Der Ostrakismos des Hyperbolos ca. 416 v. Chr.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Ablauf und Hintergrund der Ostrakophorie des Hyperbolos

II. Die potentiellen „Kandidaten“

III. Die Kampagne gegen Hyperbolos

IV. Die letzten Scherben – Zur Bedeutung des Ostrakismos als politische Institution für die athenische Demokratie

Schlussbetrachtungen

Bibliographie

Einleitung

Die vorliegende Darstellung hat den Ostrakismos des Hyperbolos um 416 v. Chr. zum Gegenstand.

Mit Plutarch, als unsere Hauptquelle (Nik. 11, Alk. 13, Arist. 7,3 f.), ist zwar eine vergleichsweise ausführliche Darlegung der Gründe, warum es zu einem Ostrakismos kam und unter welchen Umständen dieser ablief, gegeben, doch liegt seiner Darstellung das Problem verschiedener Versionen zugrunde.[1] Zweifel an der plutarchischen Darstellung sind aber nicht nur durch die Diskrepanzen geboten; auch von den Abweichungen unberührte Aspekte sind auf ihren Wahrheitsgehalt kritisch zu hinterfragen.

Neben Plutarch sind des vor allem die Komödiendichtungen (Aristophanes und Platon), die uns ein Bild von Hyperbolos geben. Thukydides’ Beitrag (8, 73, 3) hierzu ist knapp, bietet aber für zusammenhängende Dinge aufschlussreiches. Die Quellen sollen das Bild des Hyperbolos als einer der „neuen Politiker“, den es an Macht und Einfluss nicht gefehlt habe, bestätigen.[2]

Aufschlussreiche Informationen geben auch die gefundenen Scherben her.[3] Dadurch lässt sich die breite Palette an beteiligten Personen herauslesen, was ferner Indizien für die Abschätzung der Größenordnung einer Stimmenmehrheit bereithält. Darüber hinaus lassen sich Rückschlüsse aufzeigen, wie groß der Organisierungsgrad der politischen Gruppen gewesen sein muss, von denen Plutarch spricht.[4]

Wichtige Arbeiten zum Ostrakismos des Hyperbolos liegen bereits vor;[5] der Aussagewert der Quellen zum Ostrakismos als politische Institution ist auch stark diskutiert worden;[6] zudem ist dessen symbolischer Wert neuerdings stärker hervorgehoben worden.[7]

Die Vorliegende Arbeit will im wesentlichen vier Akzente setzen:

Zunächst sind Ausführungen zu Hintergrund und Ablauf der Ostrakophorie des Hyperbolos unerlässlich (Kap. I). Im Weiteren erfolgt eine Einschätzung der potentiellen „Kandidaten“ (Kap. II.); die Kennzeichnung deren politische Motivierungen trägt mit dazu bei, die näheren Umstände zu erhellen und ursächliche Spuren aufzudecken, die zu Klärung der Fragen beitragen, weshalb es zu einem Ostrakismos kam, warum es Hyperbolos traf und im weiteren Sinne warum dies der vermeintlich letzte Ostrakismos gewesen war. Es wird zu zeigen sein, dass der Ostrakismos des Hyperbolos auch vor dem Hintergrund außenpolitischer Aspekte eine Beurteilung erfahren muss.[8]

Diesem Verständnis nach wird ein Licht geworfen auf die enge Verzahnung von Politik und Gesellschaft Athens in dieser Zeit. So wird die von Plutarch genannte Vereinigung der Anhängerschaften von Alkibiades und Nikias bzw. (nach der anderen Version Plutarch) Phaiax auf ihre Bedeutung für den politischen Entscheidungsprozess bei der Ostrakisierung hin untersucht (Kap. III). Es ist dabei zu hinterfragen, wieweit von einer Beurteilung der Anhängerschaften als organisierte politische Gruppierungen die Rede sein kann, welche die Entscheidung bei der Ostrakophorie zu ihren Gunsten herbeiführen konnten, d.h. eine Stimmenakkumulation zu bewirken, die mehrheitlich gegen Hyperbolos gerichtet waren.

Schließlich soll deutlich gemacht werden, dass der Ostrakismos als politische Institution bedeutungsrelevante Bezüge für das Selbstverständnis der athenischen Demokratie bereithält (Kap. IV.). Diese Bedeutungsmuster werden durch die Herausschälung der Ursachen, warum nach Hyperbolos niemand mehr ostrakisiert wurde – der Ostrakismos wurde formell nicht abgeschafft – offen gelegt.

I. Ablauf und Hintergrund der Ostrakophorie des Hyperbolos

In der Forschung besteht keine Einigkeit darüber, wann der Ostrakismos des Hyperbolos stattgefunden hat. Für die Datierung eines Zeitpunktes zwischen 417 und 415 v. Chr. gibt es die verschiedenen Ansätze; doch scheint sich als der frühmöglichste Zeitpunkt das Frühjahr 416 v. Chr. in der Forschung zunehmend durchzusetzen.[9]

Gemäß Plutarch (Nik. 11, 1; Arist. 7, 3) war dem Ostrakismos ein Streit zwischen Alkibiades und Nikias vorausgegangen. Ein Grund für den Streit nennt Plutarch explizit nicht, doch ist anzunehmen, dass es um die weitere außenpolitische Richtung Athens ging, für die auf der einen Seite Alkibiades mit einer aggressiven antispartanischen Politik und auf der anderen Seite Nikias mit einer behutsamen Friedenspolitik stand.[10] In diesem Sinne lag dem Ostrakismos die Bedeutung einer außenpolitischen Richtungsentscheidung zugrunde; dies jedoch nur im Falle einer Ostrakisierung des Alkibiades oder Nikias – Hyperbolos’ Verbannung hätte nicht diesen Effekt erzielen können.[11]

Zudem nahm das Volk, von Hyperbolos angestiftet, Anstoß an Alkibiades’ Lebenswandel und war Nikias gegenüber durch seinen Reichtum von Neid erfüllt (Nik. 11, 2). Eine Tyrannengefahr, die der Ostrakismos in seinem ursprünglich funktionellen Sinne entgegenwirken sollte ([Aristot.] Ath. Pol. 22, 3; Plut. Arist. 7, 2), schien dem Volk auch nicht eigentliche Begründung zu sein, einen Ostrakismos abzuhalten; eher war es der Neid, nicht die Gefahr, die den Ausschlag gab (Alk. 13, 7).

Nicht ganz unumstritten ist die Frage nach der Urheberschaft dieser Ostrakophorie. Gemeinhin wird Hyperbolos als Initiator des Scherbengerichts gesehen, indem er dieses Instrument benutzen wollte, um einen seiner politischen Gegner –Alkibiades oder Nikias – aus Athen zu entfernen. Doch ergeben sich Schwierigkeiten in der Überlieferung, die es als problematisch erscheinen lassen, Hyperbolos die eindeutige Rolle der Urheberschaft zuzuschreiben.

So treten bei Plutarch einige Ungereimtheiten auf: Im Alkibiades (13, 6) ist Hyperbolos selbst der Initiator, im Nikias (11, 4) berichtet Plutarch lediglich von Hyperbolos als jemand, der das Volk aufhetzt und im Aristeides (7, 4) ist lediglich vom Demos die Rede, welches die Einberufung eines Ostrakismos bewirkte.

Es gibt auch Überlegungen, welche die Initiative nicht bei Hyperbolos sondern bei Nikias oder Alkibiades sehen.[12] Alkibiades als Initiator zu sehen, mag mit Bezugnahme auf das Resultat des Ostrakismos als verlockend erscheinen, denn er konnte als „der eigentliche Profiteur des Votums erscheinen“.[13] Doch war Alkibiades zu der Zeit aufs Äußerste gefährdet: Als eine durch Arroganz auffallende, umstrittene und von vielen angefeindete Person[14], und folglich als ein potentieller ‚Kandidat’ für eine Ostrakophorie, wird er sich dieser Gefahr wohl nicht freiwillig ausgesetzt haben dürfen.

Indes ist es nicht so zu verstehen, dass einzelne Männer in der Lage waren, direkt ein Verfahren des Ostrakismos in die Wege zu leiten. Die Votierung, ob ein Ostrakismos abgehalten werden sollte, war in der Verfahrensordnung der kyria ekklesia programmatisch verankert: In der 6. Prytanie wurde darüber abgestimmt ([Aristot.] Ath. Pol. 43, 5). Das Volk musste demnach überzeugt werden, dass eine politische Situation vorherrsche, welche die Einberufung einer Ostrakophorie als notwendig erscheinen ließ. Wenn wir dem Bild Plutarchs und anderer Quellen folgen, die uns Hyperbolos’ demagogisches Talent vor Augen führen,[15] spricht nichts dagegen, dass Hyperbolos Schwierigkeiten gehabt haben dürfte, den Athenern die ausweglose Lage einer politischen Pattsituation durch die Gegnerschaft zwischen Alkibiades und Nikias zu suggerieren.[16]

Demgegenüber – schaut man sich das Ergebnis an – lässt sich bei Hyperbolos schwerlich politische Cleverness ausmachen. Oder hat er sich schlicht weg verkalkuliert? Welchen Vorteil gedachte er daraus zu gewinnen? Was verfolgte Hyperbolos, wenn er der Initiator des Ostrakismos war?

Eine Ostrakisierung des Alkibiades hätte die politische Stellung des Hyperbolos zwar aufgewertet, doch wäre da immer noch Nikias im Spiel geblieben, der sich weiterhin einer gegen Sparta orientierten aggressiven Politik in den Weg gestellte hätte.[17] Eine Ostrakisierung des Nikias hingegen hätte nur die Stellung des Alkibiades gestärkt.[18] Konnte dies im Sinne von Hyperbolos sein? Wahrscheinlich galt für Hyperbolos: ein Kontrahent weniger ist besser.[19] Und Plutarch gibt an, Hyperbolos war überzeugt, er könne das Gegengewicht halten, wenn er an die Stelle des Verbannten rückte (Nik. 11, 4).

Jedenfalls war Hyperbolos in der Sache schlecht vorbereitet. Die Mehrheit der Stimmen entfiel auf ihn. Vielleicht war er auch überzeugt, es würde ihn gar nicht treffen, da nur Männer mit hoher gesellschaftlicher Stellung ostrakisiert werden.[20]

[...]


[1] Zu dieser Problematik vgl. ausführlich HEFTNER (2000a), bes. S. 35-48.

[2] CONNOR (1992 [1971]).

[3] BRENNE (2001).

[4] HANSEN (1991), S. 283-287.

[5] Neueren Datums sind: HEFTNER (2003), (2000a), (2000b); RHODES (1994).

[6] SIEWERT (Hg.) (2001).

[7] FORSDYKE (2005).

[8] Zu Arbeiten, die den Ostrakismos in einen breiteren Kontext einbauen, vgl. ANDREWES (1992), S. 442 f.; ELLIS (1989), S. 45-49; OSTWALD (1986), S. 302-305, KAGAN (1981), S. 144-147, WELWEI (1998), S. 233.

[9] Vgl. SCHEIDEL (2002), T 30, S. 393 ff. Zum Datierungsproblem vgl. ausführlich HEFTNER (2000b). Ebenso aufschlussreich die Darlegung von RHODES (1994), S. 86-88 mit der Position für 416 oder 415 v. Chr. LEHMANN (1987), S. 43 will jedoch den Ostrakismos des Hyperbolos in das Frühjahr 417 v. Chr. legen. Dies zeigt sich jedoch als wenig aufschlussreich, zieht man die Argumente von SCHEIDEL und RHODES heran, denen sich die vorliegende Darstellung anschließt.

[10] Vgl. OSTWALD (1986), S. 302.

[11] GRIMANIS/ HEFTNER (2002), T 12, S. 230.

[12] Für die Initiative des Nikias’ GROTE, III-IV (1882), S. 82 f. Für die Vermutung, Alkibiades habe die Abhaltung des Ostrakismos willkürlich erzielt, vgl. ELLIS (1989), S. 47 dessen Sichtweise jedoch die Einwände von RHODES (1994), S. 96 entgegenwirken, wenn dieser das Motiv des Hyperbolos betont, er habe nutzen aus dem Streit zwischen Alkibiades und Nikias ziehen wollen.

[13] HEFTNER (2000a), S. 58; vgl. auch RHODES (1994), S. 96 f.

[14] Vgl. HEFTNER (2000a), S. 57f.

[15] Vgl. Kap. II.

[16] Vgl. OSTWALD (1986), S. 303.

[17] Hyperbolos vertrat eine ähnliche Politik wie die des Alkibiades, vgl. dazu Kap. II.

[18] WELWEI (1998), S. 233.

[19] OSTWALD (1986), S. 303.

[20] Vgl. GRIMANIS/ HEFTNER (2002), T 12, S. 229.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Ostrakismos des Hyperbolos ca. 416 v. Chr.
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Politische Prozesse im klassischen Athen
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V124923
ISBN (eBook)
9783640307814
ISBN (Buch)
9783640306039
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ostrakismos, Scherbengericht, Athen, Demokratie, Hyperbolos, Alkibiades, Nikias, Phaiax, Plutarch, Thukydides
Arbeit zitieren
Student David Honka (Autor:in), 2006, Der Ostrakismos des Hyperbolos ca. 416 v. Chr., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124923

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