Der Streit um den Victoriaaltar und das Verhältnis zwischen Staat und Religion


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hintergrund und historischer Kontext des Streits bis 384 n. Chr
2.1 (Religions-) historische Entwicklung bis 384 n. Chr
2.2 Zur Person des Symmachus
2.3 Zur Person des Ambrosius

3. Der Streit des Jahres 384 um den Victoriaaltar
3.1 Die dritte Relatio des Symmachus
3.2 Brief 17 des Ambrosius
3.3 Brief 18 des Ambrosius

4. Fazit

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Beste der Herrscher, Väter des Vaterlandes, ehret mein Alter, in das mich fromme Pflichterfüllung gelangen ließ! Ich möchte bei den überkommenen Bräuchen bleiben; denn ich habe keinen Grund, sie zu bereuen. Nach meiner eigenen Art möchte ich leben, weil ich frei bin! Diese Form der Götterverehrung hat den Erdkreis meinen Gesetzen unterworfen, diese Opfer haben Hannibal von meinen Mauern und die Senonen vom Kapitol zurückgeschlagen. Bin ich dazu errettet worden, um hochbetagt getadelt zu werden?“1

Mit diesen emotionalen Worten lässt der römische Senator Symmachus die Figur der Roma, die als Personifizierung der Stadt Rom in vielen lateinischen Texten der Antike auftritt,2 zu ihrer fiktiven Rede ansetzen, die als rhetorischer Höhepunkt seiner dritten Relatio den jugend- lichen Kaiser Valentinian II. von der Notwendigkeit einer Wiederaufstellung des Victoriaal- ters in der Senatskurie überzeugen soll. Symmachus eröffnete mit seiner Relatio nicht nur ein weiteres Kapitel in dem seit Jahrzehnten ausgetragenen Streit über die Entfernung des Victo- riaaltars aus dem Senat, sondern er provozierte mit seiner Eingabe an den Kaiser auch den vehementen Widerspruch des Ambrosius, des Bischofs von Mailand. In zwei gegen die dritte Relatio gerichteten Briefen argumentierte der christliche Bischof gegen die Argumente des heidnischen Senators an und setzte sich letztlich mit seiner Position durch; der Altar wurde nicht wieder aufgestellt.3

Der spätantike Disput um die Entfernung und Wiederaufstellung eines der heidnischen Siegesgöttin Victoria gewidmeten Opferaltars wird seit Langem von der theologischen wie der geschichtswissenschaftlichen Forschung intensiv analysiert und erörtert. Der Fokus der meisten Forschungsarbeiten liegt dabei auf einer Betrachtung der Rolle des Ambrosius sowie der Auswirkungen des von ihm gewonnenen Streits auf seine weitere Amtsführung und sei- nen Einfluss. Hans von Campenhausen betont etwa, dass der Sieg des Ambrosius durchaus das Potenzial hatte, sich zu einem Pyrrhussieg zu wandeln: „Ambrosius hatte sich durchge- setzt; aber die Stimmung der maßgebenden Männer war dadurch ihm gegenüber gewiss nicht freundlicher geworden.“4 So habe Ambrosius mit seinem Verhalten im Streit um den Altar etwa die aggressive Reaktion der ihm nicht wohlgesonnenen Kaiserinmutter Justina und ihrer Verbündeten am Hof provoziert, die 385/86 in einem schweren Konflikt um die Errichtung einer arianischen5 Kirche in Mailand mündete.6

Auch andere Forscher sehen in Ambrosius die entscheidende Schlüsselfigur der Ausei- nandersetzung. Hans-Joachim Diesner geht etwa „mangels einer ganz sicheren historischen Entscheidung“7 davon aus, dass zur Entscheidung Valentinians II. vor allem die rhetorischen Begabungen des Ambrosius und der Einfluss des sehr gläubigen Mitkaisers Theodosius I. beigetragen haben.8

Diese Arbeit soll sich der Forschungsdiskussion über den Streit um den Victoriaaltar an- schließen, allerdings mit einer anderen Zielsetzung. Die Hauptfragestellung der vorliegenden Arbeit wird darin bestehen, inwiefern sich aus dem Streit um den Victoriaaltar Indizien für unterschiedliche Sichtweisen heidnischer und christlicher Vertreter auf das Verhältnis zwi- schen ihrer jeweiligen Religion und dem Staat ziehen lassen. Hierbei soll insbesondere die Frage im Mittelpunkt stehen, welche Nutzenfunktionen für den Staat die Beteiligten ihren jeweiligen Göttern bzw. Religionen zuschrieben. Drei Leitfragen sollen diese Fragestellung unterstützen: Erstens, welche Argumente bringt Symmachus für eine Wiederaufstellung des Victoriaaltars, die Erhaltung der heidnischen Kulte und ihrer staatlichen Förderung in die De- batte ein? Zweitens, welche Gegenargumente entwickelt Ambrosius, um den Einfluss der christlichen Kirche zu steigern? Und drittens, welche Argumente und Interessen gaben schließlich den Ausschlag für die Entscheidung pro Ambrosius?

Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich im folgenden Abschnitt zunächst den histori- schen Kontext des Jahres 384 und die bis dahin erfolgten (religions-) historischen Entwick- lungen seit der Konstantinischen Wende von 313 skizzieren. Anschließend wird kurz auf die beiden Hauptprotagonisten der Auseinandersetzung, Symmachus und Ambrosius, eingegan- gen. Der Hauptabschnitt dieser Arbeit wird aus einer ausführlichen quellenkritischen Analyse der Positionen und Argumente des Symmachus und des Ambrosius bestehen. Unter Einbezug der verfügbaren Forschungsliteratur sollen die dritte Relatio des Symmachus sowie die Briefe 17 und 18 des Ambrosius im Hinblick auf die gegebene Fragestellung untersucht werden, bevor ich meine Ergebnisse in einem abschließenden Fazit zusammenfassen möchte.

2. Hintergrund und historischer Kontext des Streits bis 384 n. Chr.

2.1 (Religions-) historische Entwicklung bis 384 n. Chr.

Nach der Schlacht an der Milvischen Brücke (312), in der Kaiser Konstantin (306-337) seinen Rivalen Maxentius besiegte und dabei der Legende nach von christlichen Vorzeichen unter- stützt wurde, führte er mit der Mailänder Vereinbarung, heute oftmals als Toleranzedikt be- zeichnet, die Entkriminalisierung des Christentums herbei.9 Später förderte Konstantin die christliche Kirche offensiver; insbesondere durch ein Gesetz zur Erlaubnis der Annahme von Erbschaften seitens der Kirche.10 Außerdem nahm Konstantin an zwei großen Streitfragen teil, die die christliche Kirche zu seiner Zeit spalteten: Am Donatistenstreit und am Arianis- musstreit.11 Um Letzteren zu lösen, rief Konstantin 325 die Synode von Nicäa aus, die später als erstes Konzil in die Kirchengeschichte eingehen sollte. Obwohl die Synode sich mühsam auf eine Kompromissformel einigen konnte, schwelte der Konflikt über Jahrzehnte weiter und wurde erst 381 auf dem Konzil von Konstantinopel gelöst.12

Konstantins Sohn und Nachfolger Constantius II. (337-340 mit Konstantin II. und 337- 350 mit Constans Kaiser, 350-360 alleiniger Kaiser) bekämpfte offen das Heidentum. Er ord- nete die Schließung aller Tempel und das Verbot des Opferns an. Zwar wurden diese Gesetze nicht überall durchgesetzt, dafür gab es aber vermehrt Übergriffe christlicher Würdenträger und Laien gegen Heiden, die zu blutigen Auseinandersetzungen führten.13 Außerdem ordnete er 357 die erstmalige Entfernung des Victoriaalters aus der Kurie in Rom an.14 Der Altar war 29 v. Chr. unter Octavian / Kaiser Augustus aufgestellt worden, um die römische Weltherr- schaft und die Verbindung zwischen Senat und Kaiser zu symbolisieren. Er bestand aus einer Statue der heidnisch-römischen Siegesgöttin Victoria, die auf einem Globus stand, und diente dem regelmäßigen Opfern vor dem Beginn der Senatssitzungen.15

Sein Nachfolger Julian (360-363) war der letzte heidnische Kaiser des Römischen Rei- ches. Er griff hart gegen die christliche Kirche durch und führte die staatliche Unterstützung für heidnische Opfer und Tempel wieder ein. 362 ließ er den Victoriaaltar in den Senat zu- rückbringen. Außerdem ordnete er an, dass heidnische Priester Armenfürsorge zu betreiben hätten und imitierte so die kirchliche Unterstützung für verarmte Bevölkerungsgruppen.16 Allerdings scheiterte sein Vorhaben, den römischen Staat wieder in ein heidnisches Kaiser- reich zu verwandeln, nicht nur an seinem frühen Tod, sondern auch an seiner sehr theoretisch und philosophisch geprägten Vorstellung vom Heidentum, die laut Richard Klein insbesonde- re von vielen Landbewohnern nicht verstanden worden war.17

Nachdem Kaiser Jovian (363-364) die meisten Maßnahmen Julians wieder rückgängig gemacht hatte, setzten Valentinian I. (364-375) und Valens (364-378) auf eine tolerante Hal- tung gegenüber allen Religionen, auch wenn diese Toleranz eher aus politischen Gründen, nämlich aus dem Wunsch nach innerer Ordnung im Reich, angeordnet wurde.18

Die entscheidendste Wende hin zum Christentum seit Konstantin lief unter Kaiser Gratian (375-383) ab. Er beendete die Toleranzpolitik seiner Vorgänger, stoppte die Zahlungen an Tempel sowie die Steuerfreiheit der Vestalinnen und entzog heidnischen Priestern Zuwen- dungen und Grundstücke.19 Außerdem legte er im Jahre 382 den Titel des Pontifex Maximus („oberster Priester“) ab, den bis dahin die Kaiser geführt hatten. Dies bedeutete, dass Gratian nun auch offiziell nicht mehr zuständig für die korrekte Ausführung der heidnischen Kulte in Rom war.20 Des Weiteren spielte sich im selben Jahr die unmittelbare Vorgeschichte zum in dieser Arbeit behandelten Streit um den Victoriaaltar ab: Gratian ließ den 357 erstmalig ent- fernten und 362 wiedererrichteten Altar in diesem Jahr erneut entfernen. Symmachus führte eine Delegation des Senats an, deren Ziel die Wiederaufstellung des Altars war. Sie wurde jedoch - wohl auch auf Betreiben des Ambrosius - von Gratian abgewiesen.21

Parallel zu diesen religionshistorischen Entwicklungen fanden politische und soziale Ver- änderungen statt, die die römische Gesellschaftsstruktur beeinflussten. So blähten etwa alle Kaiser seit Konstantin den Senatsstand auf, indem sie hunderte Männer aus dem Ritterstand zu Senatoren erhoben. Dies schwächte den Einfluss des einzelnen Senators, der durch die Re- gierungsform des Kaisertums und die Gründung der zweiten Hauptstadt Konstantinopel im Jahr 326 ohnehin geschwächt war, weiter ab.22 Zeitgleich zum sinkenden Einfluss der meist heidnischen Senatoren stieg die Zahl der Christen weiter an. Es ist nicht sicher auszumachen, zu welchem Zeitpunkt die Christen die Mehrheit der Reichsbevölkerung bildeten, aber es gilt als wahrscheinlich, dass dieser Zeitpunkt im Laufe des vierten Jahrhunderts erreicht wurde.23 Die Stadt Rom und insbesondere die Senatorenschaft galten als die letzten Hochburgen des Heidentums, während insbesondere im Osten des Reiches das Christentum die demographisch bestimmende Religion wurde.24 Auch Bischof Ambrosius lebte in der Gewissheit, dass die Christen bald die übergroße Mehrheit der Reichsbevölkerung ausmachen würden.25

In den beiden nun folgenden Abschnitten sollen die beiden Persönlichkeiten, die den Streit um den Victoriaaltar ausgetragen haben, vorgestellt werden. Dabei werde ich sowohl auf ihre persönlichen Biografien als auch auf ihre grundsätzliche Haltung im Konflikt zwi- schen Heiden und Christen im ausgehenden vierten Jahrhundert eingehen.

2.2 Zur Person des Symmachus

Quintus Aurelius Symmachus (ca. 345-402/403) entstammte einer Familie, die seit der Regie- rungszeit Konstantins zum Senatorenstand gehörte. Sein Vater war Stadtpräfekt von Rom. Symmachus selbst genoss eine klassische Ausbildung, die Unterricht in Rhetorik, Philosophie und Staatskunde umfasste. Er galt zeitlebens als berühmter Redner und war ein führender Vertreter des Senats in Rom. Von 373 bis 375 war er Prokonsul der Provinz Africa, ab 384 schließlich Stadtpräfekt von Rom, im Jahr 391 Konsul.26 Bereits im kurzen Lexikon-Artikel heißt es über ihn, er erscheine als „hochgebildete, aus Überzeugung an verehrungswürdigen Traditionen festhaltende, aber nicht mehr zu neuen Wegen findende Persönlichkeit.“27

Symmachus-Biograf Richard Klein weist ausdrücklich darauf hin, dass eindeutige Urteile über Symmachus schwierig zu fällen sind. Zwar habe Symmachus über 900 Briefe, 49 Relati- onen und acht Reden hinterlassen, aber viele dieser Schriftstücke seien dermaßen inhaltsarm, dass oftmals außer einer Analyse rhetorischer Figuren wenig Verwertbares für forschende Historiker bleibe. Dies sei jedoch mit den damals üblichen Methoden der Epistolographie zu erklären, die ausführliche Freundschaftsbekundungen zum wichtigsten Bestandteil der meis- ten Schriftgattungen erklärte und den eigentlichen Inhalt als weniger zentral ansah.28 Trotz seiner protokollarisch hohen Ämter habe Symmachus wie viele seiner Senatskollegen in der praktischen Politik nur eine sehr eingeschränkte Rolle gespielt. Als gebildeter Mann und her- vorragender, vielleicht bester Rhetoriker seiner Zeit, habe er jedoch öffentlich und gegenüber mehreren Kaisern sichtbar Position bezogen als Traditionalist, Vertreter des Senats und Be- wahrer heidnischer Bräuche. Eine besondere Rolle spielte dabei auch seine spezifisch römi- sche Geschichtsphilosophie. Dies bedeutet, dass Symmachus bei jeder sich bietenden Gele- genheit in seinen Briefen und Reden Beispiele für römischen Ruhm und römische Erfolge (etwa anhand der Lebensläufe Scipios, Sullas oder Caesars) anbrachte, um die Legitimität alter Bräuche, Sitten und schließlich der heidnischen Religion zu stärken.29

Die besondere Rolle, die die heidnische Religion für das Selbstbewusstsein des Symma- chus spielte, ist dabei ein besonders wichtiger Faktor, insbesondere im Hinblick auf die Fra- gestellungen dieser Arbeit. Symmachus war offensichtlich zeitlebens davon überzeugt, dass die Macht des Römischen Reiches und das Wohlergehen seiner Bürger eng mit der Pflege heidnischer Bräuche, insbesondere den Opfern, zusammenhingen.30 So opferte auch Symma- chus selbst regelmäßig den Göttern; und wenn er bemerkte, wie seine heidnischen Freunde, etwa sein Senatorenkollege Praetextatus, ihre religiösen Pflichten vernachlässigten, schrieb er ihnen erboste Briefe.31

Neben der vorhandenen intrinsischen religiösen Motivation hatte der heidnische Glaube auch kulturelle und politische Funktionen für Symmachus und viele andere Aristokraten der alten Senatorenschicht in Rom. So sah Symmachus in der christlichen Offenbarungsreligion, aber auch in diversen östlich-orientalischen Kulten, eine ernstzunehmende Bedrohung des Römischen Staatswesens. Insbesondere die Intoleranz des Christentums lehnte er als nicht- römisch ab. Die Verehrung neuer Götter, die neben den klassisch-römischen Göttern in die Opferkulte aufgenommen wurden, machte er abhängig von deren Verdiensten um den römi- schen Staat.32 Averil Cameron schlussfolgert, dass für Symmachus wie auch „für die Senatsa- ristokratie in Rom […] die Bekehrung zum Christentum eine Zurückweisung ihres klassisch- antiken kulturellen Erbes“33 bedeutete.

Trotz dieser durch Symmachus empfundenen Bedrohung durch das Christentum blieb er in allen seinen schriftlichen Erzeugnissen stets höflich und nach außen hin tolerant gegenüber anderen Auffassungen. Insbesondere zu seinem als „Symmachuskreis“34 bezeichneten Freun- deskreis aus Senatoren und Rhetoren pflegte er enge Kontakte, aber auch zu einigen Christen, darunter Ambrosius. Auch bei inhaltlichen Differenzen wahrte er freundschaftlichen Um- gang.35 Insgesamt kann Symmachus also als ein Mann betrachtet werden, dessen Ansichten im Jahr 384 vielen Zeitgenossen als veraltet erschienen haben mögen, dessen Humanitas und Toleranz im Umgang mit Standesgleichen jedoch als unbestritten gelten dürfen.

2.3 Zur Person des Ambrosius

Ambrosius (333/339-397) entstammte ebenso wie Symmachus der römischen Senatsaristokra- tie, sein Vater war Präfekt in Gallien. Ambrosius, Sohn einer christlichen Familie, absolvierte zunächst ähnlich wie Symmachus eine Beamtenlaufbahn und wurde 372 Präfekt in Ligurien und Ämilien. Bis heute bleibt ungeklärt, ob Ambrosius und Symmachus verwandt waren.36 Im Jahr 374 vermittelte Ambrosius zwischen Arianern und Nicänern im Streit um die Nachfolge des Bischofs von Mailand, bis er schließlich selbst vorgeschlagen und gewählt wurde.37 Nach seiner Wahl, Taufe und Weihe brauchte Ambrosius zunächst einige Jahre, um sich in die theologischen Debatten seiner Zeit einzuarbeiten, ehe er ab 378/379 auch in der Öffentlichkeit verstärkt seine Aktivitäten entfaltete.38

Wolf Liebeschuetz weist darauf hin, dass wir über Ambrosius und sein Wirken fast aus- schließlich aus seinen eigenen schriftlichen Erzeugnissen wissen, im Gegensatz zu anderen Kirchenmännern wie etwa Johannes Chrysostomos, über den fünf Biografien unterschiedli- cher Autoren mit unterschiedlichen Wertungen erhalten sind. Deswegen sei bei der Bewer- tung seines Wirkens eine besondere Vorsicht geboten.39 Sicher ist, dass Ambrosius zeitlebens einen engagierten Kampf gegen die arianische Glaubensrichtung in der Kirche geführt hat. Dabei agierte er meist durchsetzungsstark und nutze ähnlich wie Symmachus die Vorteile geschliffener Rhetorik aus.40

Neben seinem Kampf gegen den Arianismus und für die nicänische Richtung der Dreifal- tigkeitslehre versuchte Ambrosius, möglichst viele Christen zu einem keuschen, enthaltsamen und bescheidenen Lebensstil zu überreden und lebte diesen Stil auch selbst vor. Neuere For- schungen betonen dabei, dass dieser Asketismus nicht nur in religiösen Werten, sondern auch in dem Glauben an einen baldigen Untergang der Welt begründet lag.41

Der dritte wesentliche Lebensinhalt des Ambrosius war neben seinem Kampf gegen den Arianismus und für eine asketische Lebensweise sein Einsatz für eine Kirche, die einerseits frei war von staatlicher Beeinträchtigung, sich andererseits aber selbst bei fast jeder sich bie- tenden Gelegenheit in staatliche Belange einmischte, sofern diese kirchliche Interessen tan- gierten. Er nutzte seinen Einfluss auf die Kaiser Gratian, Valentinian II. und Theodosius I., um den Arianismus zu bekämpfen und den Einfluss seiner Kirche zu sichern.42 Allerdings war das von Ambrosius erstrebte Verhältnis zwischen Staat und Kirche auch keine Einbahnstraße in dem Sinne, dass der Staat der Kirche und den Christen zu dienen habe, aber nicht umge- kehrt. Ganz im Gegenteil machte Ambrosius unter Rückgriff auf die Römerbriefe klar, dass Gehorsam gegenüber dem Staat und Treue gegenüber dem Römischen Reich zu den Chris- tenpflichten gehörten. Zur Zeit der Ambrosius setzte sich dementsprechend das Bild von der Kirche im Staat durch, nicht das Bild vom Staat in der Kirche.43 Ambrosius selbst übernahm für Valentinian II. diplomatische Missionen, etwa um dessen Gegenkaiser im Westen, Mag- nus Maximus (383-388), zu besänftigen.44 Durch solche Missionen und seine intensive Kor- respondenz mit staatlichen Würdenträgern gelang es Ambrosius, großen Einfluss zu erlangen und sich ein weit verzweigtes Netzwerk aus Informanten zu schaffen, welches ihn über die Vorgänge am Hof informiert hielt.45

[...]


1 Symm. rel. III., 9.

2 Klein, Richard: Der Streit um den Victoriaaltar. Die dritte Relatio des Symmachus und die Briefe 17, 18 und 57 des Mailänder Bischofs Ambrosius, Darmstadt 1972, S. 178, Anm. 12. Klein verweist an dieser Stelle u.a. auf Ciceros Reden gegen Catilina (Cic. Catil. I. 18). Die Roma als stilistische Figur sei zu Symmachus‘ Zeit ein „Sinnbild der griechisch-römischen Kulturwelt“ und ein „Symbol des Reiches“ gewesen.

3 Piepenbrink, Karen: Antike und Christentum, Darmstadt ²2010, S. 83.

4 Campenhausen, Hans von: Lateinische Kirchenväter, Stuttgart 21965, S. 93.

5 Die arianische Richtung innerhalb der christlichen Kirche geht auf den alexandrinischen Presbyter Arius zu- rück, der zu Beginn des vierten Jahrhunderts die These aufstellte, die christliche Figur des „Vater s“ alleine sei Gott. Damit stand er der etwa von Ambrosius vertretenen nicänischen Richtung entgegen, die Vater, Sohn (Christus) und den Heiligen Geist als göttliche Dreifaltigkeit ansah. Siehe hierzu: Piepenbrink 2010, S. 73-76.

6 Campenhausen 1965, S. 93-98.

7 Diesner, Hans-Joachim: Kirche und Staat im ausgehenden vierten Jahrhundert: Ambrosius von Mailand, in: Ders. (Hg.): Kirche und Staat im spätrömischen Reich, Berlin 1964, S. 26.

8 Ebd.

9 Klein 1972, S. 4f.

10 Cameron, Averil: Das späte Rom 284-430 n. Chr., München 1994, S. 91f.

11 Zum Streit um den Arianismus siehe Anm. 6. Der Donatistenstreit entzündete sich an der Frage, ob der Bi- schof Caecilianus von Karthago seine Weihe von einem Traditor (Bischof, der in der Verfolgungszeit heilige Schriften an den Staat ausgeliefert hat) empfangen habe. Von Kritikern wurde er deswegen abgesetzt und zu- nächst durch Bischof Maiorinus, später durch Donatus (Namensgeber des Streits) ersetzt. Nach Entscheidung Konstantins, Caecilianus im Amt zu lassen, wurde Donatus verbannt. Siehe hierzu: Piepenbrink 2010, S. 72f.

12 Vgl. Ebd., S. 74.

13 Klein 1972, S. 5f.

14 Piepenbrink 2010, S. 78.

15 Wachsmuth, Dietrich: Victoria, in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, Bd. 5, München 1975, Sp. 1262 -64.

16 Piepenbrink 2010, S. 81.

17 Klein 1972, S. 6-8.

18 Ebd., S. 8.

19 Ebd., S. 8f.; Campenhausen 1965, S. 90.

20 Ziegler, Konrat: Pontifex, in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, Bd. 4, Stuttgart 1972, Sp. 1046 -48.

21 Piepenbrink 2010, S. 82.

22 Dinzelbacher, Peter / Heinz, Werner: Europa in der Spätantike 300-600. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschich- te, Darmstadt 2007, S. 12.

23 Ebd., S. 42.

24 Klein 1972, S. 11.

25 Diesner 1964, S. 22.

26 Lippold, Adolf: Symmachus, in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, Bd. 5, München 1975, Sp. 446.

27 Ebd.

28 Klein, Richard: Symmachus. Eine tragische Gestalt des ausgehenden Heidentums, Darmstadt 1971, S. 57f.

29 Ebd., S. 58-60; siehe auch: Ottmann, Henning: Geschichte des politischen Denkens, Bd. 2, Teilbd. 1, Stuttgart / Weimar 2002, S. 355.

30 Piepenbrink 2010, S. 83.

31 Klein 1971, S. 62-64.

32 Ebd., S. 65f.

33 Cameron 1994, S. 98.

34 Klein 1971, S. 70.

35 Ebd., S. 68-76; Ottmann 2002, S. 355.

36 So argumentiert etwa Wolf Liebeschuetz, dass aus Anreden wie „Bruder“ in Briefen zwischen den beiden Protagonisten nicht geschlossen werden kann, dass eine tatsächliche Verwandtschaft besteht. Insbesondere Symmachus habe diese Anrede als höfliche Form häufig gebraucht, siehe: Liebeschuetz, Wolf: Ambrose & John Chrysostom. Clerics between Desert and Empire, Oxford 2012, S. 57; sowie ebd., Anm. 3.

37 Hiltbrunner, Otto: Ambrosius, in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, Bd. 1, Stuttgart 1964, Sp. 296f.

38 Diesner 1964, S. 23.

39 Liebeschuetz 2012, S. 265f.

40 Campenhausen 1965, S. 77-79.

41 Markschies, Christoph: Ambrosius, ein wahrer Bischof, in: Wilhelm Geerlings (Hg.): Theologen der christli- chen Antike. Eine Einführung, Darmstadt 2002, S. 143; siehe auch: Campenhausen 1965, S. 83f.

42 Campenhausen 1965, S. 88f.; Hiltbrunner 1964, Sp. 296.

43 Piepenbrink 2010, S. 86.

44 Campenhausen 1965, S. 89f.

45 Diesner 1964, S. 24f.; S. 28.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Der Streit um den Victoriaaltar und das Verhältnis zwischen Staat und Religion
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Geschichte)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
30
Katalognummer
V508778
ISBN (eBook)
9783346070463
ISBN (Buch)
9783346070470
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Victoria, Victoriaaltar, Symmachus, Ambrosius, Rom, Valentinian II.
Arbeit zitieren
Dr. Henning Kulbarsch (Autor:in), 2015, Der Streit um den Victoriaaltar und das Verhältnis zwischen Staat und Religion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508778

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