Live is Live - warum uns Live-Übertragungen mehr Spaß machen als Aufzeichnungen


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Problemstellung

2. Warum uns live gefällt

3. Empirische Überprüfung ausgewählter Erklärungsansätze
3.1. Der Ansatz geteilter Erfahrungen
3.2. Der Ungeduld-Ansatz
3.3. Der Unbestimmtheitsansatz

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1 Problemstellung

1988 war die Tageszeitung „Le Mond“ mit Protestschreiben überflutet, nachdem das Interview der für ihre Live-Berichte bekannten französischen Nachrichtensprecherin Anne Sinclair mit Mikhail Gorbatschow als Aufzeichnung und nicht live ausgestrahlt wurde (Bourdon, 2000). Das war keineswegs ein Einzelfall, in dem Fernsehzuschauer ihre Vorliebe für Live-Übertragungen deutlich signalisierten. So musste z.B. das ZDF eine Sportspiegel-Sendung 1996 aufgeben, weil sich letztendlich weniger als 200.000 Zuschauer die aufgezeichneten Hintergrundberichte anschauen wollten. Der ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann hatte dafür eine schlüssige Erklärung: „Die Mehrheit will die Live-Berichterstattung“ (Heess, 2003, S. 21).

Viele Sender haben dieses Phänomen erkannt und machen es sich seit Jahren zunutze. Dank der Entscheidung, politische Presskonferenzen live zu übertragen, hat der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix seine Zuschauerquote von 1,5 Mio. im Jahr 1999 auf 2,5 Mio. im Jahr 2000 steigern können (Mohr, 2000). Aber auch kirchliche Institute haben sich längst für die Live-Berichterstattung entschieden: Seit 1953 werden im ZDF abwechselnd katholisch-evangelische Gottesdienste live übertragen. Auch die ARD sendet live aus Kirchen zu Hochfesten und besonderen Anlässen (Gilles, 2000).

In den USA werden z.B. Polizeiverfolgungen live übertragen, um die Einschaltquoten nach oben zu treiben. Die Zuschauer sind sogar bereit, 5 Dollar monatlich zu zahlen, um bei jeder Verfolgungsjagd eine SMS zu erhalten und somit nichts von der Live-Unterhaltung zu verpassen (Caldwell, 2000; Didier, 2003).

Auch die Daten der GfK-Fernsehzuschauerforschung zur WM-Übertragung 2002 belegen: Trotzt der ungünstigen Sendezeit am Vormittag und frühen Nachmittag gaben die meisten Zuschauer der Live-Berichterstattung den Vorzug. Im Verlauf der vier Wochen erreichten Live-Übertragungen im ZDF und von der ARD durchschnittlich 9,24 Millionen Zuschauer, die abendliche "ran-WM-Fieber" Sendung von SAT.1 jedoch nur 2,74 Millionen Zuschauer (Zubayr, C. & Gerhard, H., 2002).

Es ist also kein Geheimnis, dass die meisten Menschen Live-Übertragungen bevorzugen. Aber was sind die Gründe für diese Live-Präferenz?

2. Warum uns live gefällt

Laut Warken (2000) könnte ein möglicher Grund für unsere Vorliebe für Live-Sendungen an 3 „live-spezifischen“ Funktionen liegen:

1. Zeigende Funktion oder „Guck-Schalte“: Im Mittelpunkt einer Live-Sendung steht in der Regel ein aktuelles Ereignis, das gerade passiert. Wichtig dabei ist das Gefühl, man sei am Ort des Geschehens.

2. Zeitliche Funktion: Man erlebt ein Ereignis simultan mit seinem Geschehen.

3. Emotionale Funktion: Live-Berichterstattung vermittelt den Zuschauern ein Gefühl des Erlebens.

Eine andere mögliche Erklärung ist auch das Bedürfnis, Erfahrungen mit anderen zu teilen. Schon im Kindesalter lernen wir die Umwelt durch Erfahrungen kennen, die mit anderen Leuten geteilt werden. So wird ein neues Wort erst dann zur objektiven Wirklichkeit, wenn seine Bedeutung durch eine Interaktion mit den Eltern bestätigt wird. Durch Live-Übertragungen kann sowohl das Bedürfnis, Erlebnisse zu teilen (mit Leuten, die an live übertragenen Ereignissen unmittelbar teilnehmen oder auch mit anderen Zuschauern) als auch das Bedürfnis nach sozialer Bestätigung (die anderen Zuschauer schauen sich das Gleiche an, ich bin also nicht schlechter als die Anderen) befriedigt werden (Hardin und Higgins, 1996).

Des Weiteren können Zuschauer von Live-Übertragungen damit angeben, ein Ereignis genau im Moment seines Geschehens erlebt zu haben (Vosgerau, Wertenbroch und Carmon, 2006).

Bei Live-Übertragungen könnte man außerdem das illusorische Gefühl bekommen, im Stande zu sein, ein Ereignis zu beeinflussen (illusion of control). So hoffen Fußballfans, die sich eine Spielübertragung unbedingt live anschauen möchten, insgeheim die Gewinnchancen ihrer Mannschaft zu erhöhen (Langer, 1975).

Der Ansatz der psychologischen Nähe stellt einen weiteren Erklärungsansatz für die Bevorzugung von Live-Übertragungen dar. Laut Yaacov Trope und Nira Lieberman (2003) wird die Wahrnehmung zukünftiger Ereignisse durch die zeitliche Distanz beeinflusst. Die Theorie der zeitlichen Auslegung (temporal construral theory) besagt: Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt, desto abstrakter wird es wahrgenommen und umgekehrt. Beispielsweise wird die zukünftige Absicht, „Leuten zu helfen“, wesentlich abstrakter wahrgenommen als das momentane Vorhaben, „heute Abend 3 € einem Obdachlosen zu geben“. Dabei ist uns ein konkretes Ereignis umso wertvoller, je näher es in der Gegenwart liegt. Folglich sind uns Live-Übertragungen zeitlich und somit auch psychologisch näher.

Die Unbestimmtheit eines Ereignisses wird bei verschiedenen Autoren als zentrales Element des Live-Fernsehens genannt (Rasmussen 2000; Warken, 2000; Vosgerau, Wertenbroch & Carmon, 2006; Czarnitzki & Stadtmann, 2002). Dabei sind die Begriffe Unbestimmtheit (indeterminacy) und Unsicherheit (uncertainty) deutlich voneinander zu unterscheiden (Vosgerau, Wertenbroch & Carmon, 2006). Wenn wir ein Buch lesen, sind wir uns zwar nicht sicher, wie das endet, wir wissen aber: Das Ende ist bereits geschrieben und somit vorbestimmt. Wenn wir uns Live-Übertragung eines Fußballspiels anschauen, ist dessen Ausgang unbestimmt, d.h. es kann sowohl die eine als auch die andere Mannschaft gewinnen.

Eine alternative Erklärung für unsere Live-Präferenzen wird damit begründet, dass Zuschauer die Kontrolle über ihre Entscheidung behalten möchten, ob sie sich eine Sendung live oder als Aufzeichnung ansehen. Falls sie also über keine solche Auswahlfreiheit verfügen, werden sie eine Live-Übertragung bevorzugen. Im umgekehrten Fall werden sie zwischen Live-Übertragung und Aufzeichnung indifferent sein (Vosgerau, Wertenbroch & Carmon, 2006).

Letztenendes könnte auch unsere Ungeduld dafür verantwortlich sein, dass wir uns Fernsehausstrahlungen so früh wie möglich ansehen möchten. Und dies ermöglicht eine Live-Übertragung am besten (Frederic, Loewenstein und O’Donoghue, 2002).

3. Empirische Überprüfung ausgewählter Erklärungsansätze

Im Folgenden werden 3 prominenteste Erklärungsansätze anhand empirischer Untersuchungen detaillierter dargestellt.

3.1. Der Ansatz geteilter Erfahrungen

In ihrer Studie zum gemeinsamen Erleben von hedonistischen Ereignissen untersuchten Raghunathan und Corfman (2006) das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit.

Im Rahmen der Untersuchung wurde das Gruppenerlebnis einem individuellen Erlebnis gegenübergestellt und es wurde analysiert, wie das gemeinsame Erleben einer hedonistischen Erfahrung (z.B. Verfolgung eines Fußballspiels live) die Freude daran beeinflusst. Den Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit haben die Autoren durch 2 instrumentale Motive operationalisiert:

1. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit (need to belong): Demnach fühlen wir uns nie alleine, wenn wir uns eine Live-Übertragung anschauen. Wir teilen dieses Erlebnis sowohl mit Teilnehmern der Sendung, als auch mit anderen Zuschauern. Im Kontext dieses Bedürfnisses vermitteln übereinstimmende Meinungen das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit, dagegen erzeugen unterschiedliche Meinungen das Einsamkeitsgefühl.

2. Das Bedürfnis nach Genauigkeit (need for accuracy): Aufgrund dieses Bedürfnisses bemühen sich Menschen stets darum, ihre Selbsteinschätzung durch Einholen von Meinungen anderer Leute zu verifizieren. In diesem Kontext gibt das Grad der Übereinstimmung ihrer Meinungen das Ausmaß der Genauigkeit ihrer Selbsteinschätzungen wieder. Deswegen haben Fußballfans mehr Freude an einem live übertragenen Spiel, wenn sie alle Anhänger der gleichen Mannschaft sind.

Der Einfluss dieser beiden Motive auf die Freude an geteilten Erfahrungen ist in der Abbildung 1 dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Zugehörigkeits- und Genauigkeitsbedürfnis als Einflussfaktoren auf die Freude an geteilten Erfahrungen

Quelle: Eigene Übersetzung in Anlehnung an Raghunathan und Corfman (2006).

Basierend auf den vorangehenden Überlegungen wurde die Hypothese aufgestellt, dass ähnliche Meinungen die Freude an gemeinsamen Erfahrungen verstärken und umgekehrt. Dabei wird diese Freude sowohl durch das Zugehörigkeitsbedürfnis als auch durch das Genauigkeitsbedürfnis beeinflusst.

Um den Einfluss des Zugehörigkeitsbedürfnisses zu untersuchen, wurde 135 Studenten der Texas Universität entweder angenehme oder unangenehme Werbung gezeigt. Danach mussten sie angeben, wie ihnen die Werbespots gefallen haben. Jeder Versuchsteilnehmer schaute sich die Werbung zusammen mit einem zweiten Studenten an. Bei letzterem handelte es sich um einen eingeweihten Helfer des Versuchsleiters. Dabei verhielten sich die Verbündeten des Versuchsleiters entweder situationskonform (zufrieden bei angenehmer und unzufrieden bei unangenehmer Werbung) oder nicht situationskonform (unangenehme Werbung war gelobt, angenehme abgelehnt), um die Meinung der jeweiligen Versuchsperson zu manipulieren. In der Kontrollbedingung haben sie keine Kommentare abgegeben.

Das Ergebnis der Untersuchung zeigte, dass die Versuchsteilnehmer dann mehr Spaß an gemeinsamen Erfahrungen hatten, wenn ihre Meinungen mit denen der eingeweihten Teilnehmer übereinstimmten, und zwar unabhängig von der Art der Werbung. Somit wurde der Einfluss des Zugehörigkeitsbedürfnisses auf die Freude an geteilten Erfahrungen empirisch nachgewiesen. Dieses Ergebnis wurde schon früher in der Untersuchung von Charters und Newcomb (1952, zitiert nach Hardin & Higgins, 1996) bestätigt: Nachdem die Wichtigkeit des Glaubens als Gruppenzugehörigkeitsmerkmal besonders herausgestellt wurde, sind Einstellungen der Studenten zur römisch-katholischen Kirche viel positiver ausgefallen als zuvor.

Zur Überprüfung des Genauigkeitsbedürfnisses als zweite Einflussgröße wurde ein weiteres Experiment durchgeführt: 126 Studenten mussten Orangensäfte von verschiedenen Herstellern kosten und ihren Duft sowie ihre Süße, Frische und Konsistenz bewerten. Wie im ersten Experiment, gab es 2 unterschiedliche Bedingungen: Gute versus schlechte Saftqualität. Letztere wurde durch Beimischung von etwas Salz und Essig erzeugt. Auch hier wurden die Meinungen der Versuchsteilnehmer jeweils von einer zweiten Person (einem eingeweihten Helfer des Versuchsleiters) durch situationskonforme bzw. nicht situationskonforme Einflussnahme manipuliert. Vor Beginn der jeweiligen Saftprobe hat die manipulierende Person angegeben, dass sie früher bereits an solchen Proben teilgenommen hat und dass ihre Einschätzungen mit denen von Experten hoch korrelierten/mittelmäßig korrelierten/überhaupt nicht korrelierten.

Das Ergebnis dieses Experiments zeigte, dass die Probanden mehr Spaß an der Saftverkostung hatten, wenn ihre Meinungen mit denen der jeweiligen Versuchsleiter-Verbündeten übereinstimmten, und zwar nur dann, wenn letztere von hoher Korrelation ihrer bisherigen Saftbewertungen mit Expertenmeinungen gesprochen haben. Somit wurde der Einfluss des Genauigkeitsbedürfnisses (need for accuracy) auf die empfundene Freude bei gemeinsamen Erlebnissen ebenfalls bestätigt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Live is Live - warum uns Live-Übertragungen mehr Spaß machen als Aufzeichnungen
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Wirtschats- und Sozialpsychologie)
Veranstaltung
Konsumentenverhalten
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V82754
ISBN (eBook)
9783638898324
Dateigröße
395 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Live, Live-Übertragungen, Spaß, Aufzeichnungen, Konsumentenverhalten
Arbeit zitieren
Maryna Mogylna (Autor:in), 2007, Live is Live - warum uns Live-Übertragungen mehr Spaß machen als Aufzeichnungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82754

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