Der "son cubano". Seine Charakteristik und Rolle als transkulturelles Element im musikgeschichtlichen Kontext Kubas


Term Paper (Advanced seminar), 2002

21 Pages, Grade: 1


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Inhalt

Einleitung

1. Geschichte und Charakteristik des son cubano
Einleitung
1.1 Ursprung
1.2 Instrumentation
1.3 Struktur der Son-Kompositionen
1.4 Sprache und Texte
1.5 Popularität des Son in Havanna
1.5.1 Das conjunto sonero und die weitere Entwicklung des Son

2. Legalität und nationale Identität
2.1 Historischer Hintergrund
2.2 Der Son als transkulturelles Element kubanischer Identität

3. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis
Internet

Anhang

Son-Gedichte von Nicolás Guillén

Einleitung

Zusammen mit der Religion nimmt die Musik in Kuba einen enorm großen soziologischen und kulturellen Stellenwert für die armen, oft am Rande des Existenzminimums lebenden afrokubanischen Bevölkerungsschichten ein. Aber nicht nur für diese; die Musik unterstützt das gesamte kubanische Volk, diesem Schmelztiegel aus den Nachfahren afrikanischer Sklaven und der spanischen Eroberer sowie den Immigranten aus Europa und den USA bei seiner Identitätsfindung und -wahrung; sie stellt ein unabdingbares Element des kubanischen Lebensgefühls dar und formt aus den unterschiedlichen kulturellen Einflüssen, die Kuba im Laufe der letzten Jahrhunderte erfahren hat, DEN Kubaner bzw. DIE Kubanerin. Emilio Grenet charakterisiert die Bedeutung der Musik für das kubanische Volk als “[...] la elaboración espiritual de un pueblo que lucha desde hace cuatro siglos por encontrar su propia expresión” (Grenet, S. 45).

Die Hintergründe dieser Bedeutung der Musik und des Tanzes für das kubanische Volk sollen in diesem vorliegenden kurzen Aufsatz unter Berücksichtigung der musikgeschichtlichen Entwicklung des Landes am Beispiel des son cubano näher beleuchtet werden. Dabei wird auch die politische und wirtschaftliche Historie Kubas im letzten Jahrhundert miteinbezogen, da diese Umstände zum Verständnis der Bedeutung bzw. der Entwicklung der Musik in Kuba entscheidenden Beitrag geleistet haben und daher nicht einfach ausgeklammert werden dürfen.

In diesem Zusammenhang werde ich zunächst auf die musikgeschichtliche Situation der Karibikinsel Ende des 19. und Anfang des 20.Jahrhundert eingehen, die Zeit, in welcher die Vorläufer des Son im bergigen Osten der Insel nach heutigem Wissenstand erstmals gespielt, getanzt und gesungen wurden.

Im folgenden wird dann näher auf die Charakteristika des Son - Instrumentation, Struktur und Texte – im musikhistorischen Kontext Kubas eingegangen und seine chronologische und geographische Entwicklung auf Kuba erläutert.

Unter Punkt 2 wird zunächst ein kurzer Abriss über die politisch und wirtschaftlich bedeutsamen historischen Wegpunkte Kubas gegeben, um vor diesem Background in der anschließenden Analyse näher auf die transkulturelle Rolle des Son beim Abbau der Rassentrennung einzugehen.

Letztendlich soll dann in der Kombination aus Punkt 1 und 2 zu einem möglichst umfassenden Gesamtbild des son cubano samt seiner Bedeutung für die Identitätsfindung und -wahrung des kubanischen Volkes beigetragen werden.

1. Geschichte und Charakteristik des son cubano

Einleitung

Der son cubano[1] bzw. son oriental, wie er zunächst seiner geographischen Herkunft im Osten der Insel wegen hieß, in dieser vorliegenden Arbeit als ein markantes und populäres Beispiel der verschiedenen Musik- und Tanzgattungen Kubas des letzten Jahrhunderts herausgegriffen, birgt in seiner Vermählung afrikanischer Trommeln und Gesangsstrukturen mit spanischen Gitarren und Liedertraditionen mehr als bloße Unterhaltung und Zeitvertreib: er vermochte die Brücke zwischen arm und reich bzw. zwischen Afro-Kubanern und Weißen zu spannen und half entscheidend bei der kulturellen Identitätsfindung der Kubaner. Alejo Carpentier bringt es auf den Punkt, indem er feststellt, dass der Son „revela [...] un proceso de transculturación destinado a amalgamar metros, melodías, instrumentos hispánicos, con remembranzas muy netas de viejas tradiciones orales africanas“ [meine Untersteichung] (S. 41).

Weder die rumba noch der danzón hatten einen derart großen Einfluss auf den Abbau der gesellschaftlichen Klassenunterschiede und der Rassentrennung. Im Gegenteil – letztere Musikgattungen zielten eher gerade daraufhin ab, jene Klassenunterschiede zu definieren und beizubehalten: die verschiedenen Rumba-Gattungen[2] mit ihren sehr lasziven bis wollüstigen Bewegungen zu den schnellen, einnehmenden Rhythmen afrikanischer Trommeln lagen weit jenseits der Toleranz- und Akzeptanzgrenze der weißen Mittel- und Oberschicht, während die steifen, vorgegeben Tanzfiguren des contradanza zu ibero-romanischer Salónmusik die afrokubanischen Einwohner Havannas nicht gerade zu spontanen Tanzorgien zu verleiten vermochten.

Man grenzte sich durch diese Tänze bewusst voneinander ab. Europa von Afrika. Arm von Reich. Schwarz von Weiß. Der Son schaffte es, als erstes transkulturelles musikalisches Element auf Kuba, diese beiden Musikgattungen auf seinem Boden miteinander zu vereinen und entscheidend zum Abbau der Rassen – und Klassenunterschiede auf Kuba beizutragen.

1.1 Ursprung

Der Ursprung des Son liegt nach heutigem Wissensstand wahrscheinlich im 18. Jahrhundert, als seine Grundstrukturen (s. Punkt 1.3) erstmals in anonymen Gesängen schwarzer Sklaven auftraten (Giro, S. 199)[3]. In seiner später definierten Form mit den Son-typischen Charakteristika und Instrumenten (s. Punkt 1.2) entstand er jedoch definitiv erst im späten 19. Jahrhundert im bergigen Süd-Osten Kubas (oriente), wo die Landhöfe weit auseinander lagen und man relativ autark lebte. Man traf sich zu gelegentlichen Feiern: an Geburtstagen, Hochzeiten, Silvester, etc. Die ländlichen Feste boten die einzige Abwechslung für die afrokubanischen Bergbauern (guajiros) und außerdem eine gute Gelegenheit, sich zu treffen und vielleicht ein Geschäft zu machen; was lag näher, als eine Art „akustische Zeitung“ herauszugeben, die alles erzählt, was seit dem letzten Fest geschehen ist. Man konnte ein Liebesgedicht loswerden, sich auf mehr oder weniger dezente Art über jemanden lustig machen oder einfach nur spontan seinen Lebensgefühlen Ausdruck verleihen (Creutzmann, S. 96).

Das Treffen der afrikanischen Trommeln mit den Gitarren, die dem Einfluss der spanischen Eroberer zu verdanken sind, wird so zum musikalischen Boden, auf dem man Neuigkeiten austauscht: Ein Solist trägt sein „Gedicht“ vor und ein Chor betont im Refrain, was er jeweils zu betonen hat. Es darf getanzt werden - zwar nicht so wild und heiß wie in den Baracken der (Noch-)Sklaven, welche die ausschließlich von Perkussionselementen dominierte rumba bevorzugten, aber auch nicht so steif wie beim Menuett oder dem Kontertanz in den Sälen europäischer Fürsten, deren kubanische Interpretation im sogenannten danzón bzw. contradanza, aus welchem der danzón hervorgegangen war , stattfand.

In den Bewegungen vereinen die Tänzer Afrika und Europa auf kubanischen Boden und kreieren Neues. So entstand eine neue musikalische Gattung: der son oriental, dessen Popularität sich zunächst auf die afrokubanische Bevölkerung der ländlichen Gegenden seines Ursprungs begrenzt sah (Creutzmann, S. 96/ Giro, S. 199).

1.2 Instrumentation

Zunächst beschränkten sich die Instrumente auf spanische Gitarren und einfache Gegenstände wie Flaschen, Löffel oder was gerade zur Hand war (Giro, S. 199). Im Mittelpunkt stand der Gesang, der, wie bereits oben erwähnt, eine Art akustische Zeitung repräsentierte.

Mit der Zeit gesellten sich der Chor und „professionellere“ Instrumente[4] dazu:

- tres (dreisaitige, kleine Gitarre), die kubanische Variante der spanischen Gitarre.
- bongos (Paartrommeln), nach afrikanischem Vorbild.
- claves (zylinderförmige Klanghölzer), die den Takt angeben.
- quijada (Schrapper, der einst aus dem Kieferknochen eines Esels/ Pferdes hergestellt wurde, heutzutage aber keine Verwendung mehr findet).
- marimbula („Bass-Sitzholzbox“), die eine ähnlich Rhythmus-begleitende Funktion wie später der Kontrabass erfüllte.
- botijuelas (Flaschenartige Blasinstrumente aus Ton).
- maracas (Kürbisrasseln) (Giro, S. 199 / Orovio, S. 456 / Ludwig, S. 593).

[...]


[1] Im folgenden einfach Son genannt. Es sei an dieser Stelle jedoch ausdrücklich auf die verschiedenen Ausdrucksformen des Son in anderen Ländern Lateinamerikas hingewiesen (z.B. son mexicano, son guatemalteco) und ebenfalls auf die verschieden Son-Arten, zwischen denen man in Kuba selbst und der Karibik unterscheidet: son montuno, changui, sucu-sucu, ñongo, regina, guajira son, bolero son, etc.(Orovio, S. 457).

[2] Yambú, guaguancó, columbia, papalote (Carpentier, S. 188).

[3] Zwei Transkriptionen aus dem späten 19. Jahrhundert des angeblich im 16. Jahrhundert entstanden Stückes „Son de la Ma Teodora“ von Teodora Ginés aus Santiago de Cuba galten bis in die 1950er Jahre hinein als Ursprung des Son (s. u.a. Carpentier, S. 36 ff). Dies wird heute aber gemeinhin angezweifelt (MGG, S. 1569).

[4] s. Anhang für Bildbeispiele einiger typischer Son-Instrumente.

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Details

Title
Der "son cubano". Seine Charakteristik und Rolle als transkulturelles Element im musikgeschichtlichen Kontext Kubas
College
University of Bonn  (Romanistisches Seminar)
Course
Tango, Flamenco und Fado. Texte zu iberoromanischen und lateinamerikanischen Liedern und Tänzen
Grade
1
Author
Year
2002
Pages
21
Catalog Number
V27441
ISBN (eBook)
9783638294942
ISBN (Book)
9783638760485
File size
538 KB
Language
German
Notes
Zusammen mit der Religion nimmt die Musik in Kuba einen enorm großen soziologischen und kulturellen Stellenwert für die armen, oft am Rande des Existenzminimums lebenden afrokubanischen Bevölkerungsschichten ein. Aber nicht nur für diese, die Musik unterstützt das gesamte kubanische Volk, diesem Schmelztiegel aus den Nachfahren afrikanischer Sklaven und der spanischen Eroberer sowie den Immigranten aus Europa und den USA bei seiner Identitätsfindung und -wahrung.
Keywords
Seine, Charakteristik, Rolle, Element, Kontext, Kubas, Tango, Flamenco, Fado, Texte, Liedern, Tänzen
Quote paper
Claudio Priesnitz (Author), 2002, Der "son cubano". Seine Charakteristik und Rolle als transkulturelles Element im musikgeschichtlichen Kontext Kubas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27441

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