Idendität und Lebenszyklus


Ausarbeitung, 2001

5 Seiten


Leseprobe


Rezension des Buches:

Erik H. Erikson: „Identität und Lebenszyklus“

Suhrkamp-Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 18. Auflage , 2000, 18,80 DM

Rezensent: Rafael Bernt, Hochschule Magdeburg – Stendal (FH) Datum: 07.04.2001

Lehrfach: Entwicklungspsychologie (Theorien der Entwicklung)

Das vorliegende Taschenfachbuch setzt sich aus 3 Aufsätzen zusammen, und wurde von Käte Hügel übersetzt. Die Aufsätze sind zwar aus unterschiedlichen Ausgangssituationen heraus entstanden, haben jedoch eines gemeinsam: „sie nähern sich schrittweise dem Problem der psychosozialen Entwicklung – von allgemeinen klinischen Impressionen über einen ersten Abriß der psychosozialen Stadien bis zur detaillierteren Beschreibung eines bestimmten Stadiums, nämlich der Adoleszenz.“ (ebenda, S. 9)

E. H. Erikson lebte von 1902 bis 1994. Er wuchs bei seinem jüdischen Stifvater und seiner Mutter in Frankfurt auf. Aufgrund seines nordischen Aussehens wurde er jedoch von den jüdischen Nachbarn gemieden. In der Schule hingegen wurde er als Jude bezeichnet. Dies brachte ihn schon frühzeitig in Zugehörigkeitskonflikte, die er, so könnte man heute meinen, versucht hat wissenschaftlich zu ergründen und zu verarbeiten.

In den späten 20er Jahren traf er Anna Freud und begann die Psychoanalyse am Wiener Institut für Psychoanalyse zu studieren. 1933 wanderte er in die USA aus, begleitete verschiedene Stellungen in med. Schulen und Instituten und wurde in Bosten der erste Kinderanalytiker. Auf der Grundlage seines psychoanalytischen Wissens begann er seine Beobachtungen festzuhalten: z. B. „Configurations in Play – clinical notes“ (1937), „Observations on Sioux Education“ (1940).

Der erste Aufsatz „Ich-Entwicklung und geschichtlicher Wandel“, der auch eine Quelle seiner Arbeit „Childhood and Society“ (1950) - deutsche Ausgabe „Kindheit und Gesellschaft (1957) - ist, „zeigt die Verbindung von therapeutischer Beobachtung und Impressionen aus angewandter Arbeit...“(ebenda S. 7). Ziel dieses Aufsatzes ist es, darzustellen, das „der Lebenskreis des Einzelnen von Anfang bis Ende von der Geschichte der Gemeinwesen durchwoben“ (S. 11) ist. Er geht dabei in geschickter Weise von der in dieser Zeit sehr anerkannten Freud´schen Theorie aus -nutzt auch teilweise diese Termini- und versucht schrittweise anhand von Beispielen zu erläutern, dass nur in Zusammenarbeit der Psychoanalyse und Sozialwissenschaft die Probleme der Ich-Werdung erklärt werden kann. Er stellt fest: „Das bewußte Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen, beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, daß auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen.“ ( S. 18). Damit beginnt er in wertschätzender Art die Freud´sche Theorie zu kritisieren: „...ein hochwichtiger Schritt, daß Freud ...; aber die ... Theorie ... reicht zur Erklärung der Erscheinungen nicht mehr aus.“( S. 18) Auch dies belegt er mit vielen Beispielen, um seinen Gedankengang gut nachvollziehbar zu gestalten:z. B. „..Ich denke da an den Sohn eines Deutschen , der...“ (S. 23). Aus diesem Beispiel heraus, kommt er auch zu dem Schluss, dass der Vater bzw. Vaterersatz „...mit unbewußten Gesten ...in diesem Jungen die Imago ... errichtet hatten,...“(S.24). Erikson zeigt auch anhand von pathologischen Befunden den deutlichen Einfluss der Gesellschaft : „Denn die Herrschaft des Individuums über seine Neurose beginnt, wenn es die historische Notwendigkeit zu akzeptieren lernt, die es zu dem machte, was es ist. Der Mensch fühlt sich frei, wenn er sich ohne Zwang mit seiner eigenen Ich-Identität identifizieren kann, und wenn er lernt, das, was er mitbekommen hat, auf das anzuwenden, was getan werden muß.“ (S. 54)

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass im ersten Aufsatz anhand der Beispiele die stattfindenden Wechselwirkungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft beschrieben werden, mit dem Ziel, das es es gilt, genau diese Interaktionen zu beobachten und zu beschreiben, um sich ein umfassenderes Bild von der Entwicklung des Individuums zu verschaffen.

Im zweiten Aufsatz „Wachstum und Krisen der gesunden Persönlichkeit“, der 1950 aus der Aufforderung des Vorbereitenden Ausschusses der Konferenz „Kindheit und Jugend“ des Weißen Hauses entstand, widmet sich Erikson ganz seiner Theorie von der Entwicklung der gesunden Persönlichkeit in acht Stufen. Dabei greift er die Definition von Marie Jahoda (1950) von der gesunden Persönlichkeit auf, und stellt fest, dass die „gesunde Persönlichkeit ihre Umwelt aktiv meistert, eine gewisse Einheitlichkeit zeigt und im stande ist, die Welt und sich selbst richtig zu erkennen.“(S. 57) Dabei soll das menschliche Wachstum „hier unter dem Gesichtspunkt der inneren und äußeren Konflikte dargestellt werden, welche die gesunde Persönlichkeit durchzustehen hat und aus denen sie immer wieder mit einem gestärkten Gefühl innerer Einheit, einem Zuwachs an Urteilskraft und der Fähigkeit hervorgeht, ihre Sache „gut zu machen“, und zwar gemäß den Standards derjenigen Umwelt, die für diesen Menschen bedeutsam ist.“(S. 56) Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist dabei die Verwendung des epigenetischen Prinzips, dem Prinzip, bei dem alles, „was wächst, einen Grundplan hat, dem die einzelnen Teile folgen, wobei jeder Teil eine Zeit des Übergewichts durchmacht, bis alle Teile zu einem funktionierendem Ganzen herangewachsen sind.“(S. 57) So kommt er zu der Aussage, „daß die Persönlichkeit in

Abschnitten wächst, die durch die Bereitschaft des menschlichen Organismus vorherbestimmt sind, einen sich ausweitenden sozialen Horizont bewußt wahrzunehmen und handelnd zu erleben; einen Horizont, der mit dem nebelhaften Bild einer Mutter anfängt und mit der Menschheit endet - oder doch mit jenem Ausschnitt der Menschheit, der für das spezielle Leben dieses Menschen zählt.“ (S. 58)

Erikson geht im folgenden auf die einzelnen Stufen seines Phasenmodells ein, wobei er das Ur-Vertrauen als den „Eckstein der gesunden Persönlichkeit“ (S.63) bezeichnet. Insgesamt geht er davon aus, dass die gesunde Persönlichkeit ein Wachstum nach dem epigenetischen Prinzip durchläuft, wobei jede Phase durch eine zu bewältigende Krise gekennzeichnet ist. Die nachfolgende Tabelle soll eine Übersicht über diese acht Stufen geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle: Lebensphasen mit ihren dominanten Krisen und den daraus resultierenden IchQualitäten

Insgesamt ist es kennzeichnend, dass jede Stufe durch die Auseinandersetzung mit typischen Leitbildern, Identifikationen und gesellschaftlichen Erwartungen gekennzeichnet ist.

Der dritte Aufsatz, der erstmalig 1956 veröffentlicht wurde, befasst sich ausschließlich mit dem Problem der Ich-Identität, also der Lebensphase der Adoleszenz, die für Erikson eine besondere Rolle bei dem „spezifischen Zuwachs an Persönlichkeitsreife“ (S. 123) einnimmt. Aus dem Begriff der Identität, die eine wechselseitige Beziehung ausdrückt, die „sowohl ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein wie ein dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen Charakterzügen umfaßt.“(S. 124) versucht er durch verschiedene Blickwinkel das Problem der Identität zu beleuchten. Er wählt dabei den biographischen (anhand der Biographie eines außergewöhnlichen Menschen - George Bernard Shaw-), genetischen (durch die Diskussion des Verhältnisses Identifikation und Identität in den Lebensphasen) und den sozialpsychologischen (durch die Diskussion der Ich-Umwelt Problematik) Ansatz.

Erikson stellt fest, das die Adoleszenz das Ende der Kindheit bedeutet. Sie ist „...die letzte und abschließende Phase der Kindheit. Sie ist aber nur dann wirklich abgeschlossen, wenn das Individuum seine Kindheitsidentifikationen einer neuen Form von Identifikation untergeordnet hat, die es in der intensiven Gemeinschaft und im Wetteifern mit Gleichaltrigen errungen hat.“ (S 137)

Die Bedeutung des psychosozialen Moratoriums, der Übergangszeit oder Karenzzeit zwischen der Kindheit und des Erwachsenenlebens, liegt genau in der Herausbildung der „Ich-Identität“ und in der Bewältigung des Kernkonfliktes - der Bedrohung des bisherigen Selbst durch die Identitätsdiffusion als der Verunsicherung und Infragestellung bisheriger Identifikationen und Leitbilder der Kindheit. Für das Individuum wird nach Erikson die erarbeitete Identität zum „... Eckstein seiner Existenz als Mensch, Wissenschaftler und als Bürger..“ (S.196)

Die gelungene Krisenbewältigung, so Erikson, hängt dabei sowohl von der jeweiligen Peergroup als auch von der Institutionalisierung eines psychosozialen Moratoriums in der jeweiligen Gesellschaft ab: "In ihren Vor-Gesellschaften schaffen sich die Kinder und Jugendlichen ein sanktioniertes Moratorium, eine Freistatt und gegenseitige Rückenstärkung für freies Experimentieren mit inneren und äußeren Gefahren (einschließlich solcher, die aus der Erwachsenenwelt stammen. Ob die gerade erst erworbenen Fähigkeiten eines Jugendlichen wieder in kindliche Konflikte regredieren oder nicht, hängt weitgehend von dem Rang und den Chancen ab, die ihm die peer clique, sein Kreis von Gleichaltrigen, zu bieten hat, aber auch von den gebahnteren Wegen, auf welchen die größere Gesellschaft ihm den Übergang vom sozialen Spiel zum Erlebnis der Arbeitswelt ermöglicht, und von den Ritualen des Übergangs zu vollgültiger Verantwortlichkeit." (S.146f) Damit verweist Erikson auf den Einfluss der Gesellschaft innerhalb des Identitätsbildungsprozesses.

In seinem Aufsatz weist er aber auch darauf hin, dass die Identitätsbildung nicht mit der Adoleszenz beginnt oder endet: „sie ist vielmehr eine lebenslange Entwicklung, die für das Individuum und seine Gesellschaft weitgehend unbewußt verläuft. Ihre Wurzeln gehen bis in die Zeit der ersten Selbst-Wahrnehmung zurück...“(S. 141)

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die drei zusammengestellten Aufsätze gut geeignet sind, das Lebensphasenmodell von Erik H. Erikson gerade auch von der historischen Einordnung her, darzustellen. Durch das Vorgehen - Praxis(Objekt)- Erklärungsmängel der bisherigen Theorie-Konstruktion eines neuen Modells - läßt sich die Theorieentwicklung gut nachvollziehen.

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Idendität und Lebenszyklus
Autor
Jahr
2001
Seiten
5
Katalognummer
V104231
ISBN (eBook)
9783640025862
Dateigröße
339 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Idendität, Lebenszyklus
Arbeit zitieren
Rafael Bernt (Autor:in), 2001, Idendität und Lebenszyklus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104231

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