Textanalyse zur Hofkritik in Lessings Drama "Emilia Galotti"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Emilia Galotti– ein bürgerliches Trauerspiel

3 Der Begriff der „literarischen Hofkritik“

4 Der Prinz von GuastallaS
4.1 Macht und VerantwortungslosigkeitS
4.2 Ein gemischter Charakter
4.3 Der Prinz und EmiliaS
4.4 Schuldzuweisungen

5 Der Intrigant Marinelli

6 Hofkritik von Seiten weiterer Figuren

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis
8.1 Primärliteratur
8.2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

Ob politisches Kabarett oder Aufstand, Immigration oder Opposition, ziviler Ungehorsam oder Revolution – alle gesellschaftlichen Herrschaftsformen müssen sich mit Kritik und Widerstand in verschiedenen Formen auseinandersetzen. Auch die Monarchie mit dem Hof als Machtzentrum, die Europa vom Ende des Mittelalters bis zur Französischen Revolution 1789 dominierte,[1] bildet dabei keine Ausnahme. Gerade während der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert wird das absolutistische System zunehmend in Frage gestellt. In dieser Zeit veröffentlicht Gotthold Ephraim Lessing sein Drama Emilia Galotti, dessen Handlung im Wesentlichen an einem absolutistischen Hof angesiedelt ist. Trotz jahrelanger Geldsorgen hatte Lessing selbst mehrfach Stellenangebote des Preußischen Königs ausgeschlagen, um seine geistige Unabhängigkeit zu wahren.[2] Wie stellt nun Lessing den Hof und dessen typischen Vertreter in seinem Werk dar? Woran übt er Kritik?

Die folgende Arbeit wird diese Fragen untersuchen und den Text hinsichtlich der in ihm enthaltenen Hofkritik analysieren. Meine Betrachtungen werden ihren Fokus auf die ranghöchste Person des Hofes, den Prinzen von Guastalla, richten. Dabei ist es unvermeidlich, auch auf Marchese Marinelli einzugehen.

Zunächst werde ich Emilia Galotti als bürgerliches Trauerspiel genauer betrachten und klären, was unter „literarischer Hofkritik“ zu verstehen ist. Im Anschluss folgt meine Textanalyse anhand der Figuren des Prinzen und seines Kammerherrn. Um das Bild abzurunden, werde ich schließlich kurz auf weitere Figuren eingehen, die im Drama Kritik an der höfischen Lebensform üben.

2 Emilia Galotti – ein bürgerliches Trauerspiel

Bei dem Drama Emilia Galotti von Gotthold Ephraim Lessing handelt es sich um ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen. Es entstand in der Epoche der Aufklärung und wurde am 13. März 1772 im Herzoglichen Opernhaus in Braunschweig zum Geburtstag der Herzogin Philipine Charlotte uraufgeführt. Die für die Aufklärung typische Aufbruchsstimmung deklariert die Vernunft zum Maßstab des Handelns und hinterfragt gegebene Strukturen.

Lessings Emilia Galotti folgt den Regeln des klassischen Dramas. Die Hochzeit des bürgerlichen Trauerspiels ist eng mit dem Aufstieg des Bürgertums im 18. Jahrhundert verbunden.[3] Emilia Galotti ist in Prosa verfasst. Zwar spielt das Stück überwiegend am absolutistischen Hof, doch im Fokus der Handlung steht der Konflikt zwischen höfischer Moral und Geisteshaltung einerseits und bürgerlichen Ehr- und Tugendvorstellungen andererseits. So wird die Ständeklausel bezwungen und der Bürger kann die für die Tragödie nötige Fallhöhe erreichen.[4] Darin besteht der Vorteil des bürgerlichen Trauerspiels gegenüber dem heroischen: In der Erziehung besserer Menschen, die durch Empathie erreicht wird. In einem Brief Lessings an Nikolai wird diese Absicht deutlich: „Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch […]. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter“.[5]

Die bürgerlichen Trauerspiele der 1750er und 1760er Jahre richten den Fokus vor allem auf Familienkonflikte, doch in den 70er Jahren rückt der Ständekonflikt in den Vordergrund.[6] In Emilia Galotti wird der Familienkonflikt sogar über Ständegrenzen ausgedehnt Lessing überwindet in seinem Stück nicht nur die Ständeklausel, sondern auch die Einheit des Ortes. Von den drei Artistotelischen Einheiten zum Dramenaufbau behält Lessing nur die Einheit der Zeit und die Einheit der Handlung bei. Die Verteilung der Handlung auf mehrere Orte ermöglicht es Lessing, die höfische und bürgerliche Welt im Kontrast zu zeigen.

3 Der Begriff der „literarischen Hofkritik“

Wenn in der Folge von Hofkritik die Rede sein wird, dann im Sinne Helmuth Kiesels, nämlich als „wichtige Form politischer Kritik“[7]. „Mit ihr versuchten die Verfasser […] an der politisch entscheidenden Stelle anzusetzen: am Fürsten und seinen Höflingen, an den Formen und Mechanismen höfischen Lebens und höfischer Politik“[8]. Damit ist der Hof als Sitz des Herrschers, seines Gefolges und seiner Haushaltung definiert.[9]

4 Der Prinz von Guastalla

4.1 Macht und Verantwortungslosigkeit

Anspruch meiner folgenden Textanalyse mit dem Schwerpunkt auf dem Prinzen ist es nicht, die ursprünglichen Absichten Lessings zu ergründen. Das wäre ohnehin nur schwer möglich, da Lessing selbst sich nie zu seiner politischen Intention geäußert hat.[10] Nach Monika Fick gehört Emilia Galotti „zu den meistinterpretierten Werken der deutschsprachigen Literatur“[11], meine Analyse zum Thema Hofkritik ist nur eine mögliche Sichtweise unter anderen.

Bei meinen Betrachtungen beziehe ich mich auf Kiesel, der in Emilia Galotti keine Figuren des Berufsbürgertums sieht.[12] Bei der Familie Galotti muss es sich demnach um Angehörige des Großbürgertums handeln. Das ist zu beachten, wenn ich in meinen Ausführungen der Einfachheit halber von den „Bürgerlichen“ Galottis spreche.

Der Prinz Hettore Gonzaga ist der unumstrittene Alleinherrscher in dem italienischen Duodezstaat Guastalla.[13] Gleich im ersten Aufzug lernen Leser und Zuschauer den Prinzen kennen. Er ist dabei, in seinem Kabinett Bittschriften zu bearbeiten. Schon die ersten Worte machen deutlich, wie unzufrieden er mit seinen Aufgaben als Monarch von Guastalla ist, denn er ruft aus: „Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! – Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch!“(S. 5, Z. 6 ff.). Er ergeht sich in Selbstmitleid. Durch Wiederholungen hebt er die Eintönigkeit seines Alltags hervor, unter der er leidet. Unglücklich mit seiner Position als Prinz, trifft er seine Entscheidungen gedankenlos: Der Bittschrift einer Emilia Bruneschi kommt er nach. Und zwar nicht, weil er sie für gerechtfertigt hält, sondern nur, weil sie denselben Vornamen wie die von ihm begehrte Emilia Galotti trägt (vgl. S. 5, Z. 9 ff.). Selbstmitleid und Oberflächlichkeit sind die ersten Wesenszüge des Prinzen, die Zuschauer und Leser kennenlernen. Dadurch gewinnen sie an Bedeutung und lassen vermuten, dass Lessing diese Eigenschaften des absolutistischen Herrschers für besonders signifikant hält.

Anders als es die Aufgabe eines Herrschers verlangt, geht der Prinz nicht umsichtig und verantwortungsbewusst mit seiner Position um. Er ist stark abhängig von seinen Bediensteten. Aufgaben, die ihm zu wider sind, überträgt er Untergebenen und überlässt ihnen damit die Verantwortung. Das ist im Achten Auftritt der Fall, wenn der Prinz im Gespräch mit seinem Rat Camillo Rota ausspricht: „Lassen Sie die Ausfertigung noch anstehen. – Oder auch nicht anstehen: wie Sie wollen.“ (S. 19, Z. 22 f.). Rota kritisiert des Prinzen Gleichgültigkeit, indem er entgegnet: „Nicht wie ich will, gnädiger Herr.“ (S. 19, Z. 24). Damit weist er Hettore Gonzaga auf dessen alleinige Entscheidungszuständigkeit hin, doch der Monarch ignoriert die Äußerung. Ihm ist sicherlich bewusst, dass er allein es ist, dem solche Entscheidungen zustehen.

An seinen Kammerherrn Marinelli tritt er heran: „Liebster, bester Marinelli, denken Sie für mich. Was würden Sie tun, wenn Sie an meiner Stelle wären?“ (S.17, Z. 24 ff.). Schließlich gewährt er ihm sogar „freie Hand“ (S. 17, Z. 35) und versichert, alles zu autorisieren, was ihm Emilia zuführen könne. Immer wieder versucht der Herrscher, sich aus der Verantwortung zu stehlen, und lässt sich sogar dazu herab, Untergebene zu umschmeicheln. Er ist unglücklich über seine Pflichten und nimmt sie nicht ernst. Hier benennt Lessing schon einen gravierenden Mangel des Absolutismus, nämlich das oft fehlende Verantwortungsgefühl der Monarchen. Diese Willkür, die im Ersten Auftritt des Ersten Aufzugs noch keine weitreichenden Folgen hat, führt am Ende desselben fast zur unbedachten und wahllosen Bewilligung eines Todesurteils (vgl. Achter Auftritt S. 19 f.).

Camillo Rota, einer der Räte, bringt Hettore Gonzaga ein Todesurteil zur Unterschrift. Der Prinz, der in Eile ist und dessen Gedanken abgelenkt sind, antwortet leichthin: „Recht gern. - Nur her! geschwind.“ (S. 19, Z. 27). Er hätte ohne Bedenken ein Todesurteil bewilligt, um schnellstmöglich Emilia in seinem Lustschloss in Dosalo zu treffen. In Rota gestaltet Lessing den direkten Gegenpart zum Monarchen. Camillo Rota, seiner Gewissenhaftigkeit und seinem Pflichtgefühl, ist es zu verdanken, dass letztlich doch nicht unbekümmert über Leben und Tod entschieden wird. In diesem Höfling sind aufklärerische Züge erkennbar, wenn er zweifelhafte Entscheidungen seines Herrschers hinterfragt. Lessings Regieanweisungen machen deutlich, dass der Rat zunächst seinen Ohren nicht traut, er stutzt und starrt den Prinzen ungläubig an (vgl. Regieanweisung S. 19, Z. 28). Als auf sein Nachfragen hin der Herrscher bei seiner unbedachten und schwerwiegenden Entscheidung bleibt, nimmt er Zuflucht zu einer Notlüge, um ein eventuell unschuldiges Menschenleben zu retten (vgl. S.19, Z. 32 ff.). Die doppelten Gedankenstriche (S. 19, Z. 33) weisen den Leser auf die Ausflucht Rotas hin, für den Zuschauer wird sie durch die Sprechpause offenbar. Die Fassungslosigkeit über das unverantwortliche Handeln Gonzagas zeigen Rotas eigene Worte am ausdrucksstärksten (vgl. S. 20, Z. 5 ff.). Verstört „den Kopf schüttelnd“ (S. 20, Z. 5) wiederholt er mehrfach das „Recht gern“ (vgl. S.20, Z. 6 ff.) des Prinzen und zeigt so seine Bestürzung. Gedankenstriche bzw. Pausen durchziehen seine Worte und demonstrieren sein Erschrecken. Lessing lässt Rota diesen Monolog am Ende des Ersten Aufzugs halten, bevor der erste Vorhang fällt. Dadurch wirkt er auf den Zuschauer besonders eindringlich und nachhaltig. Rat Rota hat zwar in Lessings Trauerspiel nur diese eine Szene, aber sie ist von großer Relevanz: Er verkörpert den moralisch integeren Höfling, der mutig genug ist, zweifelhafte Entscheidungen seines Herrschers zu hinterfragen und im Rahmen seiner Möglichkeiten Kritik an höfischen Missständen zu üben.

Der Prinz weicht jeder Konfrontation aus. So auch in der Beziehung zu seiner Mätresse Gräfin Orsina, aus der er sich lösen möchte. Er beantwortet weder ihre Briefe (vgl. S. 5, Z. 28 ff.), noch stellt er sich einem klärenden Gespräch mit ihr. Der Monarch ist zu feige, ihr gegenüberzutreten und will sie „durchaus nicht sprechen“ (S. 58, Z. 23). Trotz seines überaus mächtigen Ranges, ist er nicht fähig, seine persönlichen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Ganz in diesem Sinne überlässt er Marinelli auch das erste Gespräch mit Emilia im Lustschloss (vgl. S. 46, Z. 3 ff.). Hier agiert keineswegs ein souveräner Herrscher.

4.2 Ein gemischter Charakter

Hettore Gonzaga ist Herrscher durch Geburt. Das Dilemma zwischen seiner Bestimmung zu herrschen einerseits und seinen persönlichen Lebensvorstellungen und Sehnsüchten andererseits belastet ihn. In diesem Sinne zeichnet Lessing den Prinzen nicht nur negativ, sondern verleiht ihm vielerlei, auch kontroverse, Charakterzüge.

Der Prinz ist kein überzeugter absolutistischer Herrscher. Er kritisiert Aspekte der höfischen Lebensweise, in der sich sein gesamtes Leben öffentlich vollzieht. In seiner bevorstehenden Heirat mit der Prinzessin von Massa sieht er sich selbst als „Opfer eines elenden Staatsinteresse[s]“ (S.13,Z. 9 f.). Er sehnt sich nach Werten, die das Gegenteil seiner höfischen Welt und Lebenserfahrung ausmachen. Enge private Bindungen fehlen ihm, er vermisst ein Zugehörigkeitsgefühl. Im Gespräch mit Marinelli ruft Hettore Gonzaga verzweifelt aus: „O ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben!“ (S. 16, Z. 13 f.). Seine herausragende Position macht es ihm schwierig, Menschen in seiner Umgebung vorbehaltlos zu vertrauen und wahre Freundschaften zu schließen. Das ist jedoch nicht allein seinem besonderen Stand verschuldet, wie Marinelli auf Seite 16 Zeile 32 ff. ausführt, sondern auch seinem flatterhaften Charakter. An Emilia bewundert er neben ihrer Schönheit auch „Liebreiz und Bescheidenheit“ (S. 12, Z. 9 f.) sowie ihre Unschuld (vgl. S. 14, Z. 18), Eigenschaften, die in seiner höfischen Umgebung eher selten sind. In diesem Zusammenhang spricht Helmuth Kiesel von „etwas launenhaft wirkenden Versuche[n] des Prinzen, höfische Lebensnormen zu ignorieren (z. B. nach wahrer Liebe zu verlangen).“[14] Es wird offensichtlich, dass der Monarch sich wehrlos dem Hof und seinem Schicksal ausgeliefert fühlt.

[...]


[1] Vgl. Kiesel, Helmuth: ,Bei Hof, bei Höll‘. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1979, S. 1.

[2] Ebd., S. 221.

[3] Vgl. Die Grosse Bertelsmann Lexikothek. Band 3, Brot-Deu. Bertelsmann Lexikothek Verlag, Gütersloh, 1991,S. 72.

[4] Vgl. Burdorf, Fasbender, Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar, 2007, S. 109.

[5] Lessing an Nicolai, November 1756, zitiert nach: Guthke, Karl S.: Das deutsche bürgerliche Trauerspiel. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar, 1994, S. 49.

[6] Vgl. Metzler Lexikon Literatur, S. 110.

[7] Vgl. Kiesel, Helmuth, Klappentext vorn.

[8] Ebd.

[9] Vgl. Die Grosse Bertelsmann Lexikothek. Band 7, Hof-Kair, S. 5.

[10] Vgl. Fick, Monika: Lessing-Handbuch. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar, 2004, S. 316.

[11] Vgl. Fick, Monika, S. 317.

[12] Vgl. Kiesel, Helmuth, S.230.

[13] Vgl. Dane, Gesa: Erläuterungen und Dokumente zu G.E. Lessing: Emilia Galotti. Reclam, Stuttgart, 2002, S. 26.

[14] Vgl. Kiesel, Helmuth, S. 230.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Textanalyse zur Hofkritik in Lessings Drama "Emilia Galotti"
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
13
Katalognummer
V427589
ISBN (eBook)
9783668715332
ISBN (Buch)
9783668715349
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lessing, Emilia Galotti, Hofkritik, Textanalyse, Deutsche Philologie, Germanistik, Hausarbeit, Prinz von Guastalla, Marinelli, Emilia
Arbeit zitieren
Paula Steyer (Autor:in), 2016, Textanalyse zur Hofkritik in Lessings Drama "Emilia Galotti", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/427589

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