Perspektiven einer privaten Kindertageseinrichtung vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs nach § 24 II SGB VIII


Masterarbeit, 2012

84 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Darstellungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Rechtliche Rahmenbedingungen
2.1 Anspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen
2.1.1 Hintergründe und Entstehung
2.1.2 Ziele und Auswirkungen
2.2 Kinderbildungsgesetz
2.3 Weitere relevante Paragraphen, Vereinbarungen und Gesetze

3. Aktuelle Situation der Kindertagesbetreuung
3.1 Bedarfsanalyse
3.2 Ausbaustand und dynamische Entwicklung

4. Gründungsentwurf einer privaten Kindertageseinrichtung
4.1 Geschäftsidee und konzeptionelle Grundlagen
4.1.1 Eckpunkte der pädagogischen Konzeption
4.1.2 Fachliche Eignung
4.1.3 Betriebserlaubnis
4.1.4 Rechtsform
4.2 Marktanalyse
4.3 Standortanalyse
4.4 Wirtschaftlichkeitsanalyse
4.4.1 Notwendige Privatentnahmen
4.4.2 Kapitalbedarfsanalyse
4.4.3 Szenarioanalyse
4.4.4 Preisgestaltung

5 Perspektiven einer privaten Kindertageseinrichtung
5.1 Chancen
5.2 Risiken

6 Abschlussbetrachtung

Anhangsverzeichnis

Anhang 1: Kinder unter drei Jahren in Betreuung

Anhang 2: Berliner Eingewöhnungsmodell

Anhang 3: Gliederungsvorschlag zur Konzeption

Anhang 4: Tageseinrichtungen für Kinder mit Versorgungsquote

Anhang 5: Prozentuale Versorgung mit Kindergartenplätzen für die unter dreijährigen Kinder zum Stichtag 01.08.2013

Anhang 6: Planung der Belegungszahlen

Anhang 7: Liquiditätsplan

Anhang 8: Übersicht über private Betreuungseinrichtungen in Düsseldorf

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Darstellungsverzeichnis

Abbildung 1: Ausbaustand und Bedarfsprognose der Kinderbetreuung (2006-2013)

Abbildung 2: Ausbaustand und Bedarfsprognose der Kinderbetreuung bezogen auf Nordrhein-Westfalen (2006/2011/2013)

Abbildung 3: Kindertageseinrichtungen in Deutschland 2011

Abbildung 4: Persönliche Profilingergebnisse des Online-Selbstchecks

Abbildung 5: Kindertageseinrichtungen im Bottroper Stadtgebiet 2012/2013

Tabelle 1: Betreuungswünsche in den ersten drei Lebensjahren und daraus resultierender Platzbedarf im Jahr 2013 nach Bundesländern

Tabelle 2: Kinder unter drei Jahren in Kindertagesbetreuung (Stand: März 2011)

Tabelle 3: Berechnung der notwendigen monatlichen Privatentnahmen

Tabelle 4: Kapitalbedarfsanalyse

Tabelle 5: Personalkosten

Tabelle 6: Szenarioanalyse

Tabelle 7: Preisgestaltung

1. Einleitung

Fehlende Krippenplätze, gute Kinderbetreuung, Frühförderung, Kita-Ausbau und vor allem der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung für Kinder unter drei Jahren ab August 2013 – so lauten die Schlagwörter, welche nahezu täglich in der Presse zu finden sind. Schlagwörter, die vor allem durch den „PISA-Schock“ im Jahr 2002 ins Rollen gebracht wurden. Doch bereits Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte zuvor, schrien Experten nach Bildungsreformen, die bei den Jüngsten beginnen sollten (vgl. unter anderem Kreker, 1974:168). Mit der Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes (im Weiteren kurz: KiföG) im Dezember 2008, dem Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Tagespflege, scheint ein entscheidender Schritt zur Erreichung von Bildungsqualität in Deutschland getan zu sein.

Im Trägerdschungel zwischen öffentlichen, freien und konfessionellen Einrichtungen werden private Kindertageseinrichtungen nicht in die Debatte eingebunden, wenn es um die Erweiterung des rechtlich notwendigen Platzbedarfs geht. Die Ursache mag darin liegen, dass das Kinderbildungsgesetz (im Weiteren kurz: KiBiz), welches unter anderem die Förderung von Kindertageseinrichtungen im Land Nordrhein-Westfalen regelt, die privatgewerblichen Träger zwar explizit als Träger einer Kindertageseinrichtung ausweist, jedoch nicht in die Bezuschussung mit einschließt. Auf den Punkt gebracht heißt das: Alle Kosten der Einrichtungen werden durch die Elternbeiträge gedeckt, welche so die gewöhnlichen Beiträge um ein Vielfaches übersteigen. Im Rahmen dieser Ausarbeitung soll die private Trägerschaft im Fokus stehen. Ihr Beitrag zur Bedarfsdeckung und primär die Zukunftsperspektiven einer privaten Kindertageseinrichtung im Hinblick auf die Einführung des Rechtsanspruches sollen näher beleuchtet werden. Denn: Wer zahlt noch die hier anfallenden erhöhten Gebühren, wenn die Eltern als Vertreter der Kinder einen staatlich subventionierten Krippenplatz einklagen können?

Im zweiten Kapitel stehen zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung einer Kindertageseinrichtung im Fokus. Die Erläuterungen der gesetzlichen Zusammenhänge geben zudem grundlegend Aufschluss über die Komplexität der Förderbedingungen von Kindertageseinrichtungen und im Speziellen über die Fördermöglichkeiten privater Einrichtungen.

Neben dem Rechtsanspruch aus dem achten Sozialgesetzbuch (im Weiteren kurz: SGB VIII) werden anschließend weitere relevante Paragraphen, Vereinbarungen und Gesetzte erläutert. Zum besseren Verständnis der Bildungsreform werden die Hintergründe der Gesetzgebung dargelegt und die damit verbundenen Ziele und Auswirkungen auf die Bildungskultur in Deutschland beschrieben. Auch die Bedeutung des Kinderbildungsgesetzes für die Gründung und die Förderung einer Kindertageseinrichtung, welches auf Landesebene greift, soll dargestellt werden.

Im dritten Kapitel wird eine Situationsanalyse zum derzeitigen Ausbaustand der Betreuungsplätze vorgenommen. Diese wird durch geeignete Zahlen und Statistiken untermauert. Im Vordergrund stehen dabei die Analysen der Bundesrepublik im Verhältnis zum Land Nordrhein-Westfalen.

Nachfolgend wird ein Gründungskonzept für eine private Kindertageseinrichtung seitens der Autorin entwickelt und veranschaulicht. Im Folgenden wird die Autorin daher als Gründerin bezeichnet. Angefangen mit der Darstellung der Geschäftsidee, welche auch Eckpunkte des pädagogischen Konzepts beinhaltet, umfasst das vierte Kapitel weitere relevante Punkte eines Businessplans. Zu nennen sind hier unter anderem die Ausführungen zur Markteinschätzung, welche insbesondere die Bedarfsanalyse, die Wettbewerbssituation, die Herausstellungsmerkmale sowie die Wahl des Standortes und der Rechtsform umfassen. Neben der Ausarbeitung verschiedener theoretischer Erfolgskriterien erfolgt laufend ein Abgleich mit den Zahlen der Stadt Bottrop als Modellkommune. Die Ergebnisse fließen dann in die konkrete Liquiditätsplanung mit ein.

Im fünften Kapitel werden die Perspektiven einer privaten Kindertageseinrichtung beleuchtet. An dieser Stelle wird auch die Entwicklung der Branche vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Einführung des Rechtsanspruches und den erschwerten Förderbedingungen dargestellt. Zudem erfolgt die Ausarbeitung von Hypothesen, welche die Erfolgsaussichten einer privaten Kindertageseinrichtung nach Einführung des Rechtsanspruches aufzeigen.

In der Abschlussbetrachtung wird evaluiert, ob die Gründung einer privaten Kindertageseinrichtung aus wirtschaftlicher Sicht lukrativ ist und inwieweit diese Form der Kinderbetreuung einen Beitrag zur Erfüllung des Rechtsanspruches leistet.

2. Rechtliche Rahmenbedingungen

Die folgenden Erläuterungen zeigen das Zusammenwirken der Bundes- und Landesgesetze und die Anwendbarkeit auf Kindertageseinrichtungen. Durch das Verständnis der komplexen Zusammenhänge wird im Umkehrschluss deutlich, weshalb private Kindertageseinrichtungen nicht unter dem „Förderschirm“ stehen.

Aus dem Kontext des Föderalismus ergibt sich ein Nebeneinander von Bundes- und Landesrecht, welches auch als konkurrierende Gesetzgebung bezeichnet wird (vgl. Deutscher Bundestag, o. J.). Artikel 72 I des Grundgesetzes (im Weiteren kurz: GG) regelt weiterhin, dass den Ländern das Recht zur Gesetzgebung zusteht, soweit der Bund nicht bereits von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Der Auswirkungsbereich der konkurrierenden Gesetzgebung bezieht sich gemäß Artikel 74 I Nr. 7 GG auch auf die öffentliche Fürsorge, zu der die Kinder- und Jugendhilfe zählt. Somit umfasst dies auch das SGB VIII und folglich die Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen. Jedoch hat der Bund den Ländern Entfaltungsmöglichkeiten in Form von Landesrechtsvorbehalten eingeräumt (vgl. Schmid & Wiesner, 2006:392 ff.). Daher wird im ersten Schritt das Bundesgesetz zur Absteckung der rechtlichen Rahmenbedingungen herangezogen.

Die Leistungsverpflichtung der Jugendhilfe gegenüber Kindern in Tageseinrichtungen und auch in Kindertagespflege sind in § 2 SGB VIII geregelt und werden in den §§ 22 ff. konkretisiert. Der Vorbehalt des Landesrechts wird in § 26 SGB VIII erläutert. Hier heißt es, dass nähere Angaben über Inhalt und Umfang in Bezug auf den vorangegangenen Abschnitt durch das Landesrecht geregelt werden. Der Landesrechtsvorbehalt wird nochmals explizit in Hinsicht auf die Finanzierung von Tageseinrichtungen für Kinder in § 74a SGB VIII genannt. Auf die Bedeutung dieses Paragraphen für private Kindertageseinrichtungen wird näher im Abschnitt „Kinderbildungsgesetz“ eingegangen. Zunächst wird allerdings der Rechtsanspruch im Fokus der Ausführungen stehen, um im Verlauf die Perspektiven einer privaten Einrichtung vor dessen Hintergrund zu beurteilen.

2.1 Anspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen

Als Ergebnis des Krippengipfels 2007 von Bund, Ländern und Kommunen trat im Dezember 2008 das KiföG als Weiterentwicklung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (im Weiteren kurz: TAG), welches im Jahr 2005 erlassen wurde, in Kraft (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., 2008). Zusammengefasst können drei elementare Neuregelungen genannt werden: erstens, der bereits erwähnte Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr ab dem 1. August 2013, zweitens, die Einbindung der Kindertagespflege in die Ausbaupläne und drittens, die gesetzlich festgelegten Verpflichtungen für die Bereitstellung eines Betreuungsplatzes. An dieser Stelle ist nunmehr die Gleichstellung von Arbeitsuchenden und Erwerbstätigen bei der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen erfolgt (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2004). Dieser Aspekt spielt besonders für Alleinerziehende eine wesentliche Rolle, die durch die Betreuung ihres Kindes wieder ins Erwerbsleben einsteigen können. Bisher waren diese Personen, oftmals auch durch die Schwierigkeit von befristeten Verträgen, in einer Spirale gefangen, denn ohne gültigen Arbeitsvertrag erfolgt keine Betreuung durch Kindertagesstätten und ohne eine solche Betreuung ist die Arbeitsaufnahme erschwert (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2008). Diese Gesetzesänderungen können somit ohne Zweifel als ein wesentlicher Schritt zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bezeichnet werden. Diese Neuerungen des KiföG fließen somit als Änderungen in das SGB VIII ein.

Die bisher beschriebene Sachlage des Rechtsanspruches findet sich in § 24 II SGB VIII und wird im Folgenden durch den Gesetzestext und seine Neufassung verdeutlicht. Die bisherige Fassung, welche allgemein auf Kinder unter drei Lebensjahren Anwendung fand, lautet:

Für Kinder im Alter unter drei Jahren und im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot an Plätzen in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vorzuhalten.

Ab dem 1. August ändert sich der Gesetzestext dann wie folgt:

Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch [Herv. durch Verf.] auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

Der dritte Satz des ersten Absatzes regelt den Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Bedarf. Im Vergleich zur bisherigen Fassung wird zudem das Alter des Kindes spezifiziert. Bisher waren alle Kinder unter drei Jahren angesprochen, ab dem nächsten Jahr gilt das Gesetzt dann erst für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Matthias Westerholt weist in Bezug auf die Betreuung im Kindergarten darauf hin, dass durch den bisher geltenden Rechtsanspruch die Verpflichtung gegeben ist, Kinder auch während des laufenden Kindergartenjahres aufzunehmen, nämlich genau dann, wenn das dritte Lebensjahr vollendet ist (vgl. Westerholt, 2004:75) . Synonym dazu ist die Situation auf den Rechtsanspruch ab dem vollendeten ersten Lebensjahr zu übertragen.

Der im Gesetzestext formulierte Rechtsanspruch bedeutet übersetzt, dass der Träger der örtlichen öffentlichen Jugendhilfe, also der Kreis oder die kreisfreie Stadt, dem Anspruchnehmer einen konkreten Platz in einer eigenen oder fremden Einrichtung verschaffen muss. Zum heutigen Zeitpunkt ist bereits der Rechtsanspruch von Kindern ab dem vollendeten dritten Lebensjahr, der von den Erziehungsberechtigten als Vertreter des Kindes beim Verwaltungsgericht gegen die Kommune eingeklagt werden kann, im Gesetz verankert. Nach Auffassung von Matthias Westerholt ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Klage aufgrund eines nicht erhaltenen Betreuungsplatzes vor Gericht Recht zu bekommen, sehr hoch. Jedoch gibt er an, dass der Schadensersatz nicht berechenbar ist beziehungsweise im Zweifelsfall nicht gewollt ist. Der Überlegung, einen Betreuungsplatz mit Hilfe des Schadenersatzes zu finden, steht entgegen, dass überhaupt kein Angebot vorhanden ist. Dieser Sachverhalt bezieht sich auf die Situation der Kindergartenbetreuung und spiegelt somit den derzeitigen Stand der Rechtslage wieder. Daher ist damit zu rechnen, dass diese Darstellung auch auf die Situation von Kindern unter drei Jahren übertragbar ist (vgl. zu diesem Abschnitt Westerholt, 2004:75 f.) .

Bislang wurde der Rechtsanspruch abstrakt behandelt, jedoch nicht inhaltlich vertieft. Die Berichterstattung über den stockenden Ausbau in Bezug auf die Betreuung von Kindern unter drei Jahren (im Weiteren kurz: U3) verleitet eventuell zu der Wahrnehmung, dass der Rechtsanspruch sich ausschließlich auf die Betreuung unter Dreijähriger bezieht. Im Gesetz ist jedoch ausdrücklich vom Anspruch auf frühkindliche Förderung die Rede. Zieht man zudem den § 22 SGB VIII zurate, ist dort auszugsweise zu lesen:

Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein.

Im Laufe der Zeit veränderten sich die Anforderungen an Bildung durch den Strukturwandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Die frühkindliche Bildung muss auch weiterhin auf die Belastungen der Zukunft in allen Lebensphasen vorbereiten, damit die Erwachsenen von morgen den Ansprüchen und Herausforderungen gewachsen sind. Der Bildungsbegriff umfasst daher vor allem personelle Fähigkeiten wie Orientierungskompetenz, Anpassungsfähigkeit, Eigeninitiative oder den Willen zum lebenslangen Lernen. Darüber hinaus beinhaltet ein umfassender Bildungsbegriff lernmethodische, reflexive und soziale Kompetenzen sowie die Förderung der kindlichen Autonomie und der gesellschaftlichen Mitverantwortung (vgl. zu diesem Abschnitt Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:12, 24, 66) . In diesem Kontext ist auch die Förderung von Resilienz, der Fähigkeit erfolgreich mit belastenden Lebenssituationen und negativen Folgen von Stress umzugehen, zu nennen (vgl. Petermann, 2000:12) . Langfristig ermöglicht demnach die frühkindliche Förderung, ausgehend von einem natürlichen und aktiven Entwicklungsdrang des Kindes in einem entwicklungsförderlichen Umfeld, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. Sachverständi-genrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung, 2002:97 f.) .

2.1.1 Hintergründe und Entstehung

Als Hintergrund für den 1996 eingeführten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Neuregelung des Abtreibungsparagraphen im Strafgesetzbuch maßgeblich. Dieser beinhaltet die straffreie Abtreibung innerhalb einer Frist von 12 Wochen nach vorheriger Beratung. Durch den Rechtsanspruch sollten die Entscheidung für das ungeborene Leben begünstigt werden (vgl. Tagesschau, 2012; AWO, 2008). Für die Einführung des Rechtsanspruches 2013 spielen hingegen andere Faktoren eine entscheidende Rolle. Den Anfang macht der Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Dieser verdeutlicht, dass das deutsche System weder den Erkenntnissen der modernen Pädagogik und Wissenschaft angepasst ist noch sich mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen, demografischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten gewandelt hat (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:13).

Unter dem Aspekt der sozialen Gegebenheiten sind unter anderem der Anstieg der Alleinerziehenden und der Wegfall von innerfamiliärer Betreuung zu nennen. Zudem stehen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Anstieg der Frauenerwerbsquote bedingt durch wirtschaftliche Notwendigkeit oder der Verwirklichung von Lebensentwürfen sowie die Chancengleichheit im engen Zusammenhang mit der Einführung des Rechtsanspruches (vgl. zu diesem Abschnitt Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:17 f., 29; Bertelsmann Stiftung, 2008:3).

Vor diesem Hintergrund fordern Experten aktuell eine Reform des deutschen Bildungssystems, welches unmittelbar bei der frühkindlichen Bildung ansetzen sollte (vgl. Ehmann, 2003:43). Auch die Ergebnisse der PISA-Studie zeigten, dass der Mangel an verbindlichen Übereinkünften bezüglich des Bildungsauftrages von Kindertagesstätten zu einer zwingenden Reform aufruft (vgl. Gerspach, 2006:9).

Die Problematik dieser gewünschten Neugestaltung ist allerdings, dass die frühkindliche Bildung, also die vielseitige Förderung in Tageseinrichtungen, auf Bundesebene nicht zum Bildungswesen sondern zum Sozialwesen, konkret zur Kinder- und Jugendhilfe (§§ 22 SGB VIII), gezählt wird (vgl. dazu Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2012). Die Zuständigkeit fällt daher in den Bereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt die Bemühungen um die frühkindliche Bildung durch geeignete Initiativen und Maßnahmen (vgl. dazu Bundesministerium für Bildung und Forschung).

Auf Länderebene haben sich acht Bundesländer, entgegen der Bundeszuordnung, dazu entschlossen, die Tageseinrichtungen für Kinder im Bildungswesen zu verankern. Demnach sind die Kultusministerien für die verbindlichen inhaltlichen Förderungen in Kindertageseinrichtungen zuständig. In Nordrhein-Westfalen ist dies nicht der Fall. Hier regelt, statt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, weiterhin das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport den Bereich der frühkindlichen Bildung beziehungsweise eher die Betreuung (vgl. dazu Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen).

Folglich bedarf es nicht nur einer größeren Gewichtung der frühkindlichen Bildung, sondern einer neuen Zuordnung zum Bildungssystem. Auch der Deutsche Bildungsrat verankerte bereits 1970 den Kindergarten im Bildungswesen (vgl. Textor, 2003a). Konkret formulierte es Martin Textor, der in einer Veröffentlichung die Abschaffung der §§ 22 ff. des SGB VIII fordert und in diesem Zusammenhang den Ländern die Verantwortung für die frühkindliche und schulische Bildung gleichermaßen zuspricht (vgl. Textor, 2003:310 ff.). Zu der gleichen Auffassung kommt Josef Isensee, indem er anmerkt, dass der Schwerpunkt des Kindergartens auf der Bildung statt auf der Fürsorge liege und dem Bund daher die Gesetzgebungskompetenz fehlt (vgl. Isensee, 1995:6). Anders sieht es Reinhard Joachim Wabnitz, welcher darauf hinweist, dass im SGB VIII sowieso nur allgemein gehaltene Rechtsvorschriften vorhanden sind und dem Land die Ausgestaltung bereits zustünde. Er vertritt die Auffassung, dass der Bund weiterhin die rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen ergreifen sollte, um seiner Schutzpflicht gegenüber ungeborenem Leben nachhaltig nachzukommen (vgl. Wabnitz, 2005:175). Das Bundesverfassungsgericht lehnte 1998 die Zuordnung der Kindertageseinrichtungen zum Bildungswesen mit der Begründung ab, dass der Bildungsauftrag hinter dem der fürsorgenden Betreuung anzusiedeln ist (vgl. Ehmann, 2003:34; Bundesverfassungsgericht, 1998:Absatz-Nr. 38). Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, welchem Expertenrat die Regierung in Zukunft folgen wird.

Die derzeitigen Neuerungen der Kinder- und Jugendhilfe, mit dem Aushängeschild des gesetzlich verankerten Anspruchs auf Förderung in Kindertageseinrichtungen, resultieren darüber hinaus auch aus historischen Forderungen. Die nachfolgenden Erläuterungen zeigen exemplarisch, dass der Appell nach Reformen des Bildungsbereichs keine neue „Erfindung“ ist, sondern bereits einen langen und in der Regel erfolglosen Weg hinter sich gebracht hat.

Bereits 1848 stellte Friedrich Fröbel einen Antrag bei der deutschen Regierung, in dem er die Notwenigkeit formulierte, die Kleinkindererziehung zur ersten Stufe des Volksbildungssystems zu erheben (vgl. Kreker, 1974:168). Auch der Schulforscher Georg Picht betonte in seiner Veröffentlichung „Deutsche Bildungskatastrophe“ von 1964 die Notwendigkeit zur Modernisierung des Bildungssektors. Darauf folgten einschneidende Reformen des Bildungssystems (vgl. Fahrholz/Gabriel/Müller, 2002:11 f.). Nach der Forderung, den Elementarbereich, also die Förderung von Kindern im noch nicht schulpflichtigen Alter, als erste Stufe im Bildungssystem zu etablieren, wurde 1972 ein Bildungscurriculum mit dem Titel „Soziales Lernen“ eingeführt. In der konkreten Umsetzung entwickelte sich daraus das Konzept des Situationsansatzes (vgl. Fthenakis, 2003:9). Im Anschluss forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog nochmals zur bildungspolitischen Offensive auf (vgl. Fahrholz/Gabriel/Müller, 2002:11). Doch erst 2002, nach Veröffentlichung der Ergebnisse des „Programme for International Student Assessment“, besser bekannt unter dem Namen „PISA-Studie“, wurde Deutschland in einen Schock versetzt, welcher den „Bildungsnotstand“ (Fahrholz/Gabriel/Müller, 2002:11) Deutschlands unverschont offenbarte und zum Handeln bewegte. Schnell wurde der vorschulische Bereich für das schlechte Abschneiden ausgemacht und der Kindergarten zum neuen Exempel der schulvorbereitenden Einrichtung ernannt (vgl. Konrad, 2012:249 ff.). Laut PISA lagen unter anderem bereits im Kindergarten Schwächen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich vor (vgl. Elschenbroich, 2001 zit. bei Wehrmann, 2003:299, dort ohne genauere Seitenangabe). Danach richtete sich der Fokus des Interesses „unübersehbar auf die Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder in den ersten drei Lebensjahren“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2010:45).

Unterstützt wird die Theorie der frühkindlichen Bildung und den damit einhergehenden Reformplänen von der Entwicklungspsychologie. Diese bescheinigt eine besonders dynamische Intelligenzentwicklung in den ersten Lebensjahren. Dies ist mit der hohen Aktivität des Gehirns zu erklären, welches verstärkt Energie in die Synapsenverbindung investiert. Aus diesem Grund gestaltet sich das Lernen in den ersten Lebensjahren effizienter (vgl. Konrad, 2012:253 ff.). Besonders bemerkenswert erscheint unter dem Gesichtspunkt der frühkindlichen Bildung folgendes Ergebnis der Neurowissenschaftler: Sie bestätigen eine Stetigkeit der kognitiven Entwicklung zwischen Menschen im Säuglingsalter und in den folgenden Jahren. Menschen, die demnach bereits im Säuglingsalter über eine schnelle Reizverarbeitung verfügen, also schneller lernen, behalten diese Fähigkeit auch im Erwachsenenalter bei (vgl. Goswami, 2001:46 ff.). Infolgedessen kann festgehalten werden, dass sich Investitionen in die frühkindliche Förderung auszahlen.

2.1.2 Ziele und Auswirkungen

Die Darlegung der Hintergründe und der Entstehung des Rechtsanspruches offenbaren, dass das System der Kindertageseinrichtungen derzeit nicht in der Lage ist, den Herausforderungen einer zeitgemäßen Bildung und Erziehung gerecht zu werden (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:6).

Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Sell bezeichnet in einer seiner Veröffentlichungen die quantitative und qualitative Unterentwicklung des Elementarbereiches in den ersten sechs Lebensjahren sogar als „unterlassene Hilfeleistung“ (Sell, 2004:373), welche als Erklärung für Problemlagen im späteren Leben herangezogen werden können. Neben dem mengenmäßig geplanten Ziel von bundesweit 750.000 U3-Plätzen, was einer deutschlandweit durchschnittlichen Deckungsquote von 35 Prozent entspricht (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2010), nennt Sell im gleichen Atemzug auch den qualitativen Stand der Elementarpädagogik.

Auch die Bertelsmann Stiftung bezieht dazu Stellung und gibt zu bedenken, dass im KiföG die Qualitätsentwicklung und -sicherung einen zu geringen Stellenwert einnimmt. Folglich kann als negative Auswirkung des Rechtsanspruches festgehalten werden, dass die Qualität zu Lasten der Quantität in den Einrichtungen leidet. Die Qualitätseinbußen können zum einen am Mangel verbindlicher Qualitätskriterien auf Länderebene festgemacht werden und zum anderen auch am Fehlen von qualifizierten Fachkräften (vgl. zu diesem Abschnitt Bertelsmann Stiftung, 2008:5). Nach Angaben des Deutschen Jugendinstitutes (im Weiteren kurz: DJI) fehlen bis 2013 bundesweit 24.700 Erzieher (vgl. Boldebuck, 2011).

Die möglichen Auswirkungen des Rechtsanspruches, als Basis für eine Bildungsreform, lassen folgende Argumentationskette entstehen, wenn sowohl die quantitative als auch die qualitative Norm erfüllt werden.

Das Bundesministerium gibt an, dass der Zugang zur Kindertageseinrichtung die Chance eines Kindes auf eine umfassende Bildung und Erziehung erhöht. Die Produktivität der Gesellschaft ist laut einer Studie der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ wiederum eng mit deren Bildungsstand verknüpft. Kurzfristig bringt bereits jeder investierte Euro in Tageseinrichtungen der Bundesrepublik vier Euro Ertrag durch die verbesserte Frauenerwerbsquote und der Personalbeschäftigung in Kindertageseinrichtungen. Langfristig ist durch frühkindliche Bildung auch die Vermeidung von bildungsbedingter Arbeitslosigkeit einzudämmen.

Daraus abgeleitet liegt das übergreifende Ziel des Rechtsanspruches in der Sicherung des wichtigsten Humanvermögens, den heranwachsenden Kindern (vgl. zu diesem Abschnitt Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:6 ff., 234 f.).

Auch aus demografischen Gesichtspunkten sind positive Auswirkungen des Rechtsanspruches anzunehmen. Momentan ist eine individuelle Unzufriedenheit mit der traditionellen Aufgabenverteilung von Mann und Frau wahrzunehmen. Dies gilt sowohl für die Frau in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter als auch für den Vater in der Rolle des Ernährers. Anhand eines Gutachtens zur Kinderbetreuung und zur Müttererwerbstätigkeit, in Auftrag gegeben durch Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, konnte ermittelt werden, dass lediglich 23 Prozent der Mütter in Westdeutschland freiwillig nicht erwerbstätig sind (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:20). Durch die entstandene Kluft zwischen Vorstellungen verschiedener Lebensentwürfe und deren Verwirklichung kommt es zu einer Entfremdung der Partner. Die Erfahrungen von mangelnder Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach dem ersten Kind hat zudem Auswirkungen auf den weiteren Kinderwunsch. Somit kann der Rechtsanspruch, neben weiteren Maßnahmen der Familienpolitik, der geringen Geburtenrate und den daraus resultierenden Folgen entgegensteuern (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003:60 f.).

2.2 Kinderbildungsgesetz

Dieses Kapitel beruht in seinen wesentlichen Bestandteilen auf dem Kommentar von Verena Göppert und Markus Leßmann zum Kinderbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (vgl. Göppert & Leßmann, 2009).

Am 30. Oktober 2007 verabschiedete der nordrhein-westfälische Landtag das vierte Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, welches als Synonym für das SGB VIII gebraucht wird. Dieses Gesetz trägt den Titel „Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern“ oder auch kurz „Kinderbildungsgesetz“. Im Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen“ wurde bereits erläutert, dass die Regelungen zum Elementarbereich im Wesentlichen zum Bundesrecht zählen und dort im SGB VIII geregelt sind (vgl. Seite 6 ff.). Durch den Untertitel „Viertes Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes – SGB VIII“ des KiBiz wird dieser Sachverhalt nochmals verdeutlicht. Das KiBiz baut nunmehr auf Regelungen des SGB VIII auf und resultiert aus dem Landesrechtsvorbehalt (vgl. zu diesem Abschnitt Göppert & Leßmann, 2009:9 f, 27 ff.).

Das KiBiz umfasst 28 Paragraphen, welche in zwei Kapitel gegliedert sind. Die allgemeinen Bestimmungen finden sich im ersten Kapitel wieder. Das zweite Kapitel vereint Einzelheiten zur finanziellen Förderung, welche sich im Vergleich zum alten „Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder“ (im Weiteren kurz: GTK) maßgeblich geändert haben. Dazu werden zunächst allgemeine Rahmenbedingungen erläutert, um im weiteren Verlauf auf die Förderung in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege einzugehen. Der vierte Abschnitt des zweiten Kapitels befasst sich dann intensiv mit der Finanzierung. Abgerundet wird das zweite Kapitel mit Paragraphen zu allgemeinen Verfahrensvorschriften.

Das KiBiz ersetzt ab dem 1. August 2008 das bis dahin geltende GTK. Dabei nimmt es eine Anpassung der Kindertagespflege zur gleichrangigen Betreuungsform vor und gilt somit nicht mehr ausschließlich für Kindergärten beziehungsweise Kindertagesstätten. Hintergrund der Gesetzesänderung war der bereits 2005 im Koalitionsvertrag der CDU/FDP-Landesregierung festgeschriebene Wunsch nach Vereinfachung des Finanzierungssystems. Aufschwung erhielt dieser Wunsch durch die Problematik der abnehmenden kirchlichen Trägerschaft von Kindertageseinrichtungen bedingt durch rückläufige Kirchensteuereinnahmen. Somit wurde 2006 damit begonnen, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu verfassen, welcher drei wesentliche Ziele vereint: erstens, die kindbezogene Förderungspauschalierung, bekannt unter dem Namen „Kindpauschale“, zweitens, die Entlastung der kirchlichen Träger und drittens, die bessere finanzielle Förderung von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren (vgl. zu diesem Abschnitt Göppert & Leßmann, 2009:27 ff.). Die Betreuung von Kindern unter drei Jahren war bisher im GTK durch die intensivere Betreuung von mehr Fachkräften mit deutlichen Mehrkosten verbunden (vgl. Göppert & Leßmann, 2009:74 f.).

Die Umstellung des Finanzierungsverfahrens wirkt unterstützend, indem dem Elementarbereich flexible Lösungen an die Hand gegeben werden, um auf die veränderten Anforderungen der Kindebetreuung adäquat reagieren zu können. Durch die Umstellung auf das KiBiz werden zudem den gesellschaftlichen Anforderungen Rechnung getragen, da der Bildungsaspekt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Mittelpunkt gerückt sind. Das Ministerium erarbeitete nach anfänglichen Alleingängen im Dialog mit Trägerverbänden und Kirchen, unter Mithilfe einer Unternehmensberatung in der Rolle des Moderators, Grundzüge des Gesetzes, wobei das Finanzierungskonzept im Mittelpunkt stand (vgl. zu diesem Abschnitt Göppert & Leßmann, 2009:9, 28, 31 f.).

Besonderen Stellenwert für die Perspektiven von privaten Kindertageseinrichtungen erlangt der § 74a SGB VIII, der dem Land die Regelungen zur Finanzierung von Tageseinrichtungen zuspricht. Im zweiten Satz dieses Paragraphen heißt es ausdrücklich:

Dabei können alle Träger von Einrichtungen, die die rechtlichen und fachlichen Voraussetzungen für den Betrieb der Einrichtung erfüllen, gefördert werden.

Das KiBiz führt in den Absätzen eins und zwei des sechsten Paragraphen weitergehend aus, wer Träger einer Kindertageseinrichtung sein kann.

(1) Träger einer Kindertageseinrichtung sind die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe, Jugendämter und die sonstigen kreisangehörigen Gemeinden sowie Gemeindeverbände.
(2) Träger einer Kindertageseinrichtung können auch andere Träger, z.B. Unternehmen, privatgewerbliche Träger und nicht anerkannte Träger der freien Jugendhilfe, sein.

Absatz zwei spricht also dafür, dass auch private Einrichtungen mit der Absicht der Gewinnmaximierung als Träger gelten. Für die praktische Umsetzung bedeutet diese Regelung, dass auch private Einrichtungen einen Beitrag zur Erfüllung des Rechtsanspruches leisten können, da ihnen die Trägerschaft gestattet wurde. Somit finden auch die allgemeinen Regelungen des KiBiz (§§ 1-5) und alle weiteren Paragraphen auf private Einrichtungen Anwendung, soweit sie nicht ausdrücklich zwischen Trägerschaften unterscheiden. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Grundsätze zur Bildungs- und Erziehungsarbeit des § 13 sowie die Verpflichtung zur Datenerhebung (§ 12) zu nennen. Die rechtlichen und fachlichen Voraussetzungen, welche im SGB VIII genannt sind, umfassen auch die Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII. Die Geltung dieses Paragraphen zieht wiederum die Anwendbarkeit der „Vereinbarung zu den Grundsätzen über die Qualifikation und den Personalschlüssel“ nach sich. Die Anerkennung als Träger zieht jedoch nicht zwangsläufig eine Förderung nach sich.

Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Einführung des KiföG die Verbesserung von Finanzierungsmöglichkeiten für private Einrichtungen und deren Gleichstellung mit öffentlichen, freien und kirchlichen Trägern. Dennoch bleibt die Entscheidung über die Förderung in der Hand der Länder.

Nordrhein-Westfalen hat bislang von der Förderung privater Einrichtungen in Form der Kindpauschalen, welche den Hauptbestandteil der Betriebskosten decken, Abstand genommen. Die offensichtliche Ungleichbehandlung von privaten Einrichtungen, welche sich in der verpflichtenden Wahrnehmung der Gesetze ohne Anspruch auf Rechte zeigt, begründet sich durch die Option im SGB VIII. Statt einer verbindlichen Vorgabe entschied sich der Gesetzgeber für eine Wahlfreiheit der Länder (vgl. zu diesem Abschnitt Göppert & Leßmann, 2009:52, 79 f.).

Obwohl sich das Land Nordrhein-Westfalen offensichtlich gegen eine Förderung von privaten Einrichtungen entschieden hat, ist im gesamten Gesetz keine Negation hinsichtlich dieses Ausschlusses beziehungsweise eine klare Eingrenzung auf die in § 6 I genannten Träger zu lesen. Das Land wählt stattdessen den Umweg und weist privaten Trägern im § 20 I keinen Prozentsatz für die Förderung zu. Besonders widersprüchlich erscheint diese Regelung nach Auffassung der Autoren Verena Göppert und Markus Leßmann dahingehend, dass bei einer Förderung der § 20 IV greift. Dieser weist auf die ausschließliche Mittelverwendung im Sinne der Aufgabenerfüllung des Gesetzes hin und schließt somit eine Gewinnerzielung aus. Da es sich bei den im KiBiz genannten Förderungen um Landesmittell handelt, stünde einer freiwiligen kommunalen Förderung von privaten Einrichtungen nichts im Wege. Den Kommunen blieben dann allerdings die Landesmittel verwehrt und sie müssten die Förderung zu 100 Prozent tragen, da sie nur Landesmittel für Einrichtungen erhalten, welche nach dem KiBiz förderungsfähig sind (vgl. Göppert & Leßmann, 2009:79 f.).

In den bisherigen Ausführungen bezog sich die finanzielle Förderung immer auf die Kindpauschalen, welche neben dem prozentual variierenden Eigenanteil maßgeblich zur Deckung der laufenden Betriebskosten beitragen. In diesem Zusammenhang wurde der Ausschluss privater Einrichtungen deutlich. Anders sieht es im Hinblick auf die Investitionskostenförderung nach § 24 KiBiz aus.

Das Land gewährt dem Jugendamt nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes Zuwendungen zu den Investitionskosten der Kindertageseinrichtungen.

Diese Förderung beruht auf den Richtlinien der Verwaltungsvereinbarung „Kinderbetreuungsfinanzierung 2008 bis 2013“ des Landes zum Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Nach Nummer 2.1 sind auch ausdrücklich private Träger in die Förderung eingebunden. Grundsätzliche Voraussetzung zur Förderung ist die Durchführung der Maßnahme bis zum 31. Dezember 2013 und die Schaffung zusätzlicher Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Förderfähig sind sowohl Neu-, Um- und Ausbaumaßnahmen, die Erstausstattung, Kosten der Herrichtung und die Ausstattung des Grundstücks. Nochmals, eigens unter Nummer 5.3, erwähnt ist der Ausschluss eines nachfolgenden Anspruchs auf Förderungen, speziell der Betriebskosten.

Die Förderung von Kindertageseinrichtungen regelt sich über eine Anteilsfinanzierung bis zu einem Höchstsatz von 90 Prozent der Kosten. Allerdings sind Höchstbeiträge für die einzelnen Maßnahmen pro gewonnenen Platz vorgegeben. Neubaumaßnahmen werden demnach mit maximal 20.000 Euro, Aus- und Umbaumaßnahmen mit 8.500 Euro und Ausstattungsmaßnahmen sowie Herrichtungen mit 3.500 Euro begünstigt (vgl. zu diesem Abschnitt Göppert & Leßmann, 2009:146 f.).

2.3 Weitere relevante Paragraphen, Vereinbarungen und Gesetze

Der § 45 SGB VIII regelt die Bestimmungen zur Erteilung der Betriebserlaubnis. Diese ist immer dann nachzuweisen, wenn Kinder oder auch Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden. Die Personalstruktur ist neben den fachlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ein wichtiger Aspekt, um dem Zweck und dem Konzept der Einrichtung gerecht zu werden. Zur Erteilung der Betriebserlaubnis bedarf es neben den genannten Aspekten auch einer Unterstützung zur gesellschaftlichen und sprachlichen Integration sowie eines geeigneten Verfahrens zur Partizipation der Kinder an Entscheidungsprozessen, welche das Zusammenleben in der Einrichtung betreffen.

Gemäß § 26 II Nr. 3 des KiBiz, welcher die Verpflichtung zu Grundsatzvereinbarungen festlegt, schlossen kommunale Spitzenverbände, die Träger der freien Wohlfahrtspflege, die Kirchen und die Oberste Landesjugendbehörde Nordrhein-Westfalens die Vereinbarung zu den Grundsätzen über die Qualifikation und den Personalschlüssel (im Weiteren kurz: Personalvereinbarung). Wie bereits im vorherigen Kapitel geschildert, ist diese Vereinbarung auch für private Kindertageseinrichtungen bindend, da die Erteilung der Betriebserlaubnis damit einhergeht und somit ein qualitativer Standard gesichert wird.

Der Personalschlüssel koppelt sich beim KiBiz an die Gruppenformen, welche sich wiederum aus der Altersstruktur der Kinder ergeben. Exemplarisch werden für eine Gruppe mit 10 Kindern unter drei Jahren zudem auch aus Haftungsgründen zwei Fachkräfte benötigt. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass genügend Zeit für die Vor- und Nacharbeit, Elterngespräche sowie der Einrichtungskoordination, gegebenenfalls durch weiteres Personal, zur Verfügung steht. Für die Berechnung des benötigten Personals ist zudem die wöchentliche Betreuungszeit zu berücksichtigen (Göppert & Leßmann, 2009:24, 99).

Die Grundätze zur Förderung von Kindern regeln sich übergreifend im § 22 SGB VIII. Das Dreigestirn der Erziehung, Bildung und Betreuung bezieht sich dabei auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Was speziell darunter zu verstehen ist, regelt sich in der 2003 für Nordrhein-Westfalen geschlossenen Bildungsvereinbarung zur Konkretisierung des Bildungsauftrages. Unter Berücksichtigung von Trägerautonomie und Konzeptionsvielfalt verständigten sich die Spitzenverbände der freien, kommunalen und kirchlichen Träger auf übergreifende Grundsätze. Als konzeptionelle Basis wurden die Bildungsbereiche Bewegung, Spielen, Gestalten, Medien, Sprache, Natur und kulturelle Umwelt festgelegt. Im Rahmen der elterlichen Erlaubnis sollen die kindlichen Bildungsprozesse zur Sicherstellung der zielführenden Arbeit verschriftlicht werden. Über den Umweg zur Erteilung der Betriebserlaubnis ist auch die Bildungsvereinbarung für Kindertageseinrichtungen in privater Trägerschaft bindend. In der Protokollnotiz der Bildungsvereinbarung wurde im Speziellen dahingehend vermerkt, dass die Sicherstellung der festgelegten Grundsätze im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens auch gegenüber anderen Trägern als den genannten zu prüfen ist (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, 2003).

Eine kurze Erläuterung bedarf es hinsichtlich des § 75 SGB VIII in Verbindung mit § 20 des KiBiz. Im letztgenannten steht geschrieben, dass anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe ein Zuschuss von 91 Prozent der Kindpauschalen zusteht. Das achte Sozialgesetzbuch regelt wiederum, unter welchen Umständen diese Anerkennung möglich ist. Hier ist zu lesen, dass es sich zum einen um juristische Personen (z.B. Verein, GmbH) oder Personenvereinigungen (z.B. GbR) handeln muss. Zum anderen müssen sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe leisten. Dies ist der Fall, wenn der Jugendhilfeausschuss einen Bedarf im jeweiligen Feld bestätigt. Wenn, in diesem Fall bezogen auf eine Kindertageseinrichtung und den kommenden Rechtsanspruch, eine ausreichende Anzahl von Betreuungsplätzen zur Verfügung stünde, ist der Jugendhilfeausschuss nicht an eine Anerkennung gebunden. Allerdings besteht nach dreijähriger Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe ein Anspruch auf Anerkennung, sofern alle weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Prinzipiell besteht demnach die Möglichkeit über Umwege an eine finanzielle Förderung zu gelangen. Allerdings ist die wesentliche Voraussetzung zur Förderung die Verfolgung gemeinnütziger Ziele. Eine private Kindertageseinrichtung wird jedoch zumeist mit gewinnorientierter, also gewerblicher Tätigkeit verbunden. Das bedeutet, eine privatgewerbliche Einrichtung stimmt nicht mit den Grundsätzen der Gemeinnützigkeit überein und kann daher auch nicht als Träger der freien Jugendhilfe bezeichnet werden. Die Gründerin muss sich daher im Vorfeld, auch in Bezug auf die Wahl der Rechtsform, entscheiden, ob sie gemeinnützig, also ohne die Möglichkeit zur Gewinnausschüttung, oder gewinnorientiert arbeiten möchte.

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Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Perspektiven einer privaten Kindertageseinrichtung vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs nach § 24 II SGB VIII
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
84
Katalognummer
V212753
ISBN (eBook)
9783656403913
ISBN (Buch)
9783656407461
Dateigröße
2451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
perspektiven, kindertageseinrichtung, hintergrund, rechtsanspruchs, viii
Arbeit zitieren
Linda Blankenstein (Autor:in), 2012, Perspektiven einer privaten Kindertageseinrichtung vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs nach § 24 II SGB VIII, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212753

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