Christliche Alltagswelt im Spannungsfeld zwischen Konfrontation und Kooperation

Grenzen und Möglichkeiten christlicher Lebensführung im DDR-Regime


Bachelorarbeit, 2014

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kirchenpolitik im DDR-Regime - Eine Übersicht

3. Die Verdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Kirche durch den SED-Staat

4. Staatliche Repressionen gegenüber Christen als Druckmittel zur Abkehr von einer christlichen Lebensführung

5. Die Suche nach gesellschaftlicher Integration und nach Handlungsspielräumen im christlichen Alltagsleben im Angesicht zunehmender Säkularisierung

6. Die Haltung der Kirche gegenüber dem sozialistischen Staat - Eine Positionssuche zwischen Konfrontation und Kooperation

7. Zusammenfassung

8. Abkürzungsverzeichnis

9. Literaturverzeichnis

10. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„ Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. [ ] Sie ist das Opium des Volkes. “ 1

Die Lehren des Marxismus-Leninismus stellten die Basis der politischen und gesellschaftlichen Ideologie der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) dar. Sie waren das Kernelement der „Diktatur des Proletariats“, die durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ihre Ausführung finden sollte und dienten somit als Fundament für den Führungsanspruch dieser Massenpartei, die sich selbst als „Partei der Arbeiterklasse“ interpretierte. Um dies zu verdeutlichen erhielten die Lehren auch in den Parteiprogrammen der SED von 19632 und 19763 eine zentrale Verankerung.

Unter dem Schirm der marxistisch-leninistischen Lehren entwickelte sich die SED zu einer Kaderpartei, deren Organisationsprinzip formal der „demokratische Zentralismus“ darstellte und die sich am Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion orientierte. Aufgrund der strengen Hierarchie im Regierungsapparat, die dazu führte, dass Entscheidungen aus der Parteispitze in jedem Fall auszuführen waren und aufgrund dessen, dass Minderheitsmeinungen durch Fraktionsverbot unterdrückt wurden, kann jedoch von einem diktatorischen System gesprochen werden.4

Die Ausfüllung wichtiger Ämter in allen gesellschaftlichen Teilbereichen durch systemtreue Funktionäre5 tat dabei ihr Übriges. Die SED-Führung legte besonderen Wert darauf, „ daß[] zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Kader mit den notwendigen Kenntnissen, Fähigkeiten, Eigenschaften und Erfahrungen zur Verfügung stehen [ … ][, um] politisch richtig und mit Sachkenntnis Fragen der Entwicklung der Gesellschaft, der Wirtschaft und Kultur zu entscheiden und die dem Wohl des Volkes dienende Politik der Partei gemeinsam mit den Menschen zu verwirklichen. “ 6, wie es der Leiter der Parteiorgane des Zentralkomitees, Horst Dohlus, in einem Aufsatz in der SED-Zeitschrift „Einheit“ 1974 formulierte. Nur mithilfe der gezielten Auswahl und Erziehung sowie einem planmäßigen Einsatz der Kader sei die Parteipolitik umzusetzen.7 Somit war gewährleistet, dass es in der DDR nahezu keine Alltagsnischen gab, die nicht unter der Beobachtung oder gar der Kontrolle der SED standen. Dass davon selbst die Institution Kirche8 nicht unbehelligt bleiben konnte, wird schon aus dem einführenden Zitat dieser Arbeit deutlich. Einer der Hauptkritikpunkte von Marx‘ Lehren ist die Religion, die er als „verkehrtes Weltbewusstsein“ charakterisiert, das vom Menschen selbst geschaffen sei. Religion gebe den Menschen, die noch nicht zu sich selbst gefunden haben, ein Selbstgefühl und sei deshalb wie Opium für das Volk. Mit dieser Charakterisierung von Religion als eine vom Menschen und damit gleichfalls vom Staat geschaffene Theorie, die den Geist in geistlose Zustände versetze, machte Marx die Institution Kirche zu einer Angriffsfläche für das SED-Regime. Dieses nämlich konnte aus jener Lehre die Schlussfolgerung ziehen, der Staat habe die Aufgabe, den Einfluss der Kirche aus dem politischen und gesellschaftlichen Handlungsfeld zu verdrängen und zu einer beherrschbaren, spirituellen Randerscheinung zu degradieren. Die Entwicklung der Mitgliedszahlen der evangelischen Kirche in der DDR lassen vermuten, dass sich das SED-Regime dieser Aufgabe tatsächlich mit aller Kraft angenommen hat. So sind laut NOWAK die Mitgliederzahlen von 80,5 Prozent im Jahre 1950 auf 25 Prozent zum Ende der DDR gesunken, was dazu führte, dass das Gebiet der ehemaligen DDR heute zu einer der am stärksten säkularisierten Regionen in Europa zählt.9

Die Zahlen zur statistischen Entwicklung der evangelischen Kirchenmitglieder in Ostdeutschland sind ein Indiz dafür, dass die Kirche in der DDR unter einen enormen Druck geraten sein und erheblich an Ansehen und Zustimmung verloren haben muss. Dieser Druck von „oben“ wirkte sich direkt auf das alltägliche Leben von Christen in der DDR aus. Zu einem „normalen“ protestantischen Werdegang gehörte - wie auch heute noch - der Weg von der Taufe, über die Christenlehre und gegebenenfalls den Religionsunterricht bis hin zum Konfirmandenunterricht mit anschließender Konfirmation. Diese war der Höhepunkt der christlichen Erziehung und stellte den symbolischen Akt des Übergangs vom Kind zum jungen Erwachsenen dar, der sich als mündiger Christ aus eigenem Willen heraus zum christlichen Glauben und einem Leben nach den Worten des Evangeliums bekannte. Für gewöhnlich folgten darauf der Besuch einer Jungen Gemeinde10 und gegebenenfalls auch die Teilhabe an Studentengemeinden, die die Möglichkeit boten, mit gleichaltrigen Christen in Kontakt zu treten und Fragen über Religion und die Anforderungen an ein Leben als Christ zu erörtern.

Die vorliegende Arbeit soll sich mit den Ursachen für die gesellschaftliche Säkularisierung während der SED-Herrschaft beschäftigen. Sie soll beleuchten, in welchem Verhältnis Staat und Kirche standen, welche Kämpfe ausgefochten wurden und inwiefern Annäherungsversuche stattfanden.

Im Fokus steht dabei das Alltagsleben von Christen im SED-Staat. Es soll betrachtet werden, wie tiefgreifend der Staat in die Arbeit der Gemeinden als auch in das private Leben von Christen eingegriffen hat. Hierbei wird - in Anlehnung an den Titel einer Veröffentlichung von Horst DÄHN11 - vor allem im Vordergrund stehen, welche Handlungsspielräume Christen bei der Ausübung ihres Glaubens besaßen und mit welchen Konsequenzen sie zu rechnen hatten, wenn sie sich gegen antichristliche Maßnahmen zur Wehr setzten.

Diese Arbeit bietet nicht den Umfang, um ein Gesamtbild über das Leben von Christen im SED-Regime darzulegen oder detailliert auf die Unterschiede in den einzelnen ostdeutschen Landeskirchen einzugehen. Sie soll vielmehr einen globalen Überblick über die Schwierigkeiten christlichen Lebens im DDR-Regime schaffen. Dabei stehen vor allem grundlegende Elemente aus dem christlichen Alltag im Blickpunkt, die durch die apodiktische Verbreitung einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung eine spürbare Beeinflussung erfahren haben.

2. Kirchenpolitik im DDR-Regime - Eine Übersicht

Deutschland lag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in jeglicher Hinsicht am Boden. Es verlor seine Zentralgewalt und wurde in vier Besatzungszonen geteilt, millionen Menschen waren obdachlos und hungerten; hinzu kamen unzählige Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemals von Hitler besetzten Gebieten in Europa. Ein Großteil der industriellen Anlagen sowie Transportwege waren durch Bombenangriffe zerstört, was gleichermaßen auf den Wohnraum zutraf.12 In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) begegnete man dieser verheerenden Situation, indem man zügig die ersten Fundamente zur Einrichtung demokratischer Strukturen legte. Schon im Juni 1945 wurde die Gründung antifaschistischer Parteien durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) zugelassen. Dieser Schritt war Grundlage für die Konstituierung der KPD, die der Grundstein für die politische Entwicklung in der SBZ und späteren DDR in den nachfolgenden vier Jahrzehnten sein sollte. Mit der Einführung eines Blocksystems durch die Gründung der „Einheitsfront der antifaschistisch- demokratischen Parteien“ im Juli 1945 und der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im April 1946 waren in der SBZ die Weichen gestellt, ein sozialistisches System nach sowjetischem Vorbild zu installieren.13 Wie schon angedeutet, lagen diesem System die marxistisch-leninistischen Lehren zugrunde, die im Widerstreit zu Kirche und Religion standen. Deshalb soll zunächst ein Überblick über die offizielle Haltung des DDR-Regimes gegenüber der Kirche im Verlauf seiner Existenz gegeben werden, um einen politischen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich die in dieser Arbeit beleuchteten Frontlinien zwischen Kirche und Staat manifestiert haben. Einige der dabei angedeuteten Konflikte werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher betrachtet und finden in diesem Kapitel deshalb zunächst nur kurze Erwähnung.

Im Programm der SED von 1946 war die Gesinnungs- und Religionsfreiheit als Grundrecht verankert. Im Abschnitt „Gegenwartsforderungen“ im Dokument über die Grundsätze und Ziele der SED stand unter dem Punkt „Sicherung der demokratischen Volksrechte“ geschrieben:

[...]


1 Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Ruge, Arnold / Marx, Karl (Hrsg.): Deutschfranzösische Jahrbücher (Jg. 1/2.1844), Leipzig 1973, S.162f. Zum besseren inhaltlichen Verständnis hier das vollständige Zitat: „ Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein [] und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein [], weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes. “ .

2 „ Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei des Sozialismus. [ … ] Sie ist die Partei des Fortschritts und der Demokratie. Sie ist eine marxistisch-leninistische Partei. “ in: Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (einstimmig angenommen auf dem VI. Parteitag der SED), Berlin 1963, S. 9f.

3 „ Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist der bewußte[] und organisierte Vortrupp der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik. Sie verwirklicht die von Marx, Engels und Lenin begründeten Aufgaben und Ziele der revolutionären Arbeiterbewegung. “, in: Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (einstimmig angenommen auf dem IX. Parteitag der SED), Berlin 1976, S. 5.

4 Vgl. Pötzsch, Horst: Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart. Die Entwicklung der beiden deutschen Staaten und das vereinte Deutschland, München 2006, S. 69.

5 Für eine bessere Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die männliche Form ebenso für die weibliche Form verwendet.

6 zitiert nach: Niemann, Mario: SED-Kaderpolitik nach dem Mauerbau, in: Jesse, Eckehard (Hrsg.): Eine Mauer für den SED-Staat. Berlin 1961 und die Folgen, Berlin 2012, S. 163f.

7 Vgl, ebd., S. 164.

8 Wenn in dieser Arbeit von der „Kirche“ in der DDR gesprochen wird, dann ist hiermit die evangelische Kirche gemeint, da sie - wie im Folgenden verdeutlicht - die mit Abstand am stärksten vertretene Konfession auf dem Gebiet der DDR darstellte. Einen Vergleich mit anderen in der DDR vertretenen Konfessionen lässt der Rahmen dieser Arbeit nicht zu.

9 Vgl. Nowak, Kurt: Staat ohne Kirche? Überlegungen zur Entkirchlichung der evangelischen Bevölkerung im Staatsgebiet der DDR, in: Kaiser, Gert / Frie, Ewald (Hrsg.): Christen, Staat und Gesellschaft in der DDR, Frankfurt/Main 1996, S. 23.

10 Hierbei handelt es sich um lose Gruppen von jugendlichen Christen, die sich in ihren Gemeinden regelmäßig treffen. Sie sind Teil der kirchlichen Gemeindearbeit und ihre Tätigkeiten gestalten sich sehr unterschiedlich. Gemeinsame Bibelarbeit, die Ausgestaltung von Gottesdiensten, die Hilfe für körperlich und geistige Behinderte in ihren Gemeinden oder die Diskussion über gesellschaftliche Themen mit einem „Experten“ des jeweiligen Spezialgebietes sind nur einige der Aktivitäten, die Junge Gemeinden zu ihren Tätigkeitsfeldern zählen. Vgl hierzu: Wensierski, Peter: Evangelische Jugendarbeit in der DDR, in: Henkys, Reinhard (Hrsg.): Die evangelischen Kirchen in der DDR. Beiträge zu einer Bestandsaufnahme, München 1982, S. 253f.

11 Vgl. Dähn, Horst: Konfrontation oder Kooperation? Das Verhältnis von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945-1980, Opladen 1982.

12 Vgl. Greschat, Martin: Vorgeschichte, in: Lepp, Claudia / Nowak, Kurt (Hrsg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland (1945-1989/90), Göttingen 2001, S. 12f.

13 Vlg. hierzu den etwas ausführlicheren Überblick von Dähn in: Dähn: Konfrontation, 1982, S. 11-19.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Christliche Alltagswelt im Spannungsfeld zwischen Konfrontation und Kooperation
Untertitel
Grenzen und Möglichkeiten christlicher Lebensführung im DDR-Regime
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V.)
Veranstaltung
Geschichte - Sozialgeschichte - Kirchengeschichte - DDR
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
44
Katalognummer
V280625
ISBN (eBook)
9783656831426
ISBN (Buch)
9783656829225
Dateigröße
587 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirche in der DDR, christliche Alltagswelt, christliche Lebensführung, Kirche und SED, Christentum in der DDR, Konfrontation und Kooperation, Kirche im DDR-Regime, Christen im DDR-Regime, Säkularisierung, Repressionen
Arbeit zitieren
Simon Thiele (Autor:in), 2014, Christliche Alltagswelt im Spannungsfeld zwischen Konfrontation und Kooperation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280625

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