Boulez' "Douze notations pour piano"

Eine Analyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

15 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Notation 1.
Rhythmische Struktur
Harmonische Struktur

Notation 6.
Harmonische Struktur

Notation 12.
Harmonische Struktur
Zusammenfassung

Einleitung

Boulez schrieb die „douze notations“ 1945 in seinem 20. Lebensjahr. Ungefähr 30 Jahre später nahm er noch einmal Bezug auf dieses Jugendwerk und veröffentlichte die ersten vier Stücke des Zyklus in einer Transkription für grosses Orchester, die weit mehr als nur eine bloße Orchestration der Originale ist, vielmehr eine ganz neue Ausarbeitung dessen, was man vielleicht als die Keimzellen dieser früheren Stücke bezeichnen könnte, die ihnen in ihrem Innern zu Grunde liegende musikalische Idee.

Ein vergleichendes Lesen dieser beiden Arbeiten wäre sicher hochinteressant – ich möchte mich in dieser Arbeit aber ausschließlich auf das Klavierwerk beziehen und von der Kürze der Stücke insofern profitieren, als daß ich versuchen werde, mich deren Mikrostruktur detailliert zu nähern. Dies werde ich exemplarisch bei den notation 1, 6 und 12 unternehmen.

Jedes dieser 12 Stücke mit jeweils 12 Takten prägt einen bestimmten Charakter aus. Gleichzeitig läßt sich aber in der Folge das Prinzip der Paarbildung erkennen, das sich im Späteren noch als wichtig erweisen wird. So wechseln sich Stücke eines eher statischen, bogenförmigen Typs mit solchen ab, die stark prozesshaft angelegt sind.

Als zu Grunde liegende Keimzelle findet sich eine Zwölftonreihe, die ich später ausführlich darstellen werde.

Notation 1.

Rhythmische Struktur

Einer Betrachtung der Notation 1. möchte ich mich zunächst ausgehend von ihrer rhythmischen Strukturierung nähern und nach einer harmonischen Analyse zu einer musikalischen Deutung übergehen.[1] Ich werde dabei versuchen, einen hypothetischen Entstehungsweg von seiner Wurzel ausgehend zu verfolgen.

Als mögliche Urzellen der rhythmischen Gestaltung seien die beiden Proportionen (2:3) und (1:2) angenommen. Die Proportion (2:3) ist eine Näherung des Goldenen Schnittes und in der modernen musikalischen Notation als Augmentationspunkt vorhanden (liesse sich aber bis zur Unterteilung der perfekten Longa zurückverfolgen), während die Proportion (1:2) als primäres Unterteilungsprinzip ihrem Ursprung nach der imperfekten Longa zuzuorden wäre.

Eine Verschmelzung dieser beiden Prinzipien führt zu einer ersten größeren Einheit:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Einheit wird durch zweifache Palindrombildung erweitert und mit einem abschliessenden Element ‚2’ versehen, das wie eine Klammer die sich ergebende Folge schliesst:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese 9-teilige Sequenz stellt eine vorläufige Dauernfolge[2] der 9 formbildenden Abschnitte des Werkes dar. Sie wird einer weiteren prozesshaften Verarbeitung unterzogen, die einerseits die bereits angelegte Struktur unterstützend verdeutlicht, aber andererseits diese auch verschleiert, indem sie einige der aus den Urzellen hervorgegangenen (schlichten) Proportionen mit einer Unschärfe versieht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Als Beispiel sei dafür die Entwicklung der Grundstruktur (2:3)-(4:6) mit Hilfe der Proportion (1:2) aus der Proportion (2:3) zu nennen. In der endgültigen Ausarbeitung bleibt nur die Proportion (13:26) exakt erhalten, während parallel die ungenaue (9:16) entsteht.

Die in der Folge 2-3-4-6 angelegte Entwicklung der zunehmenden Ausdehnung, die durch die palindromhafte Fortführung eher in ein Pendeln übergeht (welches allerdings auf der längsten Dauer ‚6’verharrt, bevor die Sequenz auf schnitthaft überraschende Weise mit Hilfe des größtmöglichen Zeitintervalls (6:2) in ihr Ursprungselement hineinstürzt und sich damit die oben erwähnte Klammer – natürlich auch auf der ganz ohrenfälligen, motivischen Ebene - schliesst), dieser Pendelprozess wird durch die Überlagerung der ständig zunehmenden hinzugefügten Werte gebrochen und das eben erwähnte Spannungsintervall damit noch weiter auf die Spitze getrieben.

Harmonische Struktur

Ich werde den Beweis zwar nicht antreten, aber es bleibt zu vermuten, daß sich das harmonische Grundmaterial des gesamten Zyklus auf eine einzige Zwölftonreihe zurückführen läßt. Neben den „klassischen“, aus der Neuen Wiener Schule bekannten Transformationsprozessen Transposition, Umkehrung und Krebs findet bei Boulez auch die Rotation Verwendung, bei der eine gegebene Reihe von einem mittleren Ton an bis zum Ende und dann zyklisch wieder am Anfang anschliessend gelesen wird. Bei diesem Verfahren ist interessant, daß sich der Intervallgehalt der Reihe ändert.

Ich werde im Laufe dieser ganzen Arbeit von einer einzigen Grundform ausgehen, die wie folgt lautet[3]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenn man diese Reihe beginnend beim 8. Ton liest, ergibt sich die Form, mit der Notations 1. beginnt. Der letzte Ton der Reihe, das „h“ erscheint erst nach dem Akkord in T4, als perkussiver, zur klanglichen Verstärkung angereicherter Oktavschlag.

Die eben erwähnte Reihe bezeichne ich als T0R7,[4] neben ihr spielen auch die Formen T7R7 und T4R7 eine Rolle[5]:

[...]


[1] Diese Reihenfolge entspricht sicherlich nicht einer ersten, vom Hören ausgehenden Wahrnehmung.

[2] Die Grundeinheit ist dabei eine Viertel.

[3] Die Wahl ist arbiträr; ich habe mich für diese Form entschieden, weil sie im 12. Stück eine besondere Rolle spielt und auch das 6. Stück ganz von ihr getragen wird.

[4] Entsprechend zur Transposition 0, die nichts verändert, bezeichne ich die Rotationen. Daraus ergibt sich für ein Lesen der Reihe ab dem n-ten Ton R(n-1).

[5] Die hier ausschliesslich durch Transposition hervorgehen.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Boulez' "Douze notations pour piano"
Untertitel
Eine Analyse
Hochschule
Hochschule für Künste Bremen
Veranstaltung
Analyse Neue Musik
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V53102
ISBN (eBook)
9783638486385
ISBN (Buch)
9783656617273
Dateigröße
754 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Analyseabschlussarbeit beschäftigt sich ausführlich mit der musikalischen Struktur der douze notations, die bis zu ihren rhythmischen und harmonischen Keimzellen zurückverfolgt wird. Diese sehr detailierte Betrachtungsweise bezieht sich auf die Stücke 1, 6 und 12 - die Ergebnisse werden mit vielen Notenbeispielen, Tabellen und Strukturdiagrammen dargestellt.
Schlagworte
Boulez, Analyse, Neue, Musik
Arbeit zitieren
Kilian Sprotte (Autor:in), 2006, Boulez' "Douze notations pour piano", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53102

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