"Unsere Generation hat mit dem Demonstrieren aufgehört, weil sie es zu kalt findet" - Pop-Literatur und ihr politischer Reflex auf die "68er"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsklärung „Generation“

3. Charakterisierung der Generation Golf und der Generation der „68er“
3.1 Das Konstrukt der Pop-Literatur, die „Generation Golf“
3.2 Die „68er“ Generation
3.2.1 Objektive und historische Darstellung
3.2.2 Darstellung der 68er Generation in der Popliteratur

4. „Politischer Reflex“ der Popliteratur auf die „68er“
4.1.Maßanzug anstatt Palästinensertuch
4.2 Loveparade anstatt Woodstock
4.3 Harald Schmidt anstatt Rudi Dutschke
4.4 Fitnessstudio und Putzfrau anstatt Kiefernholz und Kommune
4.5 SAP und AOL anstatt SDS und APO
4.6 Der neue Stil von Fischer anstatt der alten Ideale von Lafontaine

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese „Generation hat allein deshalb mit dem Demonstrieren aufgehört, weil es sie es zu kalt dafür findet“[1], sagte der Entertainer Harald Schmidt, der u.a. durch seinen Wandel zur Kurzhaarfriseur und seiner immer besser geschneiderten Markenanzüge zum Vorbild einer Generation aufstieg, der ästhetische Stilfragen weit mehr bedeuten als politische Auseinandersetzungen. Er bezieht in diese Aussage nicht nur die politische Reflexion der Pop-Literatur zur Generation der „68er“ mit ein, sondern durch seine Begründung für den Verzicht auf Demonstrationen auch die Reflexion auf die ideologischen Grundsätze der „68er“. Der erklärende Nachsatz „weil sie es zu kalt findet“ zeigt, dass neben dem politischen Desinteresse auch ein Wandel in den Lebensvorstellungen stattgefunden haben muss. Nicht mehr das Ideal die Gesellschaft gemeinsam zu verändern, sondern das ideale persönliche Befinden bestimmt das eigene Handeln. Das persönliche Wohlbefinden lässt sich nicht vereinbaren mit dem zuweilen ungemütlichen Ausharren bei einer Demonstration, zumal sowohl der Sinn als auch das Umfeld einer Demo bei dieser Generation keinen Anklang findet. Ziel der vorliegenden Arbeit soll es nun sein, diesen in der Pop-Literatur propagierten „politischen Reflex“, der weit mehr als das politische Leben umfasst, zu interpretieren, und somit die Ursachen und die Auswirkungen dieser radikal veränderten Weltanschauung und Lebensvorstellungen zu ermitteln. Zu Beginn der Analyse soll der Begriff „Generation“ soziologisch geklärt werden, um somit bestimmen zu können, ob und inwiefern von diesem Standpunkt aus von einer Generation, bei der Generation Pop gesprochen werden kann. Außerdem sollen neuere Definitionsversuche diskutiert werden, und andere Modelle einer Nachfolgegeneration der „68er“ aufgezeigt werden. Um den politischen Reflex nachvollziehen zu können, wird im Anschluss daran durch eine Charakterisierung der hier zu thematisierenden Generationen versucht ihre wesentlichen Merkmale und Identifikationsfaktoren zu erfassen. Im Hinblick auf die Bestimmung der „Generation Golf“, wird sich an Florian Illies gleichnamigen Debütroman orientiert, der als eine Bestandsaufnahme dieser Generation zu verstehen ist. Des weiteren werden bei der Charakterisierung Benjamin von Stuckrad-Barres Roman „Soloalbum“[2], Christian Krachts 1995 erschienenes Werk „Faserland“[3], sowie Joachim Bessings Performance Projekt „Tristesse Royal“[4] involviert werden. Nach dieser Erläuterung soll zunächst ein möglichst objektiver und historisch korrekter Rückblick auf die Generation der „68er“ gewährleisten, eine authentische und unverfälschte Bewertung dieser politisch so behafteten Generation zu erhalten. Um im Anschluss daran, das von der Pop-Literatur konstruierte Bild der „68er“ zu betrachten und diese Perspektive im Hinblick auf die vorausgegangene Darstellung zu bewerten. Daraufhin sollen die einzelnen Lebensbereiche, die in diese Reflexion eingebunden sind, analysiert und interpretiert werden. Im Schlussteil der Arbeit sollen die erzielten Ergebnisse zusammengefasst und kritisch bewertet werden, und damit beantwortet werden, welche Lebensbereiche der Generation Golf der zu untersuchende politische „Reflex“ auf die „68er“ umfasst. Zudem gilt es als Resümee zu bestimmen, in welchem Verhältnis die zu thematisierenden Generationen zu einander stehen und ob sie sich daher, der von der Pop-Literatur vertretene Anspruch, sich völlig von der ungeliebten Vorgängergeneration zu unterscheiden, nachvollziehen bzw. rechtfertigen lässt.

2. Begriffsklärung „Generation“

Im Hinblick auf die folgende Interpretation wird nun im Vorfeld geklärt, was man vom soziologischen Standpunkt aus unter dem Begriff der „Generation“ versteht. Hierzu bedarf es einer Definition, wobei sich auf den Wissenssoziologen Karl Mannheim bezogen werden kann, für den die schicksalsmäßig verwandte Lagerung eines Geburtsjahrgangs die kollektive Ausgangsbedingung einer Generation darstellt. Zusätzlich zu dieser chronologischen Gemeinsamkeit stellt eine homogene Bewusstseinslage einen generationsstiftenden Faktor dar. Diese entsteht zum Beispiel durch die Teilnahme einiger Geburtenjahrgänge an einem Krieg, einem Aufstand oder einem anderen einschneidenden und bedeutungsvollen politischen Ereignis. Karl Mannheim sieht die Bildung einer Generationseinheit dann, wenn aufgrund einer gemeinsamen Problemlage ein bewusster Zusammenschluss von Individuen stattfindet.[5]

Im Gegensatz zur Generation der 68er, deren gemeinsame Problemlage offensichtlich erscheint, kann bei der Generation der Pop-Literaten keine unmittelbare Problemlage im herkömmlichen Sinn erkannt werden. Es stellt sich demzufolge die Frage, durch welche weiteren Faktoren ein Generationszusammenhang entstehen kann.

Hierzu ist auf die aktuell in den Medien geführte Generationendebatte hinzuweisen, die sich mit der Frage der Nachfolge der „68er“ Generation beschäftigt, und hierbei feststellt, dass der Generationenbegriff im Gegensatz zu früheren Definitionen seit den 90er Jahren sowohl in der Publizistik als auch in den Sozialwissenschaften zunehmend zum Modebegriff geworden ist. Neben der „Generation Golf“ wurde im Feuilleton bereits auch die „Generation 78“, oder die „Generation 89“ als potenzielle Nachfolgegeneration benannt und thematisiert. Bei dieser Generierung von Generationen geht es jedoch weniger um die von Mannheim entworfene Konzeption der Generationenabfolge, sondern um die Etikettierung bestimmter Kohorten, also um die Zuschreibung bestimmter gemeinsamer Merkmale an eine soziale Gruppe. Inwieweit diese Etikettierung jedoch von dieser Gruppe als generationsspezifische Mentalität internalisiert werden, gilt es jeweils einzeln zu beurteilen. Keiner dieser Begriff hat sich jedoch bisher in ähnlicher Weise festgesetzt wie die Bezeichnung „Generation der 68er“. Zu den Versuchen in jüngerer Vergangenheit zählen neben der Generation Golf die Etikettierung der Generation „89“ oder der „Generation Berlin“, wobei der Mauerfall bei den 89ern bzw. der Umzug der Bundesregierung vom ländlichen Bonn in die pulsierende Metropole Berlin als der jeweilige generationsspezifische Moment angesehen wird. Im Gegensatz dazu gibt es für die „Generation Golf“ kein politisches oder historisches generationsstiftendes Ereignis, was sich allein durch das unpolitische Wesen ausschließt. Über die Frage ob es neben politischen Ereignissen auch technische Innovationen bzw. Medien, wie Fernsehen und Internet sein können, die zu einem neuen Generationsbewusstsein beitragen, wird einzig die Etablierung oder das Verschwinden solcher Generationstypen entscheiden. Die Autoren, die sich an dieser Generationendebatte beteiligen sind bislang uneinig darüber, welche Art von Ereignissen hierfür in Betracht gezogen werden können. Betrachtet man jedoch die Vielzahl neuere Modelle, wie etwa die Generation der Net-Kids die sog. „Generation @“ oder die hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehende „Generation Golf“, lässt sich folglich erkennen, dass es zunehmend technische Innovationen oder auch ästhetische Stile anstatt politischer Ereignisse sind, die zu der versuchten Konstruktion einer Generation beitragen. Der Publizist Ulrich Baron erkennt folgerichtig in den Generationendebatten gar einen evolutionären Prozess. War es zunächst die biologische Generation, also die Geschlechterfolge von Großeltern bis Enkel, die den Generationenbegriff beherrschte, kommt es nun nach dem soziologischen Begriff zur Definition über z.B. die Medien bzw. Markenartikel.[6] Die Generation Golf ist als Generation im neueren Sinne zu verstehen, daneben lässt sie sich auch im soziologischen Verständnis einer Generation zuordnen, sofern man neben den politischen Ereignissen auch Medien und ästhetische Stile als gemeinsam erlebter Moment zulässt, was der gegenwärtigen Gesellschaft entsprechen würde.

3. Charakterisierung der Generation Golf und der Generation der „68er“

Um einen politischen Reflex einer Generation zu einer Vorhergegangenen zu erkennen, ist es Voraussetzung beide Generationen im Vorfeld dieser Beurteilung eingehend zu betrachten. Hierzu sollen im folgenden Abschnitt der Arbeit die spezifischen Merkmale, der hier im Mittelpunkt der Betrachtungen stehenden Generationen dargestellt werden. Die Pop-Literaten um Florian Illies etikettieren die Merkmale einer neuen Generation, deren generationsspezifischen Kennzeichen durch die Interpretation der bereits zuvor erwähnten Bücher erarbeitet werden. Die Generation der 68er soll im Anschluss daran von zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Zunächst soll anhand objektiver, unvoreingenommener Literatur das reale historische und unverfälschte Bild dieser Generation aufgezeigt werden. Im Anschluss daran wird die Sichtweise der Pop-Literatur auf ihre kritisierten Vorgänger erläutert. Folglich wird sich herauskristallisieren, ob und inwieweit das von den Popliteraten entworfene Bild der 68er Generation den historischen Gegebenheiten entspricht.

3.1 Das Generationsmodell der Pop-Literatur, die „Generation Golf“

Popliteratur ist eine ursprünglich vom Begriff Pop Art abgeleitete Bezeichnung von literarischen Schreibweisen, die bereits seit den 60er Jahren von meist jungen Schriftsteller verwendet werden. Der Bezeichnung ist jedoch trotz dieser längeren Tradition mehrdeutig und missverständlich.[7] Dementsprechend verhält es sich mit dem Konstrukt der neueren Popliteratur, der Generation „Golf“ oder auch „Pop“, wie sie Johannes Ullmaier nennt, und diesbezüglich einleitend feststellt: „Was das im einzeln ist, weiß niemand so genau“.[8] Die Interpretation der Generation Pop in dieser Arbeit wird sich auf erwähnten aktuellen Popliteraten und deren Werke beschränken. Als Generation Golf werden die Geburtsjahrgänge zwischen 1965 und 1975 betrachtet, wobei diese von Florian Illies vorgenommene Eingrenzung zu früheren und nachfolgenden Jahrgängen als durchlässig angesehen werden muss. Gemein haben diese Jahrgänge, das sie in den 80er Jahren aufgewachsen sind, das von Illies als das langweiligste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts betrachtet wird. Rückblickend betrachtet er die 80er Jahre als einfach strukturiert:

„Es ging allen gut, man hatte kaum noch Angst, und wenn man den Fernseher anmachte, sah man immer Helmut Kohl. Nicole sang ein bisschen Frieden, Boris Becker spielte ein bisschen Tennis, Kaffee hieß plötzlich Cappuccino, das war’s auch schon.“[9]

Die Langeweile ergibt sich aus dem unspektakulären und als Endlosschleife erscheinenden Umfeld, welches bestehend aus der gesicherten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Situation in der Bundesrepublik der 80er Jahre die grundsätzliche Voraussetzung für die Herausbildung der Generation Golf darstellt. Man befindet sich in einer Wohlstandsgesellschaft, in der der Großteil der Bevölkerung keine materiellen Ängste haben muss, und zudem gut situiert auf die Zukunft blicken kann. Die chronologische Zuordnung zu diesen Geburtenjahrgängigen erklärt im Ansatz das unpolitische Auftreten dieser Generation, die sich dem Anschein irgendwann an Helmut Kohl so sehr gewöhnt hat, die sie sich anders als die „68er“ nicht mit Politik beschäftigt. Eine ausreichende Erklärung zur Herausbildung einer Generation liefert dies nicht, und das eigentliche spezifische Element ist durch die apolitische Haltung auch nicht vollends gegeben. Vielmehr ist es der Stil und die Liebe zur Ästhetik, sowie ein ausgeprägter Markenfetischismus, was dieser Generation gemein ist, und sie von anderen Generationen unterscheidet. Sie zeichnet sich zudem durch selbstbewussten Egoismus in unterschiedlichsten Lebensblagen aus.

Im Besondern der Markenfetischismus prägte sich bereits in der Kindheit heraus, in der man sich über politische und ökonomische Fragen nicht den Kopf zerbrechen musste. So stand in der Kindheit die Flasche Hohes C für Arztkinder, folglich ist das Kind und in diesem Fall der Beruf des Vaters oder der Mutter an einer Marke zu erkennen.[10] Durch die Marken und das damit verbundene Prestige findet eine Definition eines Typus statt, der sich durch die Marke einer Gruppe gleichgesinnter angehörig fühlt. Das Individuum bestimmt sich über Marken und die Emotion, die man mit diesen Marken verbindet. Es ist jedoch keineswegs so, das man zwanghaft versucht die Gruppe dieser Generation zu erweitern, es passiert eher ungewollt. Man versteht sich vielmehr als konsumästhetische Avantgarde, die diese Monopolstellung behaupten will. Joachim Bessing äußerte sich hierzu wie folgt:

„Pervers ist, dass wir letztlich genau das Publikum bedienen, das wir verachten [...]. Wenn ich zum Beispiel manchen Etiketten schreibe, verrate ich Geheimcodes und gewisse geheim vereinbarte Regeln und veröffentliche sie in einer Zeitung. Das tue ich einer bewussten Zerstörung dessen, was ich auch beklage.“[11]

[...]


[1] Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion, Berlin 2000, S. 163.

[2] Stuckrad-Barre, Benjamin von: Soloalbum, Köln 1998.

[3] Kracht, Christian: Faserland, Köln 1995.

[4] Bessing, Joachim (Hg.): Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett, München ²2002.

[5] Vgl. Hoerning, Erika : Grundfragen der Soziologie des Lebenslaufs. Makrosoziale Perspektiven des Lebenslaufs, Kurs 3635 der Fernuniversität, Kurseinheit 1, Hagen 1994, S. 51.

[6] Vgl. http://www.single-generation.de/debatte/einfuehrung.htm (16.09.2004)

[7] Vgl. Schäfer, Jürgen: Popliteratur. In: Ralf Schnell (Hg.): Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart. Stuttgart 2000, S. 420-421, hier S. 420.

[8] Ullmaier, Johannes: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur, Mainz 2001, S.10.

[9] Illies: Generation, S. 16.

[10] Vgl. Illies: Generation, S. 17.

[11] Bessing: Tristesse, S. 29.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
"Unsere Generation hat mit dem Demonstrieren aufgehört, weil sie es zu kalt findet" - Pop-Literatur und ihr politischer Reflex auf die "68er"
Hochschule
Universität Regensburg  (Germanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V35598
ISBN (eBook)
9783638354615
ISBN (Buch)
9783638724012
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem literarischen Verhältnis der Pop-Literatur und der 68er Generation. Im Zentrum der Betrachtung stehen die Autoren Florian Illies, Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und das Werk "Tristesse Royal" von Joachim Bessing (Hg.).
Schlagworte
Unsere, Generation, Demonstrieren, Pop-Literatur, Hauptseminar, Reflex, 68er
Arbeit zitieren
Thomas Daffner (Autor:in), 2004, "Unsere Generation hat mit dem Demonstrieren aufgehört, weil sie es zu kalt findet" - Pop-Literatur und ihr politischer Reflex auf die "68er", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35598

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