Nachrichtenfaktoren im Mitarbeitermagazin

Relativierung von Nachrichtenfaktoren durch betriebliche und technische Produktionsbedingungen eines webbasierten Mitarbeitermagazins


Bachelorarbeit, 2015

164 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Fragestellung und Vorgehensweise

2 Nachrichtenwerttheorie
2.1 Entwicklung und Stand der Nachrichtenwerttheorie
2.1.1 Begründung der Nachrichtenfaktoren
2.1.2 Nachrichtenfaktoren als Verarbeitungsmechanismen für Journalisten
2.1.3 Inter- und intrakulturelle Nachrichtenfaktoren
2.1.4 Sechs Nachrichtenfaktoren in amerikanischer Tradition
2.1.5 Gatekeeping zwischen 1950 und 1991
2.1.6 Nachrichtenfaktoren als Hypothesen journalistischer Wahrnehmung
2.1.7 Überformte Kausalität
2.1.8 Erweiterung des Kausalprinzips um das Finalmodell
2.1.9 Nachrichtenfaktoren als Konstruktionsprinzipien von Nachrichten
2.1.10 Neuordnung der Nachrichtenfaktoren
2.1.11 Indikatoren, Ereignis- und Darstellungsfaktoren
2.1.12 Vorläufig bestätigte Nachrichtenfaktoren
2.2 Semantische Analyse ausgewählter Begriffe
2.2.1 Nachrichtenfaktor
2.2.2 Nachricht
2.2.3 Nachrichtenwert
2.2.4 Ereignis
2.3 Zusammenfassung und Definition objektspezifischer Faktoren

3 Analyseobjekt webbasiertes Mitarbeitermagazin
3.1 Das webbasierte Mitarbeitermagazin - Aufgaben und Kontextuelle Einordnung
3.1.1 Interne Öffentlichkeitsarbeit
3.1.2 Wirkung der internen Unternehmenskommunikation
3.1.3 Mitarbeiterzeitschrift
3.1.4 Internet und Intranet
3.1.5 Die Mitarbeiterzeitschrift im Intranet
3.2 Beschreibung des Untersuchungsgegenstands
3.3 Faktorenanalyse
3.3.1 Inhaltsanalyse Methodik
3.3.2 Ergebnisse
3.3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der Inhaltsanalyse
3.4 Rezeptionsanalyse
3.4.1 Rezeptionsanalyse Methodik
3.4.2 Ergebnisse
3.4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der Rezeptionsanalyse

4 Schlussfolgerungen

5 Anhang
5.1 Tabellenverzeichnis Auswertungsergebnisse
5.1.1 Inhaltsanalyse
5.1.2 Rezeptionsanalyse
5.2 Literaturverzeichnis
5.3 Abbildungsverzeichnis
5.4 Codebuch

1 Fragestellung und Vorgehensweise

Ein Machthaber steht an der Spitze eines absolutistischen Systems, einer kleinen etwa sechshundert Personen umfassenden Gesellschaft, geprägt von strikten Hierarchien und gesellschaftlichen Zwängen. Arbeitsleistung, Bekanntschaft und persönliche Reputation entscheiden über individuelles Vorankommen oder Stagnation. Medienschaffende schulden der Obrigkeit Rechenschaft und werden in ihrer Themenwahl sowie dem Tonus der Berichterstattung beschränkt.

Kann innerhalb dieser strukturellen und gesellschaftlichen Zwänge überhaupt journalistische Arbeit geleistet werden? Kann in einem Unternehmen, das von einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe geleitet wird, in dem sich jeder Beschäftigte vor seinen Kolleginnen und Kollegen profilieren muss und vom Vorgesetzten abhängig ist, freie Meinungsbildung über die Medien erfolgen? Und wenn ja, folgt sie den gleichen Maßstäben, selektieren unternehmensinterne Journalisten für die innerbetriebliche Berichterstattung nach den gleichen Faktoren wie ihre in einer freien Gesellschaft arbeitenden Kollegen? Oder prädestiniert die aus dem beruflichen Umfeld bestehende Themenwelt eine einseitige Berichterstattung? Erweisen sich organisatorische Strukturen als stark genug, um eine kontroverse, objektive Berichterstattung zu verhindern? Sind die multiplen Einflüsse, denen Journalisten eines Mitarbeitermagazins unterliegen, groß genug, dass deren Entscheidung ein Ereignis medial aufzubereiten oder nicht zu behandeln, weniger von bewusst oder unbewusst wahrgenommenen, ereignisinhärenten Nachrichtenfaktoren abhängt, als vielmehr durch ihr persönliches und organisatorisches Arbeitsumfeld getroffen wird? Wie entscheidet die Redaktion einer Werkszeitschrift, wenn sie als Medienmacher vor der Frage steht, welche Ereignisse für ihr Publikum interessant und damit berichtenswert sind? Wie beeinflussen die im Kontext der Digitalisierung rasant angestiegene Zahl bei der Nachrichtensuche zu erwägender Substitutionsprodukte und die technisch ermöglichte Datengenerierung zur gezielten Anpassung von Medieninhalten an die Bedürfnisse der Leserschaft, beziehungsweise an die der Belegschaft eines Unternehmens, die Nachrichtenselektion? „Die Menge an Informationen nimmt weiter zu. Damit steigt unter den Anbietern die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Empfänger. Es wird immer schwerer, geeignete Nachrichten auszuwählen” (Herbst 1999: S. 115) prognostizierte Dieter Herbst bereits im Jahr 1999.

Werden die strukturellen und produktionsspezifischen Besonderheiten eines Mitarbeitermagazins mit neuen Entwicklungen von Informationsdiensten im Internet verbunden, so ergibt sich die folgende Forschungsfrage:

Welche Nachrichtenfaktoren sind relevant für die journalistischen Selektionsentscheidungen, die zur Erstellung eines webbasierten Mitarbeitermagazins anfallen, und welche Relativierung erfährt ihre Bedeutung durch die Einordnung der Zeitschrift in den Ma ß nahmenmix der Unternehmenskommunikation, die Einschränkung auf die Nachrichtenlage betriebsrelevanter Themen sowie die zeitlichen auf Internet-Technologie beruhenden Produktionsbedingungen und wie wirken sie sich auf die Rezeptionsweise der Betriebsangeh ö rigen aus?

Zur Klärung dieser Frage erfolgen zunächst die Beleuchtung der bisherigen Forschungsergebnisse der Nachrichtenwerttheorie unter der Berücksichtigung verschiedener Strömungen und in dieser Thematik bedeutsamer Werke von diversen Autoren, sowie die semantische Analyse ausgewählter Begriffe. Die gewonnenen Erkenntnisse werden zu einem Faktorenkatalog konkludiert, der im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Grundlage zweier Analysen bildet. Darauf folgt im dritten Kapitel eine nähere Betrachtung des Analyseobjekts „webbasiertes Mitarbeitermagazin“ und dessen Verortung im Methodenmix der Unternehmenskommunikation. So ist eine Basis für die Herausstellung relevanter Nachrichten- und Darstellungsfaktoren mittels einer Inhaltsanalyse des webbasierten Mitarbeitermagazins EINBLICK der Motor Presse Stuttgart geschaffen. Eine technische Reichweitenmessung liefert im Anschluss Erkenntnisse über die Rezeption der Belegschaft und verbindet diese mit den zuvor identifizierten Nachrichtenfaktoren, bevor finale Schlüsse gezogen und weiteres Forschungspotential aufgezeigt werden.

2 Nachrichtenwerttheorie

Die Nachrichtenwerttheorie und damit auch deren Kernthema, die Nachrichtenfaktoren, stammen zwar „aus den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrtausends, sind allerdings in der heutigen Informationsflut aktueller denn je” (Oppel 2010: S. 20), denn Nachrichtenfaktoren beeinflussen die Selektions- und damit auch die Publikationsent- scheidungen von Journalisten. Allgemein gesprochen untersucht die Nachrichtenwert- forschung „kognitionspsychologische Prinzipien der Wahrnehmung und Weitergabe von Wahrgenommenem“ (Fretwurst 2008: S. 14), wobei sich unterschiedliche Ansätze, Schwerpunkte und Modelle entwickelt haben. Davon sollen die Wichtigsten im Folgenden näher beleuchtet und bewertet werden, angefangen bei Walter Lippmanns Theorie des Nachrichtenwerts (1922), über deren Weiterentwicklung durch die norwegischen Friedensforscher Östgaard (1965) sowie Galtung und Ruge (1965) bis hin zu einem Exkurs in die amerikanische Theorieentwicklung von Buckalew (1969). Daraufhin befasst sich die vorliegende Arbeit mit Vertretern des Gatekeeping Ansatzes, um dessen Unterschiede zur Nachrichtenwerttheorie zu verdeutlichen. Weitere behandelte Meilensteine sind die Abhandlung von Schulz (1990), der Nachrichtenfaktoren erstmals als „Hypothesen journalistischer Wahrnehmungen“ (Schulz 1990: S. 25) begreift, Kepplingers Modell der „überformten Kausalität“ (Kepplinger 1989: S. 11), wie auch Staabs (1990) Erweiterung des bis dato gültigen Kausalmodells um das Finalmodell und der in Kepplingers (1989) Tradition stattfindenden Untersuchung der Nachrichtenfaktoren als Konstruktionsprinzipien von Nachrichten durch Frerich (2000). Entgegen der vormals meist zu erkennenden Ausdifferenzierungstendenzen beschäftigen sich Ruhrmann et al. (2003) und Fretwurst (2008) mit der Zusammenfassung einzelner Faktoren zu Faktorendimensionen. Den Abschluss bildet eine Betrachtung der vergleichsweise neuen Untersuchung von Nachrichtenfaktoren nach Uhlemann (2012). Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels erfolgt auf die semantische Analyse ausgewählter Begriffe die theoretische Zusammenführung für diese Arbeit relevanter Nachrichtenfaktoren.

2.1 Entwicklung und Stand der Nachrichtenwerttheorie

Berichtenswerte Themen und interessante Ereignisse sind zahlreich, jedoch nicht in ihrer Gesamtheit medial behandelbar. Die Nachrichtenwert-Theorie ist als Erklärungsansatz zu sehen, warum nicht jedes Geschehnis, das zwar potentiell zu einer Meldung verarbeitet werden könnte, tatsächlich journalistisch behandelt und publiziert wird (vgl. Uhlemann 2012: S. 62). Passend zu diesem Kontext soll der amerikanische Lokalredakteur John B. Bogart um das Jahr 1880 herum seine Man-Bites-Dog-Formel formuliert haben: Wenn ein Hund einen Mann bei ß t, ist das keine Nachricht. Wenn ein Mann einen Hund bei ß t, das ist eine Nachricht. (vgl. Hooffacker, Lokk 2011: S. 19). Es wird von einer, je nach Ausprägung der Theorie, enormen bis sogar unendlichen Anzahl an Ereignissen ausgegangen, welche der ressourcenbedingt weit geringeren Menge tatsächlich veröffentlichter Nachrichten gegenübersteht. Nachrichtenfaktoren geben dabei den Ausschlag für oder wider der Selektion und Weiterverarbeitung eines Ereignisses zur Meldung.

2.1.1 Begründung der Nachrichtenfaktoren

Unterschieden wird in der Nachrichtenwertforschung darüber hinaus zwischen dem Kausal- und dem Finalmodell, auf welches im Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen wird. Ersteres nimmt Nachrichtenfaktoren von Ereignissen als Ursache und damit als unabhängige Variable an, welche journalistische Selektionsentscheidungen, folglich die abhängige Variable, bewirken. Das Kausalmodell begreift darüber hinaus Nachrichtenfaktoren als Ereignissen inhärente Eigenschaften und Journalisten als objektiv handelnde Figuren, die auf Basis der Nachrichtenfaktoren Meldungen auswählen und gestalten. Sie liegt den meisten europäischen wie auch amerikanischen Theorie-Abhandlungen zu Grunde. (vgl. Staab 1990: S. 94)

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Abbildung 1: Kausalmodell

Auf diesem Prinzip beruht auch die Grundlage der Nachrichtenwertforschung, Walter Lippmanns Abhandlung über den Nachrichtenwert von 1922, in welcher erstmals der Begriff „news value“ (Lippmann 1922: S. 348), also Nachrichtenwert, fällt. Der amerikanische Journalist und Publizistik-Preisträger referiert zum einen über den Einfluss medialer Berichterstattung auf die Realitätswahrnehmung der Rezipienten, interessiert sich aber primär für journalistischen Arbeitsweisen zu Grunde liegenden Faktoren, was die erste Identifikation publikumsfördernder Ereignismerkmale in der Geschichte der Nachrichtenwerttheorie darstellt (vgl. Staab 1990: S. 41). Gäbe es keine standardisierten Routinen diese Faktoren wahrzunehmen und herauszuarbeiten, so Lippmann, käme es in der Tat einem Wunder gleich zu sehen, wie die vergleichsweise geringe Zahl an Journalisten das enorme Spektrum an vorhandenen Themen überblicke und behandle (vgl. Lippmann 1922: S. 338). Lippmann nimmt an, dass nicht alle Arbeitsroutinen bewusst ablaufen, aber die journalistische Realitätswahrnehmung dennoch wesentlich beeinflussen. So erfolge die Wahrnehmung jedes Themas über Vorurteile und Stereotypen (als Element der Arbeitsroutinen), da die Wirklichkeit zu komplex sei, um vollständig wahrgenommen zu werden (vgl. Staab 1990: S. 40, Fretwurst 2008: S. 15). Folglich vermitteln auch Nachrichten, als Produkte journalistischer Wahrnehmung, nur stereotypische spezifische Realitätsausschnitte, nicht die Wirklichkeit (Staab 1990: S. 41). 86 Jahre später wertet Fretwurst Nachrichtenfaktoren als wissenschaftlich untersuchten Ersatz von Handlungsroutinen, denn auch diese seien als Wahrnehmungskriterien von Journalisten zu betrachten, welche letztendlich die Veröffentlichungswahrscheinlichkeit von Ereignissen bedinge (vgl. Fretwurst 2008: S. 16).

In diesem Kontext wirft Lippmann die Frage auf, welche Kriterien Ereignisse erfüllen müssen, um durch die Anwendung von Handlungsroutinen als publikationswürdig erkannt und zur Nachricht verarbeitet zu werden. Die entscheidende Größe, den Nachrichtenwert, bemisst er dabei am Vorkommen sensationsrelevanter Ereignisaspekte, welche er aus Beispielen der aktuellen Tagespresse extrahiert. Ihre Aufstellung findet sich zusammen mit einer kurzen Erläuterung in der nachfolgenden Tabelle.

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Abbildung 2: Nachrichtenfaktoren nach Lippmann

Eine Unterscheidung zwischen Anzahl und Intensität enthaltener Nachrichtenfaktoren erfolgt noch nicht. Allerdings finden sich beide Aspekte im Grad der Erfüllung der Nachrichtenfaktoren. Je größer dieser ausfällt, desto höher bewertet Lippmann den Nachrichtenwert eines Ereignisses und somit auch die Chance medialer Berichterstattung (vgl. Staab 1990: S. 41f). Lippmanns Überlegungen bezüglich der Kriterien journalistischer Selektionsentscheidungen bilden die Grundlage darauf folgender empirischer Untersuchungen, etwa aus dem Hause des Norwegischen Friedensforschungsinstituts PRIO.

2.1.2 Nachrichtenfaktoren als Verarbeitungsmechanismen für Journalisten

Als Angestellter im norwegische PRIO Forschungsinstitut und Mitherausgeber des “Journal of Peace”, in welchem neben seinem eigenen meist zitierten Werk auch die Abhandlung von Galtung und Ruge (1965) bezüglich der Nachrichtenwertforschung erschien, gilt Östgaard als Mitbegründer der europäischen Forschungstradition. Kern seiner Arbeit ist die Suche und Systematisierung realitätsverzerrender Faktoren in der Berichterstattung über Politik in unterschiedlichen Ländern. In der Tradition von Walter Lippmanns Handlungsroutinen betrachtet auch Östgaard Nachrichtenfaktoren als Verarbeitungsmechanismen für Journalisten.

Allerdings unterscheidet er zwischen externen Nachrichtenfaktoren, wie dem von außen ausgehenden, direkten oder indirekten Eingriff von Regierungen, Agenturen oder Verlagen in den Nachrichtenfluss, sowie den „Faktoren, die dem Nachrichtenfluss inhärent sind“ (Östgaard 1965: S. 45), also die Aspekte von Nachrichten, die sie für Rezipienten berichtenswert (newsworthy), interessant (interesting) und verdaulich (palatable) machen (vgl. Östgaard, 1965: S. 40).

Im Verlauf dieser Arbeit finden die externen Faktoren als organisatorische Faktoren vor allem im dritten Kapitel in Form der organisatorischen Einbettung Beachtung, während im zweiten Kapitel der Fokus auf den internen Faktoren als Kern der Nachrichtenwerttheorie liegt.

Auf der Basis einer breit angelegten Analyse der Berichterstattung norwegischer Zeitungen erarbeitete Östgaard Oberbegriffe von Nachrichtenfaktoren, welche seine Orientierung an den Bedürfnissen der Leser widerspiegeln. So identifizierte er drei Kriterien, welche zur Überwindung der Nachrichtenschwelle und damit zur Auswahl und Verarbeitung eines Ereignisses zur Nachricht beitragen: Simplifikation, Identifikation und Sensationalismus. Simplifikation bezeichnet dabei in Anlehnung an Lippmanns Einfachheit unkomplizierte Strukturen. Sie ist sowohl als Selektionskriterium zu sehen, wie auch als Verarbeitungskriterium, wird doch ein Ereignis aufgrund seiner leicht begreifbaren Strukturen ausgewählt und der Verständlichkeit für die Rezipienten halber möglichst einfach aufbereitet. Der zweite Oberbegriff beschreibt Faktoren, die eine Identifikation des Rezipienten mit dem Artikel ermöglichen, etwa räumliche, kulturelle und zeitliche Nähe, den Status der Ereignisnation, die Prominenz der Akteure, sowie Personifizierung. (vgl. Östgaard 1965: S. 45f) Sensationalismus ist zu verstehen als die beabsichtigte Erregung von Aufmerksamkeit durch möglichst dramatische, emotionale Berichterstattung, etwa von Verbrechen, Unglücksfällen, Konflikten, Krisen oder Naturkatastrophen (vgl. Östgaard 1965: S. 47). Ingrid Uhlemann bezeichnet diese Faktoren als „kulturbedingt“ (Uhlemann 2010: S. 31). Sie fügt ihrer Definition von Sensationalismus die Komponenten Sorgen, Gier, Unterhaltung, Aufregung, Konflikt, Streit, Kampf, Personalisierung, Dramatisierung, Bildhaftigkeit, Spannung sowie Neuigkeiten im Leben prominenter Persönlichkeiten hinzu (vgl. Uhlemann 2010: S. 31) und schließt sich damit indirekt Fretwursts Kritik einer hohen Abstraktion von Östgaards Faktoren an, welche aus dem Anspruch ihrer länderübergreifenden Gültigkeit resultiert (vgl. Fretwurst 2008: S. 17).

Treffen diese internen Nachrichtenfaktoren in besonders ausgeprägter Weise auf Ereignisse zu, so führt das nach Östgaard zur Überwindung der Nachrichtenschwelle (news barrier) sowie der darauf folgenden Berichterstattung in den Medien, wobei zur Überschreitung der Reizschwelle nicht alle Faktoren vorhanden sein müssen. Einmal publizierte Nachrichten erleichtern darüber hinaus nachfolgenden Ereignissen zum gleichen Thema diesen Vorgang. (vgl. Östgaard 1965: S. 49ff) Östgaards Überlegungen entsprechen im Prinzip bereits den von Galtung/Ruge (1965) formulierten Additivitäts-, Komplementaritäts- und Verzerrungs- hypothesen.

Einfachheit, Identifikationspotential und Sensationalismus, also die internen Nachrichtenfaktoren, welche zur Überschreitung der Nachrichtenbarriere führen, bilden zusammen mit dem Kriterium Aktualität einen von vier Bereichen der Beeinflussung des Nachrichtenflusses: die Verbreitung (Östgaard 1965: S. 51). Über die potentiell höchste Macht auf den Entstehungsprozess von Nachrichten verfügt das Verbreitungsmedium, denn hier treffen organisatorische Faktoren, wie die Medienpolitik des Landes, die Blattlinie, der verfügbare Platz, die notwendige Werbemenge wie auch die Rücksicht auf Werbekunden auf die Interessen der Leserschaft (vgl. Östgaard 1965: S. 45). Weiterhin spielen die externen Faktoren in Form von Verzerrung durch Machthaber eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kombiniert mit inoffiziellen Regierungseinflüssen oder offizieller Zensur sowie der generellen Verfügbarkeit von Informationen formen sie den Bereich, den Östgaard „Quelle“ (Östgaard 1965: S. 40) nennt. Zu guter Letzt identifiziert er die zwischen Quelle und Verbreitungsmedium anzusiedelnden Produktionskosten als den Nachrichtenfluss behindernde Elemente (vgl. Östgaard 1965: S. 41f).

Neben einer der universellen Gültigkeit geschuldeten, hohen Abstraktion und der damit verbunden geringen Zahl an Nachrichtenfaktoren, könnte das Fehlen einer expliziten Unterscheidung zwischen Ereignis und Nachricht als „theoretische Unschärfe“ (Staab 1990: S. 56) kritisiert werden.

2.1.3 Inter- und intrakulturelle Nachrichtenfaktoren

Als Kollegen von Östgaard publizierten Johann Galtung und Mari Holmboe Ruge ihre Weiterentwicklung von Lippmanns Ausführungen erstmals ebenfalls im Journal of Peace Research von 1965. Unter dem Fokus auf Auslandsberichterstattung legen sie darin die erste umfangreiche Liste von zwölf Hypothesen zu Nachrichtenfaktoren vor. Deren Zusammenwirken erklären sie mit fünf weiteren Hypothesen, welche durch eine Inhaltsanalyse zur Berichterstattung vier norwegischer Zeitungen über die Kuba-Krise von 1960 sowie die im gleichen Jahr stattfinde Kongo-Krise und die Zypern-Krise 1964 (vgl. Galtung, Ruge 1970: S. 261ff) entstanden.

Im Vergleich zu Östgaard steigert sich nicht nur die Zahl der Nachrichtenfaktoren, sondern neu ist auch die Differenzierung zwischen kulturbedingten und kulturell übergreifenden Nachrichtenfaktoren. Als kulturell übergreifend identifizieren Galtung/Ruge acht Faktoren, welche in der nachfolgenden Tabelle kurz erläutert werden.

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Abbildung 3: Interkulturelle Nachrichtenfaktoren nach Galtung/Ruge

Darauf aufbauend vermuten die norwegischen Friedensforscher die Gültigkeit von vier weiteren Nachrichtenfaktoren in westlichen Kulturen, die sie mit interkulturell gültigen Faktoren begründen.

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Abbildung 4: Kulturbedingte Nachrichtenfaktoren nach Galtung/Ruge

Weit über eine reine Aufzählung journalistischer Selektionskriterien hinaus geht Galtung/Ruges Hypothesenbildung zum Zusammenwirken von Nachrichtenfaktoren (vgl. Galtung, Ruge 1970: S. 271f).

- Selektionshypothese: Die Wahrscheinlichkeit der Verarbeitung eines Ereignisses zu einer Nachricht ist umso höher, je stärker die Faktoren zutreffen.
- Additivitätshypothese: Die Wahrscheinlichkeit der Veröffentlichung steigt mit der Anzahl der zutreffenden Nachrichtenfaktoren.
- Komplementaritätshypothese: Das Fehlen eines Faktors kann durch einen anderen ausgeglichen werden.
- Distorsionshypothese (= Verzerrungshypothese): Wenn ein Ereignis ausgewählt wurde, werden die auf die Nachrichtenfaktoren zutreffenden Bestandteile (Stereotypen) besonders betont.
- Wiederholungshypothese: Wiederholung der mit der Distorsionshypothese dargestellten Akzentuierung durch Verzerrung auf jeder Produktionsstufe, weshalb diese mit der Länge der Produktionswege wächst.

Die mittels einfacher Kontingenz-Tabellen im Rahmen der oben beschriebenen Inhaltsanalyse durchgeführte, exemplarische Untersuchung der Komplemtaritäts-Hypothese legt nahe, dass Kombinationen aus den Faktoren Eliteperson, Elitenation, Negativität und Personalisierung besondere Beachtung finden (vgl. Staab 1990: S. 63). Insbesondere gilt dies für die Paarung der Faktoren Eliteperson und Elitenation, Negativität und Eliteperson, Negativität und Elitenation sowie Negativität und Personalisierung, was nach Michaela Maier ein stark negativ verzerrtes Weltbild zur Folge hat (vgl. Maier et al. 2010: S. 23).

Darüber hinaus kritisiert Staab die Additivitäts- und Komplementaritätshypothese als logisch äquivalent, zielten doch beide auf die Untermauerung von Nachrichtenfaktoren als Indikator für die Publikations- und Beachtungswürdigkeit ab, und beschreibt die von Galtung und Ruge vorgenommene Differenzierung als unhaltbar (vgl. Staab 1990: S. 64). Øystein Sande, der im Ereignis verankerte Nachrichtenfaktoren als Steigerung der Wahrscheinlichkeit der Verarbeitung eines Ereignisses zu einer Nachricht sieht, bestätigt hingegen mit einer breit angelegten Inhaltsanalyse die Gültigkeit der Additivitäts- und der Komplementaritäts- wie auch der Selektionshypothese (vgl. Sande 1971: S. 222ff). So ist ein Ausgleich fehlender Nachrichtenfaktoren im Sinne der Additivitätshypothese durchaus anzunehmen, sofern die vorhandenen Faktoren eine umso größere Intensität aufweisen. Damit ist ein Ereignis, an dem beispielsweise keine bekannten Persönlichkeiten beteiligt sind, nicht per se als Nachricht ausgeschlossen, sondern kann etwa durch gravierende Negativität dennoch zur Berichterstattung führen. Verzerrungshypothese und Wiederholungshypothese hielten einer kritischen Betrachtung von Schulz stand (vgl. Schulz 1990: S. 95ff). Somit kann die Gültigkeit aller Annahmen von Galtung/Ruge im Großen und Ganzen als gegeben betrachtet werden.

Des Weiteren unterstellt Staab Galtung/Ruge ebenso wie Östgaard eine Vermischung unterschiedlicher Faktorendimensionen. So seien Negativismus sowie der Bezug zu Elitenationen oder -Personen Ereignisaspekte; Personalisierung, Frequenz und Eindeutigkeit hingegen Meldungscharakteristika. Ebenso moniert er das Fehlen einer expliziten Unterscheidung zwischen ereignisinhärenten objektiven Nachrichtenfaktoren und solchen, die Ereignissen subjektiv von Journalisten zugeschrieben würden, wodurch die Nachrichtenauswahl nicht mehr auf Basis der Nachrichtenfaktoren erfolge, sondern die Nachrichtenfaktoren als Resultat von Publikationsentscheidungen zu betrachten seien (vgl. Staab 1990: S. 64). Darüber hinaus würden Relationen, also räumliche, zeitliche sowie kulturelle Nähe, nicht trennscharf genug betrachtet. (vgl. Staab 1990: S. 58ff) Staabs Vorwurf vermischter Aspekte mag zwar theoretisch zu Unschärfe führen, in der Praxis trägt diese Betrachtung allerdings der Komplexität der Nachrichtenauswahl Rechnung (vgl. Boetzkes: 2008: S. 60). Claus-Erich Boetzkes legt darüber hinaus die Ergänzung der Aufzählung um den Nachrichtenfaktor Organisation nahe, da diesem eine „beträchtliche Rolle“ (Boetzkes 2008: S. 60) im Selektionsprozess von Nachrichten zukomme.

2.1.4 Sechs Nachrichtenfaktoren in amerikanischer Tradition

In der Amerikanischen Tradition der Nachrichtenwertforschung „ergibt sich ein relativ stabiler Katalog von insgesamt sechs Nachrichtenfaktoren“ (Staab 1990: S. 49). Exemplarisch soll hier die Sichtweise von James Buckalew dargelegt werden. Im Rahmen zweier Input-Output-Analysen sowie zweier experimenteller Studien untersucht der Amerikaner der Einfluss von Nachrichtenfaktoren auf die Selektionsentscheidungen von Journalisten, bestätigt mit seinen Ergebnissen fünf Faktoren und fügt mit Visualität einen sechsten rundfunkspezifischen hinzu. Den Faktor Ungewöhnlichkeit lässt er außen vor (vgl. Buchalew 1969: S. 47ff).

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Abbildung 5: Nachrichtenfaktoren nach Buckalew

Die Verfügbarkeit von Filmmaterial mag zwar wie Buckalew sie definiert ausschließlich für den Rundfunk gelten, lässt sich aber auf andere Medien übertragen. So ist etwa für Printzeitungen Informations- und häufig auch Bildmaterial essentiell, und elektronische Online-Medien benötigen aufgrund ihrer Multimedialität neben Text- und Bildmaterial häufig auch Audiobeiträge oder Filmausschnitte.

Ergebnis dieser Studie ist die Erkenntnis, dass das Selektionsverhalten von Journalisten stark mit den Nachrichtenfaktoren zusammenhängt. Darüber hinaus stellt auch Buckalew eine Steigerung des Publikationsrangs im Zusammenhang mit einer wachsenden Anzahl vorkommender Faktoren fest. Die Größte Bedeutung misst er dabei den Einflussgrößen Normalität, Nähe und Unmittelbarkeit zu. (vgl. Buckalew 1969: S. 47ff)

Allerdings konnten „die verschiedenen Wahrnehmungsdimensionen […] nicht mit Hilfe der Nachrichtenfaktoren interpretiert werden“ (Staab 1990: S. 53), wobei anzumerken ist, dass Buckalew den Begriff Nachrichtendimension synonym mit dem Ausdruck Nachrichtenfaktor gebraucht. Auch zweifelt Staab an der Zurückführung der Einschätzung der Publikationswürdigkeit auf die wahrgenommenen Nachrichtenfaktoren, und sieht in diesem Mangel eine Relativierung der Nachrichtenfaktoren im Selektionsprozess (vgl. Staab 1990: S. 53).

2.1.5 Gatekeeping zwischen 1950 und 1991

Bei den bereits behandelten Vertretern der frühen Nachrichtenwerttheorie Lippmann (1922), Östgaard (1965), Galtung/Ruge (1965) und Buckalew (1969) stehen die Nachrichtenfaktoren im Mittelpunkt der Analysen. Als Ereignissen inhärente Eigenschaften werden sie zur Erklärung journalistischer Selektionsentscheidungen herangezogen, weshalb diese Herangehensweise als „ereignisbezogener Ansatz“ (Maier et al. 2010: S. 18) bezeichnet wird.

Ebenso wie die Nachrichtenwertforschung beschäftigt sich die Gatekeeper-Theorie als „Klassiker unter den Theorien zur Nachrichtenwahl“ (Boetzkes 2008: S. 20) mit der Frage welches Ereignis aus welchen Gründen in die Medien kommt und welche Themen mit welcher Begründung verworfen werden (vgl. Boetzkes 2008: S. 20). Anders als in der Nachrichtenwerttheorie steht hierbei allerdings der Journalist als Individuum mit persönlichen Interessen, Beschränkungen, Einstellungen und Wertevorstellungen im Zentrum der Betrachtung, und steuert als Gatekeeper „die mediale Kommunikation, die den Empfänger erreicht“ (Boetzkes 2008: S. 37). Die Bezeichnung dieser Forschungsrichtung als „akteursbezogenen Ansatz“ (Maier et al. 2010: S. 17) kommt also von der Besinnung auf strukturelle Gegebenheiten sowie individuelle Merkmale einer handelnden Personen.

Einen akteursbezogenen Ansatz verfolgt auch David Manning White in seinem Beitrag „The Gate Keeper”, welchen er 1950 im Journalism Quaterly veröffentlichte. Darin setzt er sich theoretisch-wissenschaftlich mit Journalisten als Personen, beziehungsweise Subjekten, wie auch deren persönlichen Vorlieben, Meinungen und Aktivitäten auseinander. „In der Individual-Psychologie ist es eine wohl bekannte Tatsache, dass Menschen dazu tendieren nur solche Geschehnisse als wahr zu empfinden, die zu ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen passen“ (White 1950: S. 390). Dies gilt auch für Redakteure, welche die Ereignisse auswählen, die sie für die Leserschaft aufbereiten. Bewusst, oder unbewusst lesen diese Gatekeeper als „Vertreter ihrer Kultur“ (White 1950: S. 390) genau jene Ereignisse aus, die sie selbst für wahr halten (vgl. White 1950: S. 390) und entscheiden in welcher Form eine Nachricht, eine Meldung oder ein Bericht darüber veröffentlicht wird (vgl. Boetzkes 2008: S. 23). Sie sind also die alleinigen Wächter an der Schleuse des Informationsflusses, die entscheiden, welche Geschehnisse in welcher Form hindurch kommen und welche nicht.

White betont wie „hochgradig subjektiv“ (White 1950: S. 386) diese Entscheidungen seien, wie groß die Abhängigkeit von individuellen Wertvorstellungen ausfällt, die wiederum auf den persönlichen Erfahrungen, Wertvorstellungen und Erwartungen des jeweiligen Journalisten beruhe (vgl. White 1950: S. 386). In seiner aktiv handelnden, nach persönlichen Kriterien Entscheidungen treffenden Rolle, ist der Journalist nach White ein „aktiver Gatekeeper“ (Maier et al. 2010: S. 120), was der Sichtweise des individualistischen Ansatzes entspricht.

Darüber hinaus befasst sich White mit dem Einfluss struktureller Gegebenheiten. Um seine auf den Erkenntnissen des Psychologen Kurt Lewin beruhende Theorie der Nachrichtenauswahl empirisch zu hinterlegen, setzt der Bostoner Universitätsprofessor auf eine dreigeteilte Methodik. Einer Input-Output-Analyse sowie einem Copy-Test folgt eine halbstrukturierte Befragung. Die Ergebnisse der Studie belegen einen hohen Einfluss organisatorischer Faktoren. Insbesondere sind der zur Verfügung stehende Platz, der Zeitpunkt des Eintreffens einer Nachricht sowie der im Medium bereits vorliegende Themenmix als beschränkende organisatorische Faktoren zu benennen, aber auch subjektive Gründe, wie etwa persönliches Interesse, spielen eine bedeutende Rolle in der Nachrichtenselektion (vgl. White 1950: S. 388).

Allerdings ist Whites Beobachtung nicht als repräsentativ einzustufen, da seine Forschung auf eine einzelne Beobachtungsperson beschränkt ist. Dennoch ist seine Arbeit nicht zu unterschätzen, stellt sie doch den „Startschuss für eine ganze Serie von Studien über die Kriterien und die Mechanismen der Nachrichtenauswahl“ (Robinson 1973: S. 344) dar.

In einer Nachfolgestudie Whites löst sich Walter Gieber von der Vorstellung eines subjektiv selektierenden Gatekeepers (vgl. Boetzkes 2008: S. 27) als aktiv handelnde Person im Sinne des individualistischen Ansatzes. Vielmehr nimmt der Journalist in Giebers Abhandlungen die Rolle eines passiven Informationsvermittlers ein, dessen Handlungen von externen Bedingungen bestimmt werden (vgl. Maier et al. 2010: S. 120). Diese „institutionellen Zwänge“ (Weischenberg 2014: S. 275) sind zusammen mit strukturellen Sachzwängen in Form der organisatorischen Aspekte Platz, Zeit, Personal und Material, handlungsleitend für die Gatekeeper (vgl. Staab 1990: S. 17, Boetzkes 2008: S. 27). Dies ist auch der Grund, weshalb die von Gieber vertretene Sichtweise als institutioneller Ansatz bekannt ist. In den Ergebnissen einer Input-Output-Analyse, strukturierter Interviews sowie eines Praxistests zur Beurteilung von Agenturmeldungen bei Redaktionsmitgliedern sieht Gieber die Bestätigung seines Ansatzes. Allerdings wiedersprechen Theoretiker wie Boetzkes (2008) und Staab (1990) der Vorstellung eines umfassend fremdbestimmt handelnden Journalisten.

Wolfgang Donsbach interessiert sich in der Tradition der Mainzer Schule nicht nur für Einstellungen von Journalisten, sondern darüber hinaus für ihr Selbstverständnis und die damit verbundene Berufsauffassung, da auch diese die Selektion von Nachrichten beeinflussen (vgl. Boetzkes 2008: S. 34f). Auf der Basis empirischer Kommunikationsforschung entwickelte Donsbach das Vier Sphären Modell, eine Auflistung und Zuordnung die Auswahl von Medieninhalten beeinflussender Faktoren, zu vier Dimensionen. Diese nennt Donsbach Subjekt-, Professions-, Institutions- und GesellschaftsSphäre (vgl. Donsbach 1987: S. 112).

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Abbildung 6: Vier Sphären Modell nach Donsbach

Der Subjektsphäre ordnet Donsbach die individuumsspezifischen Faktoren wie subjektive Werte und das persönliche Aufgabenverständnis zu, welche einen aktiven Gatekeeper ausmachen. Darüber hinaus fließt hier auch die wandelbare gesellschaftliche Position ein. Explizite Forschungsresultate Donsbachs betreffen vor allem das Selbstverständnis deutscher Journalisten. So würden sie etwa gründlicher Recherche weniger Bedeutung beimessen als der Möglichkeit, Ereignisse und Fakten zu bewerten und ihre Nachrichtenselektion eher an Hand persönlicher Einstellungen vornehmen, denn an den Wünschen und Bedürfnissen der Leserschaft (vgl. Boetzkes 2008: S. 35). Handlungsroutinen, Arbeitsweisen wie auch Nachrichtefaktoren fasst Donsbach unter anderem als Professionssphäre zusammen. Dabei erkennt er einen geringen Hang zur Objektivität, oder dem Hinterfragen von Kritik durch einzelne Journalisten und begründet dies mit hohem Zeitdruck und der redaktionsinternen Orientierung an Kollegen. Unter den Oberbegriff Institutionssphäre fallen Einflussfaktoren, die sich innerhalb der Organisation entwickeln, etwa technische Strukturen oder der hausinterne Umgang mit der Pressefreiheit. Bemerkenswert ist hierbei, dass die publizistische Eigenständigkeit einzelner Redakteure offenbar sehr hoch ist, was mit kaum vorhandener Arbeitsteilung und einer geringen Kontrolle durch Mitarbeiter oder Vorgesetzte zu begründen ist. Organisationsexterne Faktoren, beispielsweise politische Kultur oder vorherrschenden Zeitgeist, bündelt Donsbach in der Gesellschaftssphäre und hebt die auf der Pressefreiheit beruhende Sonderstellung der Medien in der Gesellschaft hervor (vgl. Boetzkes 2008: S. 36).

Kritisiert wird dieser Ansatz unter anderem von Löffelholz (2001), der das Fehlen ökonomischer oder organisatorischer Faktoren beanstandet, welche die Auswahl von Nachrichten determiniert. Darüber hinaus würden auch Zeit und Quellenabhängigkeit ausgeblendet (vgl. Löffelholz 2001: S. 10). Zwar sind in Donsbachs Abhandlungen nicht alle zur „Steuerung medialer Kommunikation“ (Westley, MacLean: 1957: S. 35) verwendbaren, und somit die Nachrichtenselektion beeinflussenden Faktoren genannt, dennoch liefert der Autor einen ganzheitlichen Ansatz, der über die isolierte Betrachtung von Nachrichtenfaktoren oder organisatorischen Faktoren hinausgeht.

Pamela Shoemaker geht davon aus, dass die Persönlichkeit des Individuums, als welches nach ihrem Ansatz jeder Gatekeeper betrachtet werden muss, trotz aller Sachzwänge, organisatorischer Eingebundenheit und professioneller Routinen eine Rolle spielt (vgl. Shoemaker 1991: S. 70ff). Im Kontext kognitiver Selektionsmechanismen übernimmt sie Aspekte der psychologischen Forschung und überträgt diese auf den Gatekeeping-Prozess. Auf die einzelnen Punkte soll hier nicht näher eingegangen werden. Festzuhalten ist allerdings, dass besagte Mechanismen Journalisten bei der Einordnung von Nachrichten helfen, indem sie persönliche Erfahrungswerte und Arbeitsroutinen zur Entscheidung heranzieht, ob ein Ereignis als Nachricht publiziert werden soll oder nicht. (vgl. Shoemaker 1991: S. 39) Als Routine beschreibt sie dabei in einer späteren Publikation „musterhafte, eingeschliffene, sich stets wiederholende Vorgehensweisen in der journalistischen Arbeit“ (Shoemaker, Reese 1991: S. 85). Sie dienen etwa der Herausstellung von Objektivität und der Vermeidung einer Hervorrufung von Kritik gegenüber den Journalisten, redaktionsintern, wie auch extern. Exemplarisch können die mehrperspektivische Berichterstattung bei heiklen Themen, die dem Vorwurf der Parteilichkeit entgegenwirken soll, die Ergänzung einer (wertenden) Nachricht mit nachprüfbaren Information zur Steigerung ihrer Glaubwürdigkeit, oder auch die Angabe der Informationsquelle bei nicht einhundertprozentiger Überprüfbarkeit der Daten zur Sicherung einer seriösen Berichterstattung, und die der Wahrnehmung als distanzierter Berichterstattung förderliche strenge Trennung von Nachricht und Kommentar, genannt werden. (vgl. Boetzkes 2008: S. 52f)

„Im Wesentlichen entspricht das Gatekeeper-Modell der Struktur der Stimulus-Response- Theorien und definiert die Nachrichtenauswahl als Wirkungsprozess“ (Staab 1990: S. 14). Unabhängige Ursachen sind hierbei die Ereignisse, welche publizierte Nachrichten als abhängige Variable bewirken. Journalistischen Selektionsentscheidungen, in diesem Kontext als intervenierende Variable zu sehen, wird nur eine passive Rolle als Vermittler einer faktischen Realität zugeschrieben. Aufgrund der Ursache-Wirkung-Beziehung sowie der größtenteils passiven Rolle der Journalisten ähnelt diese Sichtweise dem Kausalmodell in der Nachrichtenwertforschung. Allerdings ist dieses Idealbild einer wirklichkeitsgetreuen Abbildung der Realität in all ihren Facetten faktisch unmöglich. (vgl. Staab 1990: S. 14f) „Der erkenntnistheoretische Optimismus dieses Modells unterstellt, dass Journalisten [...] die Realität so darstellen, wie sie tatsächlich ist. Das Ziel der Gatekeeper-Forschung bestand deshalb darin, Einflussfaktoren, die eine ereignisadäquate Berichterstattung beeinflussen oder verhindern, aufzudecken und zu analysieren“ (Staab 1990: S. 15). Verkomplizierend für die generalisierte Forschung kommt hinzu, dass Selektionsentscheidungen primär vom jeweiligen Tagesgeschehen abhängen (vgl. Grey 1966: S. 419ff), und anhand von persönlichen Erfahrungen jedes Journalisten wahrgenommen und interpretiert werden.

2.1.6 Nachrichtenfaktoren als Hypothesen journalistischer Wahrnehmung

Mit einer völlig neuen Herangehensweise an die Erforschung journalistischer Selektionsentscheidungen wartet Winfried Schulz 1976 auf. Zwar sieht er sich selbst als Vertreter der Nachrichtenwerttheorie, fordert aber gleichzeitig deren theoretische Neuordnung in Form einer Relativierung von Nachrichtenfaktoren als objektive Eigenschaften der Realität (vgl. Schulz 1990 S. 25f). Diesen Schritt hält er für notwendig, da nach seinem Dafürhalten die Wirklichkeit erst durch „Sinngebung des beobachtbaren und vor allem auch des nicht beobachtbaren Geschehens“ (Schulz 1990: S. 28) konstruiert wird. Die Auslegung der bisherigen Nachrichtenwertforschung auf Falsifizierung, durch den Vergleich gemessener medialer Berichterstattung mir der Realität, hält er für unnötig und unmöglich, da das vorliegende Realitätsbild erst durch die massenmediale Berichterstattung erzeugt wird (Schulz 1990: S. 25). Somit kann es keine wahre und objektiv vorliegende Realität geben. Dies schmälert aber nicht die Bedeutung der Nachrichtenwertforschung, denn „eine Untersuchung der Medienrealität allein ist für eine Analyse der journalistischen Definitionsmodelle genügend“ (Holtz-Bacha, Kutsch 2002: S. 412) urteilen Christina Holtz- Bacha und Arnulf Kutsch.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Nachrichtenwerttheorie findet sich bei Schulz eine explizite Unterscheidung zwischen Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert. Nachrichtenfaktoren beschreibt er als „journalistische Hypothesen von Realität“ (Schulz 1990 S. 30), welche der Definition und Interpretation der Wirklichkeit dienen. Als „journalistische Hilfskonstruktion zur Erleichterung der notwendigen Selektionsentscheidungen“ (Schulz 1990: S. 30) funktionieren sie als Indikatoren für journalistische Realitätshypothesen (vgl. Uhlemann 2012: S. 37), nicht wie bei den früheren Theorieansätzen etwa von Galtung/Ruge (1956) als einem Ereignis inhärente Eigenschaften, die das Potential ausdrücken, zur Nachricht verarbeitet zu werden. „Nachrichtenfaktoren sind demnach Annahmen über die Eigenschaften der Welt von Journalisten, die durch deren Darstellung die Realität bestimmen“ (Uhlemann 2012: S. 37). Somit prägen sie indirekt auch die Realitätskonstruktionen der Leserschaft.

Zusammengenommen beschreiben die einzelnen Nachrichtenfaktoren das „Konstrukt journalistischer Umweltwahrnehmungen“ (Holtz-Bacha, Kutsch 2002: S. 412), als welches der Nachrichtenwert zu sehen ist. Er setzt sich zusammen aus dem Publikationswert, den ein Ereignis erlangt, indem es als Nachricht veröffentlicht wird, und dem Beachtungswert, also der der Nachricht vom Journalisten zugemessenen Bedeutung, welche sich in der Art der Veröffentlichung in Form von Aufmachung, Umfang und Platzierung materialisiert (vgl. Schulz 1990: S. 30). Als weitere Neuentwicklung ist die explizite Differenzierung zwischen Nachricht und Ereignis zu nennen. Erstmals wird das Ereignis nicht mehr als in sich abgeschlossenes Element betrachtet, die Realität nicht mehr als Kette dieser Elemente, deren einzelne Glieder durch eine Ursache-Wirkung-Beziehung miteinander verbunden sind. Vielmehr entsteht ein Ereignis erst durch die herausgelöste Betrachtung eines Realitätsausschnitts, durch die räumliche und zeitliche Definition seiner Grenzen und die darauf folgende Abbildung in den Medien. Dabei stellt schon die Auswahl durch einen Beobachter eine Interpretation dar, weshalb die Nachrichtenberichterstattung nicht einhundertprozentig der Realität entsprechen kann und von Schulz als „Selektion, Interpretation und Sinngebung von Realität“ (Schulz 1990 S. 28) interpretiert wird. (vgl. Schulz 1990 S. 25ff) In Kapitel 2.2 wird diese Ausdifferenzierung genauer erläutert.

In diesem Kontext formuliert Schulz seine 18 Hypothesen journalistischer Wahrnehmung, die er sechs Faktorendimensionen zuordnet und als Definitionskriterien der journalistischen Realität heranzieht (vgl. Staab 1990: S. 81f).

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Abbildung 7: Nachrichtenfaktoren nach Schulz 1976

Bereits ein Jahr später modifizierte Schulz seinen Faktorenkatalog und sein Analysendesign, um auch den Vorstellungen der Rezipienten Rechnung zu tragen (vgl. Staab 1990: S. 85). Als Resultat dieser Überarbeitung kann die Präzision mehrere Dimensionen enthaltener Faktoren und die globalere Neudefinition jener Faktoren genannt werden, die 1976 ungerechtfertigter Weise ausdifferenziert wurden (vgl. Staab 1990: S. 86). In dieser Version von 1977 werden 20 Nachrichtenfaktoren ebenfalls sechs Dimensionen zugeordnet, was die nachfolgende Tabelle verdeutlicht (vgl. Staab 1990: S. 86ff).

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Abbildung 8: Nachrichtenfaktoren nach Schulz 1990

Im Vergleich zu Galtung/Ruge (1965), deren Arbeit den Ausgangspunkt von Schulz Überlegungen und gleichzeitig seine Argumentationsbasis darstellt, entfallen die Faktoren Konstanz und Komposition vollständig. Die Erhebung der Kontinuität entspricht in etwa dem Faktor Thematisierung von Galtung/Ruge, beschreiben doch beide die Zuordnung eines Ereignisses zu einem Thema und nicht etwa die dazu vorangegangene Berichterstattung. Galtung/Ruges Eindeutigkeit ist mit Schulz Stereotypie vergleichbar, die Bedeutsamkeit findet sich unter Relevanz, Überraschung und Konsonanz (als Vorhersehbarkeit) werden der

Dimension Dynamit zugeordnet und die Tendenz zum Negativismus taucht in den Faktoren Aggression und Kontroverse wieder auf. Während Schwellenfaktor und Variation als Kriterien verschwinden, führt Schulz den Faktor Emotionalisierung ein, welcher zusammen mit der Personalisierung der Dimension Human Interest zugeordnet ist. Die von Galtung/Ruge erarbeitete Struktur behält Schulz, wenn auch modifiziert, im Kern bei, doch er kürzt Faktoren und fügt Neue hinzu.

Aus den Daten seiner umfangreichen Inhaltsanalyse extrahiert der Theoretiker die Faktoren Negativismus, Ethnozentriertheit, persönlicher Einfluss, Erfolg und Thematisierung als überdurchschnittlich bedeutsam für einen hohen Nachrichtenwert (vgl. Holtz-Bacha, Kutsch 2012: S. 412). Allerdings verzeichnet Schultz eine variierende Bedeutung einzelner Faktoren im Untersuchungszeitraum, für welche er drei Erklärungsmöglichkeiten anführt. Als erste Variante nennt er den Einfluss, den Ereignismerkmale zusätzlich zu Nachrichtenfaktoren auf die Nachrichtenselektion ausüben, und den die jeweilige Ereignislage bedingt. Alternativ schlägt Schulz die Interdependenz, also die gegenseitige Abhängigkeit der Faktoren vor, die sich in einem Zusammenwirken bestimmter Konstellationen und Kombinationen von Faktoren niederschlägt. Auch organisatorische Veränderungen bei den einzelnen Medien, etwa personelle oder technische Entwicklungen, zieht Schulz in Betracht, da diese ein verändertes Selektionsverhalten des Mediums verursachen können. (vgl. Schulz 1990: S. 77ff)

Infolge von Schulz neuer Betrachtungsweise der Nachrichtenfaktoren befindet Staab, dass die Nachrichtenwerttheorie nicht mehr zur Erklärung des Selektionsprozesses herangezogen werden kann. Vielmehr erstrecke sich ihr neuer Geltungsbereich auf die Frage nach der Bedeutung der Nachrichtenfaktoren für die Gewichtung von Beiträgen durch Umfang, Platzierung und Aufmachung (vgl. Staab 1990: S. 205), also kurz, auf den Beachtungswert. Auch ist in der nachfolgenden Literatur die Infragestellung einer kausalen Wirkungskette aus Nachrichtenfaktor und Nachrichtenselektion beziehungsweise Nachrichtenberichterstattung zu verzeichnen (vgl. u.a. Kepplinger 1989, Staab 1990, Uhlemann 2012).

2.1.7 Überformte Kausalität

Infolge des durch Schulz Abhandlungen erlittenen Verlusts des Anspruchs der Nachrichtenwerttheorie die Realität abzubilden, lenkt Kepplinger den Fokus der Forschungen auf die Mechanismen, welche das von Nachrichten vermittelte Realitätsbild beeinflussen können. Diese sollen durch bewusste oder unbewusste Einstellungen der Journalisten hervorgerufene Tendenzen in der Berichterstattung erklären (vgl. Fretwurst 2008: S. 45). Der entscheidende Unterschied liegt in der Ursachenvermutung für Medieninhalte. Kepplinger betrachtet die Erwartungshaltung der Journalisten als Grundlage der Nachrichten, denn erst die Erwartung von Berichterstattung zu einem Ausschnitt des Geschehens schafft daraus ein „Pseudo-Ereignis“ (Kepplinger 2001: S. 56) und dessen Eigenschaften, die Nachrichtenfaktoren (vgl. Kepplinger 1989: S. 11ff). Somit ist die massenmedial dargestellte Realität zugleich eine Folge der erwarteten Berichterstattung, weshalb eine kausale Wechselwirkung zwischen Ereignis und Berichterstattung besteht (vgl. Fretwurst 2008: S. 45). Der gesamte Prozess wirkt dabei „autopoietisch“ (Luhmann 1991: S. 137), also sich selbst reproduzierend im Sinne von Nikolas Luhmanns Systemtheorie, für den die Informationsverarbeitung das Gegenteil von Entropie darstellt, da es darin Differenzen und Unterschiede gibt (vgl. Luhmann 2006: S57). Durch die Erzeugung von Nachrichten, die einen Unterschied machen, reproduziert sich das System nicht nur selbst, sondern bewirkt auch Veränderungen in der massenmedial dargestellten Realität, die wiederum der Berichterstattung bedürfen.

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Abbildung 9: Kausaler Zirkelschluss

Da Pseudo-Ereignisse als Resultat von Erwartungen und somit als „Zweck der Berichterstattung“ (Kepplinger 2011: S. 55) zu gelten haben, muss ihnen allerdings auch eine zweckdienliche Schaffung im Sinne des berichtenden Mediums unterstellt werden. Folglich muss der Kausalbeziehung aus Ereignis und Berichterstattung im Sinne der frühen Nachrichtenwertforschung ihre alleinige Gültigkeit abgesprochen werden. Am Anfang der Wirkungskette steht die Zwecksetzung eines Akteurs in Form einer Publikation oder der Folgen einer Publikation, welche die Wahl eines zur Stimulierung der Publikation geeigneten Mittels, des Pseudo-Ereignisses, zur Folge hat. Im nächsten Schritt erfolgt der Ursache- Wirkungsprozess von Ereignis und Publikation, den der selektierende Kommunikator interveniert. (vgl. Kepplinger 2001: S. 55) Letztendlich führt diese Handlungs- und Selektionskette zum angestrebten Ergebnis: Eine Publikation und ihre Folgen. Diesen im folgenden Modell dargestellten Prozess instrumentalisierter Nachrichtenauswahl bezeichnet Kepplinger als „Instrumentelle Aktualisierung“ (Kepplinger 2011: S. 56).

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Abbildung 10: Instrumentelle Aktualisierung nach Kepplinger

Nach diesem Modell sind Selektionsentscheidungen von Journalisten also zielgerichtete Handlungen und keine unmittelbaren Reaktionen auf Reize in der Realität. Als Funktionäre der Massenmedien arbeiten Journalisten auf die Erreichung deren individueller, meist ökonomischer Ziele hin. Die Ereignisse stehen dabei stets im instrumentellen Kontext des jeweiligen Sachzusammenhangs.

Schulz Umkehrung der analyseinhärenten Logik vorangegangener Forschungen kritisiert Kepplinger scharf, denn sie „verleitet zu der nahe liegenden, aber irrigen Annahme, die Nachrichtenfaktoren wären die unabhängige, der Nachrichtenwert die abhängige Variable in der Nachrichtenwert-Theorie“ (Kepplinger, Rouwen: 2000: S. 465). Kepplinger sieht Nachrichtenfaktoren als Ereignisaspekte, die je nach Intention und Zielsetzung des Journalisten betont oder heruntergespielt werden, also als Verarbeitungskriterien fungieren (vgl. Staab 1990: S. 96, Fretwurst 2008: S. 46). So können Ereignisse je nach Akzentuierung beispielsweise eine bestimmte soziale oder politische Entwicklung wie auch eine Konfliktlösung nahelegen.

Insofern kann Kepplingers Modell der Instrumentellen Aktualisierung einerseits als „Konkurrenzmodell“ (Fretwurst 2008: S. 45) zu Schulz Hypothesen Journalistischer Wahrnehmung aufgefasst werden, andererseits ist auch die Betrachtung als ergänzendes Modell möglich, denn beide Ansätze können keine vollständige Aufklärung journalistischer Selektionsentscheidungen erbringen (vgl. Fretwurst 2008: S. 45).

2.1.8 Erweiterung des Kausalprinzips um das Finalmodell

In seiner „Untersuchung der Bedeutung von Nachrichtenfaktoren in der politischen Gesamtberichterstattung der Massenmedien“ (Staab 1990: S. 129) sucht Staab nach denjenigen Nachrichtenfaktoren, welche als Hypothesen journalistischer Wahrnehmung identifizierbar sind, und denen Journalisten „einen besonderen Wert bei der Erklärung der Beachtung, die eine Nachricht von Publikum erfährt“ (Uhlemann 2012: S. 70) zuweisen. Dabei betont er, dass die Bedeutung der Nachrichtenfaktoren niemals absolut sein könne, sondern nur im Zusammenhang, beziehungsweise im Vergleich mit anderen Nachrichten desselben Tages gelte (vgl. Staab 1990: S. 113). Staab baut seine Theorie auf Schulz Hypothesen auf und integriert Kepplingers Idee eines (politisch) zielgerichtet handelnden Journalisten, woraufhin ein für die Nachrichtenwertforschung neuer Denkansatz entsteht.

Dieses Finalmodell der Nachrichtenwerttheorie begreift journalistische Selektions- entscheidungen „nicht als unmittelbare Reaktionen auf bestimmte Realitätsreize“ (Staab 1990: S. 96) sondern vielmehr als „zielgerichtete Handlungen“ (Staab 1990: S. 96) von Individuen und Medien. Nachrichtenfaktoren sind hierbei nicht nur als Ursachen für die Selektionsentscheidung in Form zur Auswahl führender Merkmale, sondern darüber hinaus auch als Wirkung von Publikationsentscheidungen zu betrachten, indem sie in der Berichterstattung zur Steuerung der Beachtungswürdigkeit überproportional hervorgehoben werden. Als Beachtungswürdigkeit ist in Anlehnung an Fretwurst „ein Maß für die Wichtigkeit, die ein Medium einem Ereignis - im Vergleich zu anderen - zuweist“ (Fretwurst 2008: S. 11) zu verstehen. Somit gilt die Publikationsentscheidung nicht länger als abhängige Variable, diese Rolle kommt fortan den Nachrichtenfaktoren als Legitimationselementen der vorgenommenen Selektion zu, sondern als unabhängige Variable. Auch die Journalisten zugeschriebene Bedeutung wird in dieser Sichtweise modifiziert. Vom passiven Informationsvermittler entwickelt er sich zum aktiven, nach subjektiven Kriterien und dem Konzept der Nachrichtenfaktoren handelnden Informationsgestalter. „Das Finalmodell setzt […] die Gültigkeit des Kausalmodells voraus: nur wenn die Nachrichtenfaktoren tatsächlich als Selektionskriterien fungieren und an ihnen orientierte professionelle Normen bestehen, können sie glaubhaft zur Legitimation von Publikationsentscheidungen genutzt werden“ (Staab 1990: S. 98). Somit ist das Finalmodell nicht als eigenständige Theorie, sondern vielmehr als Ergänzung des Kausalmodells zu betrachten. (vgl. Staab 1990: S. 98) Je nach theoretischem Ansatz treten unterschiedliche Sichtweisen und Ausprägungen dieses Modells auf.

Seine Finalität besteht nach Staab in der nachträglichen Zuschreibung von Nachrichtenfaktoren zur Erhöhung des Publikations- und Beachtungswerts. Diese ist in zwei Klassen gegliedert, die explizite Zuweisung von Nachrichtenfaktoren oder deren Hervorhebung, was eine Betonung im Sinne der Verzerrungshypothese von Galtung/Ruge (1965) bedeutet. Als zweite Möglichkeit ist eine implizite Zuschreibung zu nennen, die durch die Einbettung einer Nachricht in einen Kontext mit hohem Nachrichtenwert erfolgt. Die Nachrichtenfaktoren fungieren somit als intrapersonell anerkannte Selektionskriterien, als „bewusst oder unbewusst eingesetzte Mittel, um die Beachtungswürdigkeit von Beiträgen zu steuern“ (Staab 1990: S. 98). Als Gründe für die Beeinflussung der Berichterstattung durch Journalisten nennet Fretwurst in diesem Zusammenhang ökonomische Interessen sowie das Selbstverständnis der Akteure (vgl. Fretwurst 2008: S. 56). Allerdings können auch andere Elemente, wie beispielsweise die in Donsbachs „Vier Sphären Modell“ Angesprochenen, die Selektionsentscheidungen lenken. Die Grenzlinie, wo die durch Zuschreibung erreichte Instrumentalisierung von Nachrichtenfaktoren aufhört und eine „triviale Umgewichtung“ (Fretwurst 2008: S. 56) beginnt, ist fließend und kann nicht trennscharf gezogen werden. Dennoch empfiehlt Staab die Ergänzung des Kausalmodells um eine Finale Perspektive, zweifelt er doch an der Fähigkeit von Journalisten als Individuen die Realität objektiv abbilden zu können (vgl. Staab 1990: S. 94).

Staab misst der Frage nach dem Einfluss von Verlegern oder Redaktionsleitern auf die Auswahlentscheidung von Journalisten als institutioneller Faktor der Nachrichtenauswahl eine erhebliche Bedeutung zu, weshalb er die Analyseperspektive auf das Umfeld der Journalisten erweitert und sich mit diversen vorangegangenen Studien beschäftigt (Staab 1990: S. 18). Eine davon ist Warren Breeds Befragung von 120 Redakteuren, die zu dem Ergebnis kommt, dass „die Homogenität der Nachrichtenauswahl in einer Redaktion nicht auf explizite Handlungsanweisungen, sondern auf Sozialisations- und Umwelteffekte zurückzuführen ist“ (Staab 1990: S. 20). Dieser Ansicht wiederspricht David R. Bowers, denn seine Nachfolgestudie schließt darauf, dass „die Verleger die Nachrichtenauswahl massiv und direkt beeinflussen“ (Staab 1990: S. 23). Bowers These ist als gültig anzusehen, wird sie doch von diversen Theoretikern bestätigt (vgl. Staab 1990: S. 23ff). Zu diesem Schluss kommt auch Staab, der infolgedessen von einer redaktionsinternen und -externen Kontrolle der Journalisten durch „formelle und informelle Feedback-Prozesse“ (Staab 1990: S. 25) ausgeht. Darüber hinaus identifiziert er die Orientierung an Prestigemedien als eine für die Standardisierung von Inhalten verantwortliche Größe (vgl. Staab 1990: S. 25).

Mittels der Durchführung mehrerer quantitativer Inhaltsanalysen zur differenzierten Ermittlung der Bedeutung von Nachrichtenfaktoren für die Nachrichtengebung der Massenmedien erarbeitet Staab einen Katalog mit 22 Nachrichtenfaktoren, die er in zwei Klassen aufgliedert. Zudem nutzte er die gewonnenen Daten zur Analyse des „Allgemeinheitsgrads des Kausalmodells“ (Staab 1990: S. 116) und zur Überprüfung des Finalmodells (vgl. Staab 1990: S. 116).

In der ersten Klasse sammeln sich indizierbare Nachrichtenfaktoren, welche sich als „quasi- objektiv bezeichnen [lassen], ihr Vorhandensein und ihre Intensität ist anhand von präzisen Indikatoren intersubjektiv feststellbar“ (Staab 1990: S. 121f). Bei der zweiten Klasse handelt es sich um Konsensbedingte Nachrichtenfaktoren. Diese sind „mehr oder weniger subjektiv“ (Staab 1990: S. 122), ihr Vorhandensein und ihre Intensität ist „lediglich anhand von historischen, politisch und kulturell vermittelten Einschätzungen“ (Staab 1990: S. 122), welche auf einem Gesellschaftsweiten Konsens beruhen, festzustellen. Einen Überblick liefert die unten stehende Tabelle.

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Abbildung 11: Nachrichtenfaktoren nach Staab

Allerdings ist Staabs Vorhaben mit der Ausarbeitung von Nachrichtenfaktoren noch nicht abgeschlossen. So hinterfragt er die Grundpfeiler der Nachrichtenwertforschung und arbeitet vier Problemdimensionen heraus. Als Erste ist der zweifelhafte Status der Nachrichtenwerttheorie zu nennen, denn durch die Infragestellung der Wirkungskette, aus Nachrichtenfaktor als Ursache und journalistischer Selektionsentscheidung als Wirkung, muss das Kausalmodell in seiner Gesamtheit auf den Prüfstand gebracht werden, sofern keine Ergänzung um ein Finalmodell erfolgt. Nur wenn die Intentionalität journalistischen Handelns, wie auch der Status von Nachrichtenfaktoren, als Folge von Publikations- entscheidungen berücksichtigt wird, können Nachrichtenfaktoren als Legitimationselemente von Meldungen fungieren. Wenn aber dem Kausalmodell ohne die Ergänzung durch das Finalmodell seine Gültigkeit abgesprochen wird, verliert zwangsweise auch das Finalmodell, das die Gültigkeit des Kausalmodells voraussetzt, seine Daseinsberechtigung. (vgl. Staab 1990: S. 207) Aufgrund dieser Verstrickung sieht sich Staab nicht in der Lage eine Bestätigung oder Falsifizierung der Richtigkeit der Ergänzung des Kausalmodells um das Finalmodell zu formulieren (vgl. Staab 1990: S. 215). Auch Fretwurst erkennt, „Kausalwirkung und Finalwirkung können nicht am Ergebnis, also an der Berichterstattung, unterschieden werden“ (Fretwurst 2008: S. 48). Genauso wenig wie Staab kann er sich für die Richtigkeit des einen oder anderen Modells aussprechen, denn seiner Meinung nach ist „das ergänzende Nebeneinander […] lediglich eine idealisierte Integration beider Modelle - sie können jedes auch allein stehen, sich gegenseitig ausschließen, oder auch einen gewissen (kaum bestimmbaren) überlappenden Bereich teilen“ (Fretwurst 2008: S. 48f). Die Frage nach dem Status der Nachrichtenwerttheorie muss also unbeantwortet bleiben.

Ebenfalls problematisch ist der Ereignisbegriff, denn unterschiedliche Definitionen führen zu divergierenden Gewichtungen der Nachrichtenfaktoren desselben Ereignisses in unterschiedlichen Medien. Die Instrumentalisierung von Nachrichtenfaktoren ist dabei durch die fehlende Überprüfbarkeit ausgeschlossen. (Staab 1990: S. 207f) Kapitel 2.2.2 geht nochmals auf den Ereignisbegriff ein.

Das Fehlen der Option zur Falsifizierung resultiert in „nur einen eingeschränkten empirisch überprüfbaren Geltungsbereich“ (Staab 1990: S. 208), auf den die Nachrichtenwerttheorie sich beziehen darf. Deshalb kann Staab sie nicht mehr als „Theorie der Nachrichtenselektion“ (Staab 1990: S. 208) betrachten, sondern er erkennt nur noch ein „Modell zur Beschreibung und Analyse von Strukturen in der Medienrealität“ (Staab 1990: S. 208). Infolgedessen fordert er eine generelle Schärfung des Problembewusstseins für die Grenzen der Nachrichtenwerttheorie. (vgl. Staab 1990: S. 208)

Weiterhin problematisch sieht Staab auch die Verallgemeinerbarkeit der Nachrichtenwertforschung. Ihr Allgemeinheitsgrad sei bisher genauso wenig empirisch untersucht worden, wie der Anspruch einer doppelten Gültigkeit der Nachrichtenwerttheorie. Themenspezifische Untersuchungen wurden mit demselben Handwerkszeug und auf die gleiche Art und Weise vorgenommen wie Analysen der Gesamtberichterstattung, obwohl nicht geklärt ist, ob bei so verschiedenartigen Untersuchungsgegenständen die gleichen Maßstäbe angesetzt werden können. (vgl. Staab 1990: S. 208f) Für den weiteren Verlauf dieser Abhandlung wird die Gültigkeit der theoretischen Grundsätze als mediumsunabhängig vorausgesetzt.

Nachrichtenfaktoren als Konstruktionsprinzipien von Nachrichten Stefan Frerichs betrachtet die Nachrichtenwerttheorie aus einer konstruktivistischen Perspektive. Dabei sucht er weniger nach einer empirischen Erklärung der Theorie, sondern fokussiert auf die Ableitung von Nachrichtengrundsätzen aus seiner vorangegangenen Thesenbildung (vgl. Frerichs 2000: S. 353). Als weiteren Punkt, der Frerichs Herangehensweise von der anderer Theoretiker unterscheidet, ist seine Sichtweise der Nachrichtenfaktoren als Konstruktionsprinzipien zu nennen, die Beobachter Ereignisse erkennen und darüber berichten lassen. Natürlich fürt das Erkennen von Ereignissen durch einen subjektiven Beobachter zu unterschiedlichen Wahrnehmungen der Realität, was allerdings kein Hindernis im Sinne der konstruktivistischen Argumentation darstellt. Vielmehr ist eine objektive Analyse wahrer Ereignisse aus dieser Perspektive schlicht unmöglich, da diese nicht per se existieren. Vielmehr wird ein Ereignis erst zur Wirklichkeit, indem ein kognitives System es als solche erkennt. Somit ist auch die Möglichkeit einer objektiven Auswahl von Nachrichten ausgeschlossen, da ihre Grundlage in Form eines Ereignisses ohne Betrachtung nicht existiert. Erst durch die Mitteilung der Ereignisse durch die Beobachter an die Massenmedien entstehen Nachrichten, welche Frerichs als Journalistische Berichterstattung von Ereignissen in der Form von Meldungen oder Berichten definiert. (vgl. Frerichs 2000: S. 10) Somit sind Nachrichten „Wirklichkeitskonstruktionen, die ganz bestimmte formale Bedingungen erfüllen und spezifischen Konstruktions- bedingungen unterliegen“ (Uhlemann 2012: S. 47).

Die Wirklichkeitskonstruktion von Nachrichten erfolgt wie bereits angedeutet in drei Schritten. Zuerst muss ein Journalist ein Ereignis beobachten und als solches wahrnehmen, bevor er im zweiten Schritt diese Wahrnehmung in einen Gesamtzusammenhang einordnen kann. Dabei erfolgt auch die Auswahl zu publizierender Nachrichten. Abgeschlossen wird dieser Vorgang mit der schriftlichen oder mündlichen Weitergabe der Wahrnehmung durch den Journalisten (vgl. Frerichs 2000: S. 197f). Bei der Aufbereitung einer Nachricht zur Weitergabe an die Leserschaft stützt sich der Journalist auf Gestaltungsfaktoren, die deutliche Kontraste oder scharfe Konturen und somit die Abgrenzung eines Ereignisses erleichtern. Identische Effekte treten infolge dessen bei der späteren Rezeption auf. Zuträglich ist dabei auch, wenn sich Wahrnehmungen etwa durch räumliche, zeitliche oder thematische Nähe gruppieren und durch Symmetrien im Ablauf, oder sonstige Ähnlichkeit, einem Ereignis zuordnen lassen. Des Weiteren sind die Kontinuität im Kontext des Geschehens sowie die Kohärenz hinsichtlich anderer Ereignisse Faktoren, welche die Wahrnehmung eines Ereignisses verstärken (vgl. Frerichs 2000: S. 201).

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Abbildung 12: Gestaltungsfaktoren nach Frerichs

Frerichs Gestaltungsfaktoren begründen sich also in der Wahrnehmung durch einen Beobachter und sind an das Objekt der Betrachtung gebunden (vgl. Uhlemann 2012: S. 48), wodurch die von Schulz implementierte (1990: S. 32) und von Staab (1990: S. 136) weitergedachte Idee allgemeingültiger Ereignisdimensionen, welche sich in Nachrichtenfaktorenkatalogen ausdifferenzieren, ausgeschlossen wird.

2.1.10 Neuordnung der Nachrichtenfaktoren

In einer der umfangreichsten Primärstudien zur Nachrichtenwerttheorie erarbeiteten Prof. Dr. Georg Ruhrman, Jens Woelke, Dr. Michaela Maier und Nicole Diehlmann einen wie bei Staab (1990) 22 Posten umfassenden Katalog von Faktoren, die sie als entscheidend für die Nachrichtenwerttheorie erwiesen. Hauptgegenstand der Untersuchung waren nicht die Printmedien, sondern der Rundfunkt. In ihrer Methodik kombinierten die Theoretiker Inhaltsanalysen mit Leitfadeninterviews und ergänzten die Resultate um eine Zuschauerbefragung. Aufgrund der breiten Grundgesamtheit der Datenerhebung, wie auch des langen Untersuchungszeitraums zwischen 1992 und 2001 (vgl. Ruhrman et al. 2003: S. 324), besitzt die Studie eine erhöhte empirische Aussagekraft.

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Abbildung 13: Nachrichtenfaktoren nach Ruhrmann et al.

Aus diesem Faktorenkatalog sowie den übrigen Analyseergebnissen extrahieren Ruhrmann et al. fünf senderübergreifend und den Zeitraum überspannend stabile Dimensionen hinter den Nachrichtenfaktoren (vgl. Maier et al. 2010: S. 100):

- Nähe
- Prominenz
- Visualität
- Aggression
- Negative Ereignisse, Konflikte, Kontroversen

Als über den Beobachtungszeitraum größtenteils, aber nicht kontinuierlich, konstant erweist sich auch die Dimension Status der Nation, während Emotionen und Prominenz zwar zeitunabhängig, aber nur in der Berichterstattung über unpolitische beziehungsweise innenpolitische Ereignisse relevant erscheinen (vgl. Maier et al. 2010: S. 100f). Dr. Michaela Maier, Beteiligte an der Ausarbeitung der in Abbildung 13 dargestellten Nachrichtenfaktoren, hält den erstellten Katalog für zu stark ausdifferenziert und moniert eine „Mehrfachmessungen der journalistischen Auswahlkriterien“ (Maier et al. 2010: S. 101), da Journalisten bei der tatsächlichen Nachrichtenselektion weniger Ereignismerkmale beachten würden, als die aktuelle Nachrichtenwertforschung suggeriere (vgl. Maier et al. 2010: S. 101). Daraus resultiert ihre Empfehlung „Nachrichtenfaktoren künftig als operationalisierbare Indikatoren für die übergeordneten Dimensionen journalistischer Selektion zu begreifen“ (Maier et al. 2010: S. 102).

2.1.11 Indikatoren, Ereignis- und Darstellungsfaktoren

Benjamin Fretwurst geht sogar noch einen Schritt weiter als Ruhrmann et al. (2003) und Maier et al. (2010) in ihrer Zuteilung der Nachrichtenfaktoren zu Dimensionen, denn diese weist er nochmals einer von drei Oberkategorien, den Darstellungsfaktoren, Ereignisfaktoren und Indikatoren zu (Fretwurst 2008: S. 103, S. 112). In seiner Forschung fokussiert Fretwurst neben der Identifikation, Diskussion und Definition von Nachrichtenfaktoren (vgl. Fretwurst 2008: S. 103) auf die Differenzen zwischen der „journalistischen Gewichtung“ (Fretwurst 2008: S. 102) und der „Einschätzung der Rezipienten“ (Fretwurst 2008: S. 102), er beschäftigt sich also mit den Unterschieden zwischen der Wirkungsweise von Nachrichtenfaktoren auf Journalisten und auf Rezipienten. Zu diesem Zweck führt Fretwurst eine Kombination aus Inhaltsanalyse von TV-Nachrichten und telefonischer Rezipientenbefragung durch.

Seine Überlegungen basieren dabei auf dem Kausalmodell. Den Nachrichtenwert eines Ereignisses fasst er als Ursache für journalistische Selektionsentscheidungen und die damit erzielte Wahrnehmung der Rezipienten als Wirkung auf. Staabs Erweiterung des Kausalmodells um die Finale Perspektive greift er nicht auf. (vgl. Fretwurst 2008: S. 102). Als Träger des Nachrichtenwerts nennt Fretwurst neben Ereignissen auch Themen (vgl. Fretwurst 2008: S. 102f), wobei er beide Begriffe näher definiert. Ereignisse sind demnach „objektiv (bzw. intersubjektiv) feststellbare (zeitlich und räumlich) abgeschlossene Vorgänge“ (Fretwurst 2008: S. 104) und „Zustandsänderungen“ (Fretwurst 2008: S. 104) etwa Geschehnisse in der Natur oder menschliches Handeln. Als Themen deklariert Fretwurst „kumulative Nachrichteninhalte, die mehrere Ereignisse umspannen“ (Fretwurst 2008: S. 105) also die „zeitliche und räumliche Verknüpfung zeitlich und räumlich abgeschlossener Ereignisse“ (Fretwurst 2008: S. 109). Allerdings können auch lang andauernde Zustände zum Thema werden (vgl. Fretwurst 2008: S. 109).

Wie bereits angerissen untergliedert Fretwurst seinen Katalog aus 25 Nachrichtenfaktoren in drei Gruppen. Ereignisfaktoren sind primäre Faktoren, von der Übermittlung des Journalisten unabhängige Eigenschaften eines Ereignisses (vgl. Fretwurst 2008: S. 112). Diese weisen entweder gesellschaftliche, oder für den Rezipienten individuelle Relevanz auf. Als gesellschaftlich relevant gelten alle Informationen, „die für die demokratische Entscheidungsfindung, also Wahlentscheidungen und öffentliche Bewertung politischer Entscheidungen, ausschlaggebend sind“ (Fretwurst 2008: S. 115). Individuelle Relevanz ist als „nicht die Gesellschaft bzw. Politik betreffendes Interesse“ (Fretwurst 2008: S. 116) von einzelnen Individuen oder Personengruppen zu verstehen. Neben dem subjektiven Interesse fällt auch die objektive, heißt intersubjektive Wichtigkeit in diese Kategorie (vgl. Fretwurst 2008: S. 118). Eine Übersicht der Ereignisfaktoren sowie die Zuordnung zu Dimensionen und auf Wichtigkeit oder Interesse beruhender individueller, oder gesellschaftlich relevanter Faktoren bildet die sich anschließende Tabelle ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

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Ende der Leseprobe aus 164 Seiten

Details

Titel
Nachrichtenfaktoren im Mitarbeitermagazin
Untertitel
Relativierung von Nachrichtenfaktoren durch betriebliche und technische Produktionsbedingungen eines webbasierten Mitarbeitermagazins
Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel  (Fakultät Verkehr Tourismus Medien)
Veranstaltung
Medienmanagament
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
164
Katalognummer
V301973
ISBN (eBook)
9783668009028
ISBN (Buch)
9783668009035
Dateigröße
3099 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nachrichtenfaktoren, mitarbeitermagazin, relativierung, produktionsbedingungen, mitarbeitermagazins
Arbeit zitieren
Stefanie Eß (Autor:in), 2015, Nachrichtenfaktoren im Mitarbeitermagazin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301973

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