar 1999, S. 203.

17 Vgl. ebd.

18 Vgl. Nele, Heinevetter/Nadine, Sanchez: „Was mit Medien...“. Paderborn 2008, S. 19.

19 Horst, Seidl: Aristoteles. De Anima/Über die Seele. Hamburg 1995, S. 101f.

20 Mersch: Medientheorien. S. 19.

21 Vgl. Hoffmann: Geschichte des Medienbegriffs. S. 30.

22 Ebd., S. 30f.

23 Ebd., S. 31.

24 Vgl. Fritz, Heider: Ding und Medium. Berlin 2005, S. 26.

25 Heinevetter/Sanchez: „Was mit Medien...“. S. 19.

26 Vgl. Detlef, Thiel: Der Ort der Ursprünglichen Einschreibung. Anmerkungen zu J. Derridas Arbeiten über Platons chora. In: Prima philosophia 8 (1995), S. 215 -243.

27 Vgl. ebd., S. 216.

28 Julia, Kristeva: Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt/M. 1978, S. 36f.

29 Ebd.

30 Mersch: Medientheorien. S. 21f.

31 Vgl. ebd., S. 20.

32 Jens, Heise: Johann Gottfried Herder zur Einführung. Hamburg 1998, S. 78. Siehe auch; Hoffmann: Geschichte des Medienbegriffs. In: Archiv für Begriffsgeschichte (2002), S. 74.

33 Vgl. Hoffmann: S. 74.

34 „Geschichte des Medienbegriffs.“ Stefan Hoffmann. In: Archiv für Begriffsgeschichte (2002), S. 74f. zit. nach Martin Bollacher/Günter Arnold (Hrsg.): Johann Gottfried Herder: Werke in Zehn Bänden. Bd 6. Frankfurt/Main 1989, S. 37.

35 Mersch: Medientheorien. S. 21f.

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Details

Titel
Mediengenealogie. Eine medientheoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Mediums
Untertitel
Medienhistorische Annäherungen und Überlegungen zu einer performativen Ästhetik.
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Medienkultur und Theater)
Veranstaltung
Medienwissenschaft/Medienpsychologie
Note
1,3 (sehr gut)
Autor
Jahr
2013
Seiten
40
Katalognummer
V277707
ISBN (eBook)
9783656763758
ISBN (Buch)
9783656763765
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
mediengenealogie, eine, auseinandersetzung, begriff, mediums, medienhistorische, annäherungen, überlegungen, ästhetik
Arbeit zitieren
angehender B.A. Medienwissenschaft/Medienpsychologe Isa Taspinar (Autor:in), 2013, Mediengenealogie. Eine medientheoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Mediums, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277707

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