Kulturvergleich in Hermann Hesses "Aus Indien"


Seminar Paper, 2012

18 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhalt

I. Hesses Indien

II. Kulturvergleich in Hermann Hesses Aus Indien
A. Synchrone Bewertung
1. Pappritz und Schäfer
2. Krüger-Westend
3. Maurer
B. Diachrone Bewertung
1. Rezeptioninden 1980er-Jahren
2. Kimmerle
C. Aus heutiger Sicht problematische Formulierungen
1. „Primitive[s]Naturmenschentumu
2. Verallgemeinerungen
3. Tierweltmetaphorik
D. Zusammenfassende Bewertung

III. Rückschlüsse für interkulturelle Begegnungssituationen heute

Literaturliste

Anhang

I. Hesses Indien

Um Hermann Hesses Werk Aus Indien verstehen zu können, ist es wichtig, einige biogra­phische Daten des Schriftstellers zu kennen, die unmittelbar auf diese Dichtung Einfluss nahmen.

Sebastian Giebenrath stellt die Quelle von Hermann Hesses Indienbegeisterung, die ihn zu seiner Reise getrieben hat, dar: ein „über zwei Kilo schweres“ Bilderbuch, das in der Familienbibliothek stand und vom Großvater Gundert im Calwer Verlagsverein 1883 unter dem Titel „Calwer historisches Bilderbuch der Welt“ zusammengestellt und herausgege­ben worden war.[1] [2]

Seit frühester Kindheit an hat Hesse eine starke Beziehung zu Indien - aus familienge­schichtlichen, literarischen und philosophischen Gründen[3]. „Hesses Vater und Großvater waren Missionare in Indien gewesen.“[4] Aufgrund dessen ist es nicht überraschend, dass er sich im Jahre 1911 34-jährig auf eine „Indien“-Reise begibt:

H.H. unternimmt die Indienreise mit dem Malerfreund Hans Sturzenegger (1875-1943) aus Schaffhausen. Am 4.9.1911 brechen sie auf und fahren durch die Schweiz und das versengte Oberitalien nach Genua. Dort schiffen sie sich auf dem Dampfer »Prinz Eitel Friedrich« des Norddeutschen Lloyd ein, der am 7.9. ablegt. Ziel sind die Straits Settlements, wie damals die britischen Kolonial­gebiete an der Straße von Malakka hießen. Die Fahrt ging durch das Mittelmeer und das Rote Meer.[5]

Sein Verleger S. Fischer stellt ihm einen Reisezuschuss von 4.000 Mark zur Verfügung, ohne ihn zu einer literarischen Verwertung der Reise zu verpflichten[6]. Er wünschte sich für Hesse „>eine Bereicherung des Lebensgefühls<“ und „eine Erweiterung des Stoffgebie- tes<“[7].

Hesse selbst schreibt später über die Motive seiner Indien-Reise:

»Ich hatte Gaienhofen erschöpft, es war dort kein Leben mehr für mich, ich reiste nun häufig für kurze Zeiten weg, die Welt war so weit draußen, und fuhr schließlich sogar nach Indien, im Sommer 1911. Die heutigen Psychologen, der Schnoddrigkeit beflissen, nennen so etwas eine >Flucht<, und natürlich war es unter anderem auch dies. Es war aber auch ein Versuch, Distanz und Überblick zu gewinnen.« (H.H., Beim Einzug in ein neues Haus; GW 10, 148)[8]

Die Reiseroute, die Hesse auch in Aus Indien beschreibt, fuhrt ihn vom Mittelmeer in den Suezkanal, durch das Rote Meer, nach Penang, Singapur, Südsumatra, Palembang, zurück nach Singapur und schließlich nach Kandy auf Sri Lanka.

Da er mit dem tropischen Klima nicht zurecht kommt, tritt er die Rückreise an, ohne „die Malabarküste - das Geburtsland seiner Mutter -“[9] besucht zu haben und kehrt am 11.12.1911 wieder nach Hause zurück[10].

Wie die visualisierte Reiseroute, die im Anhang zur Verfügung gestellt wird, zeigt, ist Hes­se damit nie in die Region gekommen, die wir heute „Indischer Subkontinent“ nennen, vom heutigen Nationalstaat Indien ganz zu schweigen.

Dieses umfassenderen Indien-Begriffes und der Tatsache, dass Hesses Reise in die ausge­hende Kolonialzeit fallt, sollte sich der Leser des Werkes stets bewusst sein.

Das Werk Aus Indien ist, wie schon der Untertitel Aufzeichnungen von einer indischen Rei­se vermuten lässt, ein direktes Produkt von Hesses Indien-Reise. Veröffentlicht wird es 1913, obwohl Hesse sich zwischenzeitlich angeschickt hatte, den Reisezuschuss an S. Fi­scher zurückzuzahlen, da er sich von seiner Reise zunächst nicht inspiriert fühlte. Letzten Endes sollte aber Fischer Recht behalten, denn auch Siddhartha ist ohne die Indien-Reise des Autors nicht denkbar.

Zuletzt ist einleitend noch zu sagen, dass Aus Indien aus drei Teilen besteht: Einem tage­buchartigen Reisebericht, der etwa die Hälfte des Werks ausmacht, einem Mittelteil mit acht Gedichten und der Novelle Robert Aghion. Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie der Autor seine Ausgangs- und die indische Zielkultur vergleicht und wie seine Aussa­gen aus synchroner und aus diachroner Sicht zu bewerten sind.

II. Kulturvergleich in Hermann Hesses Aus Indien

A. Synchrone Bewertung

1. Pappritz und Schäfer

Die Beurteilungen, die Pappritz und Schäfer Aus Indien angedeihen lassen, gehören zu den wenigen kritischen Stimmen, die sich bei Veröffentlichung des Bandes vernehmen lassen: „...Hesse hat Indien gesehen, aber er hat es nicht erleb t“[11], meint Pappritz. Schäfer wirft dem Dichter vor: „...auch in den Urwäldern Sumatras bleibt H. Hesse stets der Schwabe.[12] “ (Schäfer, Herman Hesse, S. 244.)“ (S. 39, Ganeshan). Ansonsten wird Hesse für Aus Indi­en zeitgenössisch nur von evangelischer Seite kritisiert, da die Darstellung der Mission in der Novelle Robert Aghion als Verunglimpfung aufgefasst wird.

2. Krüger-Westend

Exemplarisch für das ansonsten durchgehend begeisterte Echo werden hier die Rezensio­nen von Krüger-Westend und Maurer dargestellt:

Aus Indien. Aufzeichnungen von einer indischen Reise. Von Hermann Hesse. Berlin 1913, S. Fischer. 198 S. M .3,-.

Hermann Hesse ist als Dichter in Indien gewesen. Viele - auch Autoren von Rang - reisen heut mit der Kamera oder dem Reporternotizblock. Sie photographieren und notieren, wollen vielseitig sein, tief und gründlich sogar, und werden meist doch nur langweilig. Andre wieder weltreisen (Gott möge uns endlich davor bewahren!) als durchsichtig dünnflüssige Lloyd- oder Hapag- Reklamefeuilletonisten. Hesse reiste mit den Entdeckeraugen des echten Dichters. Ein Dichter weiß überall zu entdecken und den Werkeltag zum sonnenschönen Feiertag zu erheben. Alles, was Hesses Aug' an charakteristischen und wesentlichen Momenten erspähte: das ist plastisch, lebhaft, farbkräftig hingemalt und spiegelt die Erscheinungen der fremden Welt in wundervoller Reinheit und Klarheit wieder. Und das gibt dem hesseschen Reisebuch seinen unvergleichlichen Reiz: daß uns Indien an ihm zum wirklichen Erlebnis wird.

Bremen Herman Krüge r-W esten d[13]

Krüger-Westend zeigt sich damit von Aus Indien begeistert und lobt auch Hermann Hesse in den höchsten Tönen. Dass dies nicht die einzige euphorische zeitgenössische Stimme zu diesem Werk war, zeigt das folgende Zitat von Maurer:

3. Maurer

[Aus Indien] reg[t] zum Reisen an; [es] könnte[] aber auch [...] für den Phantasiemenschen ebensogut einen vollen Ersatz für diese Reise[] dorthin bedeuten.[14]

Wie man die tiefste Wesenheit und den Geist eines fremden Landes herausfühlen, erkennen, zum persönlichen Erlebnis machen kann, das zeigt uns Hermann Hesse in der kurzen Novelle „Robert Aghion“ am Ende seines Indienbuches.[15]

Man bedarf der Kraft, um das Wesen einer fremden Rasse zu erfassen, man muß ein Herz haben, um ihre Wärme zu fühlen, ein Auge, um zu sehen, was jene Menschen sehen, Phantasie und einen weiten Sinn, um ihnen im guten Geist und in der Wahrheit gerecht zu werden. Es gibt nur eine Wahl: man muß sich dem neuen Ort so hingeben können, daß man seine Besonderheit ganz in sich aufnimmt und eine Brücke baut zwischen der eigenen Art und „dem Anderen“, muß mit den neuen Menschen dasjenige tauschen, was wir nicht haben.[15]

Ferner bescheinigt Maurer Hesse „unnachahmliche^ sprachliche^ Meisterschaft“[16]. Das überschwängliche Lob, das Krüger-Westend und Maurer Hesse für sein Indien-Buch ange­deihen lassen, ist exemplarisch für die zeitgenössischen Stimmen. Umso erstaunlicher ist es, dass das Werk in den Folgejahren so gut wie gar nicht mehr rezipiert wurde.

B. Diachrone Bewertung

1. Rezeption in den 1980er-Jahren

Erst in den 1980er-Jahren wird wieder auf Aus Indien Bezug genommen: Zunächst weist Hupka 1984 in einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf eine Hermann­Hesse-Suite hin, die in einem Hotel in Singapur eröffnet worden war und geht in diesem Rahmen kurz auf Aus Indien ein:

Zum Bericht über Singapur (F.A.Z. Vom 22. März) sei eine Ergänzung angebracht. Zu Recht wird über das berühmte Raffles Hotel berichtet. Wer als Europäer Singapur besucht, muß unbedingt wenn nicht gleich hier abgestiegen, so doch Gast gewesen sein. Ein Stück englische Kolonialzeit hat hier überlebt.

Aber nicht nur, wie allgemein gehandelt wird, sind hier Kipling und Maugham berühmte Gäste gewesen, sondern auch Hermann Hesse. So wie es eine Kipling- und Maugham-Suite gibt, verfügt Raffles Hotel jetzt auch über eine Hesse-Suite. Am 12. Dezember vorigen Jahres wurde diese Hesse-Suite in Anwesenheit des deutschen Botschafters Dr. Wolfram Dufner (seit kurzem Botschafter in Kuala Lumpur) durch einen kleinen festlichen Akt eingeweiht.

Eine fünfköpfige Gruppe der Deutsch-Asean-Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages, die soeben in Singapur eingetroffen war, konnte gleichfalls daran teilnehmen.

Als Hermann Hesses Reiseaufzeichnungen „Aus Indien“ 1981 auch in englischer Übersetzung erschienen waren, stieß man darauf, daß Hesse 1911 Gast im Raffles Hotel gewesen ist. Am 25. Oktober 1911 ist eingetragen: „Singapur gefällt mir diesmal mehr, wir wohnen teuer, aber gut im Raffles Hotel, das Essen ist auch hier schlecht.“ Es ließ sich allerdings nicht mehr feststellen, auf welchem Zimmer Hesse seine Nächte verbracht hat, aber die jetzt nach Hermann Hesse benannte Suite trägt die Nummer 112 und ist mit Fotografien des späteren Nobelpreisträgers und Büchern aus dem Werk ausgestattet.

Da die Inanspruchnahme des Dichters für Deutschland oder die Schweiz - hat er doch Jahrzehnte in Montagnola gelebt - ein Streitfall werden könnte, waren bei der Eröffnung der Hermann-Hesse-Suite im Raffles Hotel sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Schweiz diplomatisch vertreten. Das Verdienst, an Hesse erinnert und die Benennung einer Suite nach ihm vorgeschlagen zu haben, nachdem es längst eine immer wiederkehrende Erinnerung an Kipling und Maugham bereits gegeben hat, gebührt dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Singapur.

Dr. Herbert Hupka, MdB, Bonn[18]

Auch 1985 steht das Hotel, in dem Hesse einst übernachtete, im Zentrum des Interesses:

Ein Hotel für Schriftsteller: das „Raffles“ in Singapur, ein ehrwürdiges Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, ein Luxusbau, der heute anrührend fremd in einer Umgebung von Hochhäusern vor sich hin döst. Hermann Hesse war da, unerkannt, im Alter von vierunddreißig. Er stöhnte damals, 1911, über das Es­sen und den Lärm, den die jungen Engländer machten. Zum Schlafen schluckte er Veronal.[19]

1987 folgt schließlich Ernst Jünger Hesses Spuren in Indien, wobei er aber auf Aus Indien als bloßen Reiseführer Bezug nimmt:

Die Staatsgalerie ist im ehemaligen Hotel »Majestic« eingerichtet, das durch Romanciers, die man die »literarischen Orientkunden« nennen könnte, berühmt geworden ist. Sie sind dort, ähnlich wie bei »Raffles'« in Singapur, gern einge­kehrt und haben auch verweilt. Da die Räume des Klimas wegen hoch gebaut sind, eignen sie sich gut für eine Galerie. Der Botschafter meinte, daß auch Her­mann Hesse vor dem Ersten Weltkrieg dort gewohnt habe - das stellte sich, als ich am Abend dessen Aufzeichnungen »Aus Indien« konsultierte, als Irrtum her­aus. Hesse ist am 1. Oktober 1911 auf dem »noblen«, im Moschee-Stil erbauten Bahnhof von Kuala Lumpur angekommen und hat im inzwischen aufgelassenen »Empire« gewohnt. Sein Urteil darüber ist wenig günstig: »Feines Hotel, teuer, äußerlich imponierend, doch nicht gut. Kost und Bedienung schlecht, in den Zimmern ungeleerte Nachttöpfe«. Zu seiner Mißstimmung mag die Falterjagd beigetragen haben, die ihn am Vormittag im heißen Gestrüpp bei Ipoh ermüdete [...][20]

2. Kimmerle

1997 erfahrt das Werk in einem Aufsatz von Heinz Kimmerle endlich wieder eine größere Aufmerksamkeit. Zunächst widmet sich Kimmerle aber Hesse, über den er schreibt: „Ins­gesamt läßt sich sagen, daß die Faszination von Indien bei Hesse zu gründlichen Kenntnis­sen und einem ausgewogenen urteil über dieses Land und seine Kultur geführt hat und daß

[...]


[1] AI: S. 96.

[2] Giebenrath: S. 6. Einige Bilder aus diesem Band sind im Anhang zu sehen.

[3] vgl. Pfeifer: S. 116f.

[4] Pfeifer: S. 118f.

[5] Pfeifer: S. 112.

[6] vgl. Pfeifer: S. 113.

[7] Pfeifer: S. 114.

[8] Pfeifer: S. 115.

[9] Pfeifer: S.113.

[10] vgl. Pfeifer: S. 113.

[11] Pappritz, Anna. Hermann Hesse. S. 368. In: Ganeshan: S. 39.

[12] Schäfer. HermannHesse. S. 244. In: Ganeshan: S. 39.

[13] Krüger-Westend

[14] Maurer: S. 165f.

[15] Maurer: S. 166.

[16] Maurer: S. 167.

[17] Maurer: S. 167.

[18] Hupka.

[19] vhg.

[20] Jünger: S. 17.

Excerpt out of 18 pages

Details

Title
Kulturvergleich in Hermann Hesses "Aus Indien"
College
LMU Munich  (Deutsch als Fremdsprache)
Course
Proseminar Ausgewählte Texte der Reiseliteratur
Grade
1,7
Author
Year
2012
Pages
18
Catalog Number
V196435
ISBN (eBook)
9783656225102
ISBN (Book)
9783656226574
File size
906 KB
Language
German
Keywords
Hesse, Kulturvergleich, Indien
Quote paper
Johannes Gröbl (Author), 2012, Kulturvergleich in Hermann Hesses "Aus Indien", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196435

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Title: Kulturvergleich in Hermann Hesses "Aus Indien"



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