Modernitätskritik am Beispiel Christa Wolfs "Störfall. Nachrichten eines Tages"


Studienarbeit, 2012

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Hintergrund

3. Die Situation der DDR-Literatur in den 1980er Jahren
3.1. Christa Wolf als Autorin

4. Störfall. Nachrichten eines Tages
4.1. Die Bruderproblematik im „Störfall“
4.2. Modernitätskritik
4.3. Geschlechterspezifische Betrachtungsweise
4.4. Sprache als „Störfall“
4.5. Der „blinde Fleck“

5. Was bleibt? – Die Bilanz von „Störfall“

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit dieser Hausarbeit möchte ich einen Einblick in Christa Wolfs „Störfall. Nachrichten eines Tages“ geben und mich mit diesen Werk auseinandersetzten. Dieses Buch kann man als Chronik eines Tages lesen und stößt dabei auf die Frage: „Was ist an diesem Tag im April 1986 mit den Menschen geschehen?“[1] Auch wenn man dies nicht zu beantworten vermag, beinhaltet doch das Werk einen Ausblick in die Zukunft.

Um einen kleinen Überblick zu gewährleisten, werde ich in diesem Zusammenhang die Situation der DDR-Literatur in den 1980er Jahren sowie die Umweltbewegung in der DDR kurz betrachten. Des Weiteren werde ich versuchen, die im „Störfall“ geäußerte Modernitätskritik, explizit herauszuarbeiten und unter verschiedenen Aspekten zu beleuchten. Lohnenswert erscheint bei Christa Wolf auch die Betrachtung des Verhältnisses Mann und Frau unter Berücksichtigung der Gender Studies.

2. Historischer Hintergrund

In den 1950er und 60er Jahren glaubte man an eine große Zukunft der Atomenergie. Die Kernkraft sollte dem sozialistischen Aufbau dienen. So kann man in der Präambel des Atomenergiegesetzes der DDR von 1962 folgendes lesen:

„Die friedliche Anwendung der Atomenergie eröffnet dem gesellschaftlichen und technischen Fortschritt der Menschheit gewaltige Perspektiven. Sie ist notwendig für die rasche Entfaltung des sozialistischen Aufbaus.“[2]

Trotz angestrebter nuklearer Energiegewinnung sah die Realität anders aus. Die anvisierte Leistung wurde nicht annähernd erbracht. Schuld daran waren vor allem „technische Schwierigkeiten und ernüchternde Kostenentwicklung im Kraftwerkbau“.[3] Trotz dieser Schwierigkeiten hielt die SED am Atomenergieprogramm fest. Auch die Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 änderte nichts daran. Bis Ende 1986 konnte man keinen Artikel über das ukrainische Reaktorunglück oder deren Konsequenzen in der Berichterstattung der DDR lesen. Nach fast einem Jahr ohne jegliche mediale Auseinandersetzung erschien die Erzählung „Störfall. Nachrichten eines Tages“ von Christa Wolf, die auf ihre persönliche Weise, sich mit der Tschernobyl Katastrophe auseinandersetzt. Hinzu kommt, dass sich das Bewusstsein der Menschen besonders in den 1980er Jahren verändert hat. Der Mensch setzt sich zunehmend mit seiner Umwelt auseinander, er begreift die Endlichkeit der Ressourcen und der Naturschutz rückt fortwährend in den Vordergrund. Bereits 1968 konnte man in der Verfassung der DDR lesen:

„(1) Der Boden der Deutschen Demokratischen Republik gehört zu ihren kostbarsten Naturreichtümern. Er muß geschützt und rationell genutzt werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden darf nur mit Zustimmung der verantwortlichen Organe seiner Zweckbestimmung entzogen werden.

(2) Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheit der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers.“[4]

Doch nicht nur in Sachen Atomenergie, auch beim Umweltschutz sah die Realität erschreckend anders aus. Wenn man die DDR mit Japan vergleicht, „wurden in der DDR 30-mal so viel Schwefeldioxid emittiert, 100-mal mehr Staub und dreimal so viel CO²“[5].Ursache dieser dramatischen Umweltsituation sind unter anderem die Energieversorgung auf Braunkohlebasis, Uranerzförderung durch die Wismut oder die chemische Industrie um Bitterfeld. Infolge der Luft- und Umweltverschmutzung entstanden überall Umweltgruppen. Die meisten entstanden unter dem Dach der Kirche. Neben den Umweltthemen wurden auch Friedens- und Menschrechtsbewegung Thema dieser Oppositionsbewegung. 1986 wurde die Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchengemeinde gegründet, die der Herausgeber der Samisdat-Zeitschrift „Umweltblätter“ (später „telegraph“) war. Die Stürmung durch das Ministerium für Sicherheit in der Nacht zum 25.11.1987 und die Verhaftung von Mitarbeitern verschaffte dieser Bewegung zunehmendes öffentliches Interesse.[6]

3. Die Situation der DDR-Literatur in den 1980er Jahren

Die stärker werdende ökologische Kritik wurde auch auf dem 10. Schriftstellerkongreß 1987 thematisiert. Wolfgang Emmerich nennt in diesem Zusammenhang vier literarische Werke die sich mit der Problematik auseinandersetzen. Zum einen Monika Marons Roman „Flugasche“ von 1981, Hanns Cibulkas „Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Flemming“ 1982, des weiteren Christa Wolfs „Störfall“ und abschließend Volker Braun mit „Bodenloser Satz“ 1990.[7] Diese vier Werke zeigen einmal mehr, dass auch die Schriftsteller sich mit der Thematik Umweltschutz konfrontiert sehen und dass trotz mangelnder medialer Berichterstattung der DDR, die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung bestand. Die Desinformationspolitik der DDR hat demnach nicht das gewünschte Ergebnis zur Folge, dass sich die Bürger für das Thema nicht interessieren, sondern im Gegenteil, die Kritik wird immer schärfer und der Forderungen nach Informationen immer lauter.

Die Erzählliteratur der DDR veränderte sich stark Ende der 60er bzw. in den 1970er Jahre. Das „Erzählen in der Krise“[8] meint zweierlei. Zum einen befindet sich der Gegenstand der Epik in der Krise, zum anderen stecken die bisher verwendeten literarischen Mittel für das Erzählen in der Krise bzw. sind – mit anderen Worten – nicht mehr ausreichend. Emmerich beschreibt die neue Entwicklung so: „Die DDR-Prosa ist, mit einem Wort, modern geworden, also ‚gleichzeitig‘ mit der der westlichen Welt“[9]. Die phantastische Literatur dient als „Beispiel für eine umfassende Tendenz modernen Erzählens in der DDR, das die Fiktion, das Phantasma empathisch ins Recht setzt und sich nicht mehr damit begnügt, die vorhandene Realität, wie amtlich gefordert, ‚widerzuspiegeln‘.“[10] Neben der fiktionalen Literatur taucht seit 1975 eine starke Gegenbewegung auf: die dokumentarische, faktographische Literatur.[11] Erlebnisberichte, Reportagen, Memoiren, Protokolle, Tagebücher, Interviews und Reisebücher sollen dem Leser Authentizität vermitteln. Besonders in der DDR war das Verlangen nach einer authentischen Berichterstattung nachzuvollziehen. Die Literatur leistete „eine außerliterarische ‚Ersatzfunktion für Journalismus‘“[12], indem sie versuchte dieses Bedürfnis zu stillen. Natürlich musste sich auch diese Form der Literatur mit Kritik auseinandersetzen und die Frage, ob durch eine ungeschönte Situationsbeschreibung die gewünschte Authentizität hervorgerufen wird, scheint zunächst berechtigt. „Man vergaß, daß menschliche Abbilder von Wirklichkeit immer Konstrukte sind, und seien sie noch so primitiv und vermeintlich unmittelbar.“[13] Im Gegensatz zur BRD erfreute sich die Dokumentarliteratur in der DDR länger anhaltender Beliebtheit aufgrund des Mangels an Medienöffentlichkeit. Jedes geschriebene Wort konstruiert infolge der erlebten Erfahrung seine eigne Wirklichkeit und ist demnach kein bloßes Abbild der Realität. Der Autor verarbeitet seine eigene Erfahrung und diese Form der Subjektivität führt dazu, dass „[a]uch das Dokumentarische […] ein Rätsel zum Gegenstand haben [muß]“[14], denn nur so entsteht Authentizität. Christa Wolf nennt dieses Phänomen „subjektive Authentizität“[15], was besonders in Tagebüchern zur Geltung kommt.

[...]


[1] Christa Wolf: Störfall. Nachrichten eines Tages. 1987, S. 2. (Im Folgenden als SF + Seitenzahl

gekennzeichnet.)

[2] Präambel des Atomenergiegesetzes, in: Gesetzblatt der DDR I, Nr.3/1962: 47. In: Schenkel, Michael:

Fortschritts- und Modernitätskritik in der DDR-Literatur. Prosatexte der 80er Jahre. Tübingen 1994, S. 101.

[3] Schenkel, Michael: Fortschritts- und Modernitätskritik in der DDR-Literatur. Prosatexte der 80er Jahre.

Tübingen 1994, S. 101

[4] Verfassung der DDR vom 6.4.1968, Abs.1, Art.15.

http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1968.html#Ik2 (Zugriff am 7.6.2012)

[5] Quelle: http://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/umweltpolitik-der-ddr; Zugriff am 7.6.2012, 10:52

[6] Vgl. Deutschland in den 70er und 80er Jahren. Informationen zur politischen Bildung (Zschr. Heft 270).

Hrsg. v. Bundeszentale für politische Bildung/bpb 2004: http://www.bpb.de/izpb/9753/entwicklung-der-ddr-bis-ende-der-80er-jahre (Zugriff am 7.6.2012, 18:08)

[7] Vgl. Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. 1996, S. 314ff.

[8] Ebd., S. 285.

[9] Ebd., S. 286.

[10] Ebd., S. 287.

[11] Vgl. Ebd., S. 289.

[12] Ebd., S. 289.

[13] Emmerich, S. 292.

[14] Ebd., S. 293.

[15] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Modernitätskritik am Beispiel Christa Wolfs "Störfall. Nachrichten eines Tages"
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Germanistik)
Note
2
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V233694
ISBN (eBook)
9783656506249
ISBN (Buch)
9783656507826
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
modernitätskritik, beispiel, christa, wolfs, störfall, nachrichten, tages
Arbeit zitieren
Melanie Illert (Autor:in), 2012, Modernitätskritik am Beispiel Christa Wolfs "Störfall. Nachrichten eines Tages", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233694

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