Das Ende nationaler Migrationspolitik?

Der Vergemeinschaftungsprozess vor dem Hintergrund nationaler Sicherheits- und Souveränitätssansprüche


Bachelorarbeit, 2007

66 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 THEORIEN ZUR EUROPÄISIERUNG
2.2 MIGRATIONSFORMEN
2.2.1 Flüchtlingsmigration
2.2.2 Arbeitsmigration
2.2.3 Irreguläre Migration
2.3 THEORIEN ZUR MIGRATION
2.3.1 Push- und Pullfaktoren

3 NATIONALSTAATLICHE INTERESSEN
3.1 SICHERHEITSRELEVANZ DER MIGRATIONSPOLITIK
3.2 SOUVERÄNITÄTSRELEVANZ DER MIGRATIONSPOLITIK
3.3 NATIONALSTAATLICHE KONTROLLE

4 EUROPÄISCHE UNION
4.1 KOOPERATIONSTHEORETISCHE AUSGANGSÜBERLEGUNGEN
4.2 SICHERHEITS- UND SOUVERÄNITÄTSRELEVANZ
4.3 EUROPÄISCHE MIGRATIONSPOLITIK VON SCHENGEN BIS ZUM HAAGER PROGRAMM
4.3.1 Das Schengener Abkommen
4.3.2 Das Schengener Durchführungsübereinkommen
4.3.3 Das Dubliner Abkommen
4.3.4 Der Maastrichter Vertrag
4.3.5 Der Amsterdamer Vertrag
4.3.6 Der Vertrag von Nizza
4.3.7 Das Haager Programm

5 DER „EUROPÄISCHE HAFTBEFEHL“ ALS SPEZIFISCHES BEISPIEL FÜR EUROPÄISCHE KOOPERATION
5.1 VERSTÄRKTE ZUSAMMENARBEIT
5.2 ERSTE PHASE: MOTIVATION
5.3 ZWEITE PHASE: BESCHLUSSFASSUNG
5.4 DRITTE PHASE: IMPLEMENTIERUNG

6 FAZIT

7 LITERATURVERZEICHNIS

8 ANHANG
8.1 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 Einleitung

Ziel dieser Bachelorarbeit ist eine umfassende Analyse, inwiefern man vor dem Hintergrund der europäischen Vergemeinschaftung vom Ende nationaler Migrationspolitik sprechen kann. Thematisiert wird in diesem Zusammenhang zum einen das Spannungsverhältnis zwischen Kooperationswillen und Souveränitätsansprüchen der Nationalstaaten. Dazu gilt es zu klären, inwieweit eine gemeinsame europäische Migrationspolitik existiert, welche denkbaren Motive einer supranationalen Kooperation zugrunde liegen könnten und warum diese Thematik, trotz „Souveränitätsgeladenheit“ (Knelangen 2001, S. 32) des Politikfeldes, vermehrt Eingang auf die europäischer Ebene findet. Zum anderen wird das angesprochene Spannungsverhältnis durch nationalstaatliche Sicherheitsbedürfnisse erweitert. Diese Dimension manifestiert sich einerseits in der Absicht der EU-Mitgliedstaaten, Kontrolle darüber auszuüben, wer auf ihr Territorium einreist und wer sich dort aufhält (Tomei 1997, S. 65), denn der Umgang mit nicht gesteuerten, grenzüberschreitenden Migrationsströmen berührt Kernbereiche der staatlichen Souveränität, wenn zu befürchten ist, dass die gesellschaftliche Ordnung oder die innere Sicherheit bedroht sein könnten. Andererseits resultiert daraus die Einsicht, dass die nationalstaatliche Sicherheit in Anbetracht der neuen Qualität der Migration im Schengen- Raum gegebenenfalls durch eine europäische Zusammenarbeit bestmöglich gewährleistet wird.

Heute leben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union etwa 21 Millionen Drittstaatsangehörige, die in mehreren Etappen nach Westeuropa eingewandert sind (Alscher 2007). Diese Wanderungsbewegungen lassen sich prinzipiell in vier Stufen unterteilen: Migration durch Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg, die Entkolonialisierung Afrikas, Süd- und Südostasiens, die Anwerbung von dringend benötigten Arbeitskräften in einigen westeuropäischen Volkswirtschaften und schließlich durch den Nachzug von Familienangehörigen der Arbeitsmigranten (Bendel 2005a). Ausschlaggebend für den Entwurf von verbindlichen Regeln hinsichtlich einer gemeinsamen europäischen Zuwanderungspolitik ist in diesem Zusammenhang sicherlich die hohe Anzahl von Asylbewerbern in der zweiten Hälfte der 80er Jahre (Bendel 2005b). Von 1983 bis 1992 verzehnfachte sich die Zahl der in Europa gestellten Asylanträge auf rund 700.000 (Salt 2005, S. 11). Demgemäß beschäftigt sich der erste Teil dieser Arbeit mit den theoretischen Grundlagen, die der Erklärung von Wanderungsbewegungen und Harmonisierungsprozessen dienen. Hier werden sowohl Theorien zur Europäisierung im Bereich der Migrationspolitik herangezogen als auch der aktuelle Forschungsstand in Bezug auf Migrationsformen und deren Ursachen vorgestellt.

Der zweite Teil meiner Ausführungen analysiert die nationalstaatlichen Interessen vor den Schwerpunkten innerer Sicherheit und Souveränität. Einleitend ist dazu zu bemerken, das man in der Europäischen Gemeinschaft noch in den 1990er Jahren die Auffassung vertrat, dass Einwanderung und Asyl- und Flüchtlingswesen zu den originären Aufgaben der Nationalstaaten gehören (Santel 1995, S. 177ff). Die von Migrationsbeziehungen verursachten Wechselwirkungen mit anderen Politikfeldern wurden zu diesem Zeitpunkt zwar wahrgenommen, jedoch spielte in dieser Betrachtung die zwischenstaatliche Dimension eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr wurden sicherheits- und souveränitätsrelevante Aspekte als Leitmotive nationalstaatlichen Handelns identifiziert, die sich letzten Endes hemmend auf Kooperationen auswirkten.

Erst mit dem Aufkommen eines gemeinsamen Binnenmarktes und der Intensivierung der Beziehungen der Staaten untereinander wurden nationale Alleingänge schließlich als wirkungslos und gemeinschaftsschädigend verstanden. Eine verstärkte europäische Zusammenarbeit sollte in der Folge die nationalen Problemlösungsmöglichkeiten durch Synergieeffekte erweitern. Aus diesem Grunde bestand seitens der europäischen Nationalstaaten ein zunehmend stärkeres Interesse, ihre Erfahrungen und Strategien auszutauschen, mit dem Ziel, effizientere Lösungen für die Herausforderungen der verstärkten Zuwanderung nach Westeuropa zu erarbeiten. (Tomei 2001, S. 45)

In diesem Kontext bildet die Untersuchung der Kooperationsentwicklung, anhand der europäischen Verträge vom Schengener Abkommen bis zu den Vereinbarungen des Haager Programms, einen weiteren Schwerpunkt dieser Arbeit. Die Mitgliedstaaten erhofften sich durch Kooperationsvereinbarungen zum einen, die Probleme einer rein nationalen Steuerung von Migrationsströmen angemessen zu bewältigen, und zum anderen bestand die Absicht, die aus der Öffnung der europäischen Binnengrenzen resultierenden Wanderungen Drittstaatsangehöriger besser zu kontrollieren, da die mangelnde Transparenz dieser Bewegungen von den jeweiligen Nationalstaaten als Einschränkung ihrer Souveränität wahrgenommen wurde.

Ausgehend von der Einbindung europäischer Partner versprach man sich nicht nur die migrationspolitische Steuerungsunsicherheit zu reduzieren, sondern auch die durch Migration entstehenden Kosten zu externalisieren. Dies drückte sich beispielsweise in der Absicht der Vermeidung von Mehrfachanträgen Asylsuchender („asyl-shopping“) aus, wodurch eine signifikante Entlastung der europäischen Bürokratien angestrebt wurde. Insgesamt nahm der Zuwanderungsdruck auf die EU zu, wobei gerade die Länder an den EU-Außengrenzen quantitativ stärker von Flüchtlingsströmen betroffen waren (bzw. sind). Aufgrund dieser ungleichmäßigen Verteilung auf die Mitgliedstaaten waren insbesondere die stärker von Migration betroffenen Staaten an einer Lastenteilung und Harmonisierung der Migrationspolitik auf europäischer Ebene interessiert.

Unter Verweis auf die skizzierten Umstände erscheint es für die Mitgliedstaaten rational, den Herausforderungen in der Migrationspolitik gemeinsam auf europäischer Ebene zu begegnen. Folglich gilt es in dieser Arbeit zu überprüfen, inwiefern es in Anbetracht der Sicherheits- und Souveränitätsrelevanz zu einer Vergemeinschaftung des Politikfeldes Migration gekommen ist und welchen Motiven diese Bemühungen folgen. Ausgehend von der freiwilligen Übertragung von Verantwortlichkeiten und Hoheitsrechten auf supranationale Institutionen lautet die zugrunde liegende These demnach, dass der nationalstaatliche Verzicht auf Entscheidungskompetenzen und traditionelle Hoheitsansprüche in Bezug auf Migrationspolitik die Souveränität über Territorium und Volk bestmöglich gewährleistet.

Nachdem die Widerstände und Hindernisse einer europäischen Kooperation deutlich geworden sind, bildet ein kurzer Exkurs zum Europäischen Haftbefehl den Abschluss dieser Arbeit. Hinter diesem Beispiel verbirgt sich die Intention, anschaulich darzustellen, dass nach einer prinzipiellen Einigung zur Zusammenarbeit längst nicht alle Probleme beseitigt sind. Festzuhalten bleibt ferner, dass der Anstoß zu einer supranationalen Problembearbeitung auf nationalstaatliche Interessen zurückgeht. Nachdem die Schwierigkeiten einer Übertragung bestimmter Politikfelder auf zwischenstaatliche Institutionen überwunden sind, gestaltet sich der Aushandlungsprozess für Richtlinien und Rahmenbeschlüsse auf europäischer Ebene, aufgrund von divergierenden Interessen, oft sehr komplex und langwierig. Da die Umsetzung von supranational getroffenen Entscheidungen wiederum auf intergouvernementaler Ebene erfolgt, ist das Beispiel zudem bezeichnend für den steinigen Weg, der bei einer Implementierung in nationale Gesetze und Vorschriften bevorstehen kann.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Theorien zur Europäisierung

In der politikwissenschaftlichen Debatte ist die Entwicklung des Politikfeldes Migration bisweilen zu einem Indikator avanciert, der vor dem Hintergrund der Globalisierung die Erosion nationalstaatlicher Handlungs- und Steuerungsspielräume verdeutlicht. Im Zuge ökonomischer und gesellschaftlicher Verflechtungen verlieren Nationalstaaten sukzessive die Kontrolle über ihr Territorium, dabei ignoriert transnationale Migration ebenso wie der internationale Transfer von Gütern, Kapital und Dienstleistungen zunehmend nationalstaatliche Grenzen und trägt dazu bei, die Kontroll- und Steuerungsfunktionen der Nationalstaaten zu unterlaufen. (Birsl, Müller 2005, S. 47) Bedingt durch Globalisierungsprozesse kommt es jedoch nicht nur zu einem signifikanten Steuerungsverlust, sondern gleichzeitig auch zur Kompensierung dieser Einschränkungen durch eine verstärkte europäische Integration, in der supranationale Institutionen traditionelle nationalstaatliche Funktionen und Kompetenzen schrittweise ablösen. Für die Migrationspolitik wirkt neben der Zunahme von globalen Verflechtung ebenso erschwerend, dass nationalstaatliche Souveränität durch universale völkerrechtlich anerkannte Menschenrechte eingeschränkt wird, denn hier wird der Staat in seinem Vorrecht beschnitten, darüber zu bestimmen, wer sein Territorium betreten darf. (Sassen 1998, S. 6-8; Hollifield 1999, S. 27)

Im theoretischen Diskurs lassen sich schließlich drei zentrale Entwicklungstrends erkennen, die die Problematik nationalstaatlicher Handlungsautonomie offenbaren. Den ersten Ansatz bildet die losing control Hypothese, die die Entwicklung einer europäischen Migrationspolitik im direkten Zusammenhang zu ökonomischen Interdependenzen und der fortschreitenden Globalisierung sieht. Vor dem Hintergrund zunehmender Verflechtungen hätten die europäischen Staaten keine lohnenswerte Alternative zur Kooperation und somit würde die europäische Integration vorangetrieben, während das territoriale und funktionale Fundament des Nationalstaates erodierte. Die Hypothese beschreibt demnach eine Einschränkung staatlicher Souveränität und den damit verbundenen Kontrollverlust, verursacht durch die Internationalisierung der Wirtschaft. (Geddes 2005, S. 127; Sassen 1999)

Mit der convergence Hypothese werden als zweiten theoretischen Ansatz Übereinstimmungen in westlichen Industriestaaten in Bezug auf Migrationspolitik aufgezeigt (Birsl, Müller 2005, S. 49; Hollifield 1999). Dabei geht es neben der Auswahl politischer Instrumente zur Kontrolle und Steuerung von Einwanderung auch um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Konvergenz meint in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass Nationalstaaten in jeder Beziehung gleich auf Einwanderung reagieren, sondern vielmehr, dass es zu deutlichen Annäherungen in ihren Strategien zur Migrationspolitik kommt. Dennoch versuchen sie stets, mit unterschiedlichen Politiken die Kontrolle über ihr Territorium zu halten und irreguläre Einwanderung zu unterbinden. Gleichzeitig sind sich die handelnden „Akteure über die beschränkte Wirksamkeit dieser externen Kontrollpolitik im Klaren“ (Birsl, Müller 2005, S. 49), so dass die Etablierung von internen Kontrollen1, bspw. die Einschränkung von sozialen und politischen Rechten, unabwendbar erscheint. Globalisierungsprozesse zeigen demnach die Grenzen von externen Migrationskontrollen auf und führen zwangsläufig zu einer Verlagerung der Kontrollen auf die innerstaatliche Ebene. Langfristig kann jedoch die Exklusion bestimmter Gruppen von gesellschaftlichen Prozessen zu einer Gefährdung der rechtstaatlichen Grundlagen und zur Infragestellung der Legitimität eines Staates führen. (Hollifield 1999; Birsl, Müller 2005, S. 49).

Als alternatives Szenario zu diesen Theorien existiert die escape to europe Hypothese, deren Inhalt darin besteht, dass europäische Kooperation und Integration eine Möglichkeit eröffnen die innerstaatlichen rechtlichen und politischen Beschränkungen zu umgehen, um bestimmte nationale Zielsetzungen zu erreichen. Aus dieser Perspektive fördert eine verstärkte Kooperation auf europäischer Ebene die nationalen Steuerungsfähigkeiten und somit auch die nationalstaatliche Souveränität. (Freeman 1998, S. 91; Geddes 2005, S. 127) Europäische Migrationspolitik wird unter Beachtung dieser Theorie als Versuch der Mitgliedstaaten verstanden, die Probleme die sich aus diversen nationalen Regulierungsmaßnahmen ergeben, auf zwischenstaatlicher Ebene zu lösen. Eine Externalisierung eröffnet den Staaten der Europäischen Union die Möglichkeit, ihre nationalen Zielsetzungen bezüglich ihrer Migrationspolitik auf anderen Wegen zu erreichen. In diesem Zusammenhang können also vergemeinschaftete rechtliche Grundlagen in Bezug auf Migration und Asyl als äußerst hilfreich für einige Staaten interpretiert werden. Die EU übernimmt Steuerungskompetenzen von den Nationalstaaten, gleichzeitig aber auch die Verantwortung für entstehende Probleme und Belastungen in diesem spannungsgeladenen Politikfeld. Restriktive Politiken seitens der EU fallen somit nicht direkt auf die Nationalstaaten zurück. Daran schließt sich auch die Argumentation des Politikwissenschaftlers Professor Hollifield (Hollifield 2000, S. 110) an, und zwar beschreibt er das Schengener Abkommen als ein klassisches Beispiel von besonderer territorialer Kontrolle. Es schafft die Möglichkeit, Belastungen in Form von Asylanträgen zu reduzieren und sie zusammen mit den damit verbunden Problemen auf andere Staaten außerhalb der EU abzuschieben. Hollifield argumentiert weiter, dass liberale Staaten den Weg der escape to europe Hypothese preferieren werden, weil die Alternative dazu nur die in der convergence Hypothese geschilderte Kürzung der Rechte von Einwanderern ist, was sich juristisch und politisch als unhaltbar darstellt.

2.2 Migrationsformen

Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Begriffen Asyl und Immigration findet in westlichen Gesellschaften nur noch bedingt statt. Mitte der 80er Jahre verschob sich die öffentliche Wahrnehmung dahingehend, dass eine Abgrenzung zwischen Asylbewerbern und ökonomisch motivierten Immigranten verschwamm. Ausgelöst durch den vollständigen Anwerbestopp von Arbeitskräften kam es als Antwort auf die restriktiven Auflagen der europäischen Staaten in Bezug auf Einwanderung aus ökonomischen Beweggründen zu einer drastischen Erhöhung von Asylanträgen als alternative Variante, um Zugang nach Europa zu erhalten. Die Verschmelzung der beiden Begriffe Asyl und Immigration ist ein Grund, warum heute Asyl mit illegaler Migration in Verbindung gebracht wird. Europäische Behörden unterscheiden folglich in „echte“ Asylsuchende, die aus Angst vor Verfolgung immigrieren, und „unechte“ Asylsuchende, die aufgrund schlechter ökonomischer Bedingungen ihr Heimatland verlassen. (Tsoukala 2005, S. 170-171)

2.2.1 Flüchtlingsmigration

Theoretische Grundlage für diesen Begriff liefert die Definition in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus dem Jahr 1951. Im Rahmen des Abkommens findet der Begriff „Flüchtling“ auf jede Person Anwendung, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; […]“ (GFK) (GFK Artikel 1A). Erweitert wird diese Definition durch das in Artikel 33(1) GFK enthalte Prinzip der Nicht-Zurückweisung, das ebenfalls die fünf bereits in Artikel 1A erwähnten Prinzipien beinhaltet, die als Voraussetzung für die Gewährung von Asyl gelten. Ergänzt wird die GFK zudem durch die in Artikel 33(2) festgehaltene Klausel, die es den Anwenderstaaten erlaubt, von der Konvention abzuweichen im Falle einer schwerwiegenden Gefährdung des eigenen Landes oder bei einer drohenden Gefahr für die Allgemeinheit des Staates.

Innerhalb der Europäischen Union wurde der Artikel 1A GFK von den jeweiligen Nationalstaaten unterdessen sehr unterschiedlich ausgelegt (Tomei 1997, S. 34)2, da das Asyl- und Flüchtlingswesen die Souveränitätsansprüche der Nationalstaaten berührt und ein Spannungsfeld zwischen der Einhaltung und Bewahrung von grundlegenden Menschenrechten und dem Schutz staatlicher Souveränität eröffnet (Sassen 1996, S. 60). Erst mit dem Aufbau eines gemeinsamen europäischen Asylsystems einigten sich die Mitglieder der Europäischen Union auf eine einheitliche Definition des Flüchtlingsbegriffes. Die Richtlinie 2004/83/EG (ABl. L 304, S. 12) beinhaltet Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, wodurch ein „gemeinsamer Sockel an Mindestvorschriften eines europäischen Asyl- und Flüchtlingsrechts in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention“ (Giering 2006) entstanden ist.3

2.2.2 Arbeitsmigration

Unter Arbeitsmigration ist die Aus- und Einwanderung von Menschen zu verstehen, die in einem anderen als ihrem Herkunftsland eine Beschäftigung aufnehmen (Jugl 2005a). Gegenwärtig ermöglicht der europäische Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten die uneingeschränkte Arbeitsmigration von EU-Bürgern innerhalb der Mitgliedstaaten.4 Dennoch wird der Zugang zu den nationalen Arbeitsmärkten derzeit von den Mitgliedstaaten autonom geregelt, ohne dass nennenswerte Steuerungsbefugnisse auf die Ebene der EU übertragen wurden. Für Drittstaatsangehörige ist der Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt dagegen nicht ohne weiteres möglich. (Baringhorst 2006, S. 18)

In westlichen Industrieländern entstand nach 1945 durch das ökonomische Wachstum eine verstärkte Nachfrage nach Arbeitskräften. Die Phase der Öffnung der Arbeitsmärkte für meist gering qualifizierte Arbeitnehmer endete erst mit dem Einsetzen der Energiekrise im Herbst 1973 (Santel 1995, S. 56ff). Nach dieser Zeit fand die Zuwanderung fast ausschließlich aus humanitären Gründen und durch den Nachzug von Familienangehörigen statt. Obwohl sich der aufenthaltsrechtliche Status von Zugewanderten zwar mittlerweile gefestigt hat, treten jedoch zunehmend die Integrationsdefizite dieser Gruppen in Erscheinung. Die Unruhen in den Pariser Vorstädten, die Debatte um die schlechten schulischen Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund oder die Manifestierung rechtsradikaler Gruppen sind nur einige Beispiele dafür, „dass die Integrationsproblematik bisher unzureichend gelöst wurde.“ (Baringhorst 2006, S. 18)

Nach dem völligen Anwerbestopp versuchen heute einige Staaten der EU durch Sonderprogramme (Bsp.: Greencard-Programm der BRD) gezielt hoch qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben. Im Gegensatz dazu ist es für niedrig qualifizierte Drittstaatsangehörige fast unmöglich, einen legalen Arbeitsplatz innerhalb der EU zu erlangen. Für sie bleibt meist nur die illegale Einreise, die mit zahlreichen negativen Begleiterscheinungen für sie selbst und für die europäischen Gesellschaften verbunden ist.

2.2.3 Irreguläre Migration

Der Intensivierung von ökonomischen, demographischen, sozialen und politischen Interdependenzen stehen in Europa stetig restriktiver werdende Asylbestimmungen gegenüber. Aufgrund der abnehmenden Wahrscheinlichkeit, legal nach Europa einzureisen, sind irreguläre Einwanderungskanäle oftmals die einzig verbliebene Möglichkeit, Europa zu erreichen.

Ungewollte Migration stellt für die europäischen Nationalstaaten ein besonders sensibles Thema dar, da sie nicht nur die staatliche Souveränität in Form von Zugangsbeschränkungen herausfordern, sondern auch den sozialen und politschen Zusammenhalt berühren, auf dem die Integrität eines Staates beruht (Collinson 1993, S. 14). Gefördert von einer verstärkten medialen Berichterstattung über nächtliche Grenzüberschreitungen und überquellende Flüchtlingsboote entsteht der Eindruck, dass irreguläre Einwanderung zu einer unkontrollierbaren Bedrohung für die äußere und innere Sicherheit der EU geworden ist. Genaue Daten bezüglich der Anzahl der illegal eingeschleusten Personen, die jedes Jahr die Grenzen Europas passieren, sind nur schwer auszumachen.5 Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich 500.000 Menschen illegal nach Europa einreisen (Jugl 2005b). Zahlen, über die sich illegal in Deutschland aufhaltenden Personen, sind ebenfalls sehr ungenau. Sie schwanken zwischen 600.000 und 1 Million Menschen, wobei die Illegalität auf dem Bundesgebiet weniger durch unerlaubte Zuwanderung von Personen ohne oder mit gefälschten Papieren entsteht. Hauptursache für Illegalität in Deutschland ist vielmehr nachträglich begründet, indem Touristenvisa zur Einreise genutzt werden und die Personen nach deren Ablauf in Deutschland verbleiben. (Baringhorst 2006, S. 20) In der öffentlichen Wahrnehmung wird irreguläre Migration primär negativ beurteilt, wobei die Folgen für die nationale Sicherheit hervorgehoben werden und die Notwendigkeit für verstärkte Grenzkontrollen in den Fokus der Debatte rücken. Illegale Grenzüberschreitungen stellen die Ausübung staatlicher Souveränität in Frage. Dies geschieht nicht nur durch die Missachtung staatlicher Hoheitsansprüche in Form von der Umgehung der Kontroll- und Zugangsmechanismen, sondern auch durch die Nichtbeachtung der offiziellen Einwanderungspolitik, was die Effizienz und Integrität der nationalen Asyl- und Migrationspolitiken untergräbt. Die Problembehaftung dieser Thematik und die Auswirkungen auf die nationale Sicherheit werden auch in stärkerer Konkurrenz um knappe gesellschaftliche Güter deutlich. Vor allem der Wettbewerb um Arbeitsplätze fördert Fremdenfeindlichkeit und bietet eine Angriffsfläche für rechte politische Strömungen, wobei hierbei die Grenzen zwischen legaler und illegaler Migration verschwimmen und sich negative Einstellungen gegenüber allen Einwanderergruppen manifestieren. (Baringhorst 2006, S. 21)

Aus sicherheitspolitischer Perspektive werden die genannten Aspekte um ein entscheidendes Bedrohungsszenario erweitert. Dabei handelt es sich um diverse Formen der Kriminalität, wobei das Spektrum von Kleinstdelikten über organisiertes Verbrechen bis hin zu fundamentalistischen Terrorismus reicht (Tsoukala 2005, S. 163). Genießt der Terrorismus, aufgrund seiner medienwirksamen Inszenierung, die meiste öffentliche Aufmerksamkeit, so ist doch zu vermuten, dass organisiertes Verbrechen in Form von Menschenschmuggel und Menschenhandel einen weitaus größeren Schaden anrichteten. Resultierend aus den hohen Kosten begeben sich die Eingeschleusten in zumeist langjährige Abhängigkeiten von Schlepperbanden, die nicht selten in Zwangsprostitution, Drogenhandel oder Beschaffungskriminalität münden. (Currle, Wunderlich 2001, S. 232)

2.3 Theorien zur Migration

Der Begriff Migration wird in der wissenschaftlichen Literatur höchst uneinheitlich verwandt und taucht in den verschieden geisteswissenschaftlichen Disziplinen unter anderen Vorzeichen auf. So beschäftigen sich beispielsweise die Wirtschaftswissenschaften mit „den ökonomischen Ursachen und Begleiterscheinungen“ (Treibel 1999, S. 17) von transnationalen Wanderungen. Wohingegen die politikwissenschaftliche Diskussion, neben dem politischen Umgang mit Zugewanderten und deren Partizipation am gesellschaftlichen Diskurs, eher Untersuchungen zur Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die damit verbundenen Implikationen für die betroffenen Gesellschaften berührt (Treibel 1999, S. 18). Prinzipiell können unter dem Begriff Migration Wanderungsbewegungen verstanden werden, deren Motive vielfältigste Ausprägungen annehmen. Annette Treibel liefert eine allgemeine Definition, die auch dieser Arbeit zugrunde liegt: „Migration ist der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen.“ (Treibel 1999, S. 21)

Im Folgenden wird der aktuelle Forschungsstand anhand spezifischer Migrationstheorien vorgestellt. Die traditionellen theoretischen Ansätze zur Analyse von Migration erläutern deren Entstehung entweder durch neoklassische volkswirtschaftliche Ansätze, Affinitätsvariablen oder durch räumliche Erklärungen (Seifert 2000, S. 25). Dabei verwenden die volkswirtschaftlichen Modelle vor allem Differentialvariablen, die als Analysekategorien in erster Linie auf Differenzen im Lohnniveau und im Arbeitskräftebedarf zielen. Zur Vorhersage kurzfristiger Migrationsbewegungen scheint dies ein geeigneter Erklärungsansatz, da er anschaulich verdeutlicht, dass bestehende Lohndifferenzen und die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen zwischen dem Herkunfts- und dem Zielland als Motivation für Migrationsentscheidungen dienen. Vernachlässigt wird dabei jedoch, dass dieses volkswirtschaftliche Modell „zur größtmöglichen Allokationseffizienz“ (Seifert 2000, S. 27) bestimmte Nebenbedingungen voraussetzt, wie beispielsweise Vollbeschäftigung, perfekte Informationen oder vollkommen flexible Löhne (Straubhaar 1994, S. 196). Dass ein solches Szenario kaum der Realität entspricht, verdeutlichen u.a. die Arbeitslosenzahlen in den westlichen Aufnahmeländern und die Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte, die aufgrund mangelnder Qualifikationen nur selten „auf allen Hierarchieebenen des Arbeitsmarktes“ in direkte Konkurrenz zu einheimischen Beschäftigten treten (Seifert 2000, S. 27).

Im Gegensatz zu den ökonomischen Ansätzen und den damit verbunden Implikationen, legen Affinitätsvariablen in der Ursachenforschung von Migrationsströmen ihr Hauptaugenmerk auf Faktoren wie Religion, Kultur, Sprache und soziale Netzwerke. Ausschlaggebend bei dieser Betrachtung sind die verschiedenen Informationsquellen aus denen eine Migrationsentscheidung hervorgeht. Als Wichtigstes sind hier wohl die sozialen und ethnischen Netzwerke im Zielland zu nennen. Zum einen werden hier „rosige Bilder“ (Hamilton 1985, S. 37) von Wohlstand und Prosperität vermittelt, die ihre Wirkung in potenziellen Herkunftsländern nicht verfehlen, und zum andern bieten Freunde und Verwandte im jeweiligen Zielland eine erste Anlaufstelle für Migranten, um Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung oder bei der Arbeitssuche zu geben. Die Integration in bestehende ethnische Gemeinden begünstigt Migration in vielerlei Hinsicht, da in größeren ethnischen Gruppen zumeist „entsprechende Infrastruktureinrichtungen wie Restaurants, Kaffeehäuser, religiöse Einrichtungen, Läden mit Produkten aus dem Herkunftsland etc.“ (Seifert 2000, S. 38) existieren. Ebenso erfolgt die Arbeitsbeschaffung meist innerhalb dieser Netzwerke, was wiederum nur bedingt Kenntnisse der jeweiligen Landessprache erfordert. Integrationsbemühungen in Bezug auf die aufnehmende Gesellschaft treten in den Hintergrund und führen unweigerlich zur Herausbildung bzw. Manifestierung von Parallelgesellschaften. Konsequenz dieser Entwicklung ist eine verstärkte Wahrnehmung von Migration als Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung und die innere Sicherheit. Dabei geht es vor allem um Befürchtungen, dass Migrationsströme die demographische Balance und die nationalen Identitäten der europäischen Gesellschaften gefährden. (Tsoukala 2005, S. 163)

Als weiteren traditionellen theoretischen Erklärungsansatz werden schließlich mit Hilfe von Variablen, wie beispielsweise der Distanz zwischen dem Herkunfts- und Zielland oder den anfallenden Transportkosten, die räumlichen Einflussfaktoren analysiert, da diese Migration hemmen bzw. begünstigen können (Weiner 1995, S. 116).

Der Politikwissenschaftler Myron Weiner weist in „The global migration crisis“ ferner darauf hin, dass die drei angeführten klassischen Analyseebenen, volkswirtschaftliche Ansätze, Affinitätsvariablen und räumliche Erklärungen, in der Migrationsforschung ausführlich bearbeitet wurden und stellt gleichzeitig eine vierte Erklärungsebene vor, deren Inhalt sich mit „den politisch-administrativ gesetzten Zugangsregeln“ (Seifert 2000, S. 25) befasst. Demnach sind Migrationspolitik und die damit verbunden Zugangsbeschränkungen zu dem jeweiligen Staatsgebiet ein überaus wichtiges Steuerungselement für alle westlichen Industrienationen, nicht nur, um ihrer Verantwortung gegenüber schutzsuchenden Personen nachzukommen, sondern auch, um den Wohlstand und die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu garantieren. Mit der Fokussierung auf politische Steuerungselemente identifiziert Weiner ebenfalls die Schwachstellen der klassischen Theorien, die Zugangsvariablen oftmals nur als exogene Störungen oder Verzerrung in ihre Modelle integrieren und prinzipiell von offenen Grenzen ausgehen (Weiner 1995, S. 116).

In all ihren Formen, erzwungen oder freiwillig, sind neben den traditionellen Migrationstheorien vermutlich klassifizierbare Push- und Pullfaktoren die effizienteste Lösung, sich den komplexen Beziehungen und vielschichtigen Verschränkungen zu nähern, die letztendlich Individuen, veranlassen dauerhaft in eine andere Gesellschaft zu immigrieren.

2.3.1 Push- und Pullfaktoren

Monokausale Erklärungsansätze für Migrationsbewegungen sind heutzutage meist nicht mehr zur Erfassung der komplexen Umstände geeignet, die Menschen dazu bewegen, ihre angestammte Heimat zu verlassen. Um die Tiefe der Dimensionen und die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, bevorzugt die gängige Literatur eine Klassifikation in so genannte Push- und Pullfaktoren. (Birsl, Müller 2005, S. 35)

Unter Pushfaktoren werden Einflüsse verstanden, die im Herkunftsland zu verorten sind und von den Betroffenen meist als unerträglich erfahren oder als bedrohlich empfunden werden. Dazu zählen u.a. Umwelt- und Naturkatastrophen, wirtschaftliche Krisen gefolgt von Arbeitslosigkeit und Armut, Bodenerosion und damit verbundene Wasserknappheit, binnen oder zwischenstaatliche Kriege sowie die Diskriminierung ethnischer oder religiöser Minderheiten, politische Verfolgung oder politische Instabilität (Nuscheler 1995, S. 32ff; Birsl, Müller 2005, S. 31ff). Zudem existieren neben diesen Fluchtgründen auch Vertreibungen, bei denen Menschen ohne eigene Motivation oder Entscheidung, sondern durch Gewalt zu Flüchtlingen werden.

Pullfaktoren hingegen entstehen in den Zielländern, in denen die Bedingungen im Verhältnis zu den Herkunftsländern günstiger erscheinen. Auf potenzielle Migranten wirken Arbeit, Wohlstand oder Freiheit als anziehend, wobei als ausschlaggebende Faktoren die politische Stabilität, ein demokratisches politisches System, eine ausgewogene Sozialstruktur, Religionsfreiheit, eine allgemein bessere wirtschaftliche Lage sowie bessere Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten angesehen werden (Birsl, Müller 2005, S. 31ff). Während bei Fluchtbewegungen die Pushfaktoren überwiegen, scheinen bei einer auf Dauer angelegen Migrationsentscheidung die Verheißungen des Ziellandes auf ein besseres Leben ausschlaggebend zu sein.

In den aufnehmenden Gesellschaften weichen die verschiedenen Beweggründe allerdings eher der öffentlichen Wahrnehmung, dass Migranten ein Kollektiv darstellen, die den Wohlfahrtsstaat ausbeuten und die Sicherheit der einheimischen Bevölkerung bedrohen. Verstärkt wird dieses Szenario zudem, dass in den europäischen Gesellschaften weitgehend Konsens über potenzielle Gefahren seitens der Migranten herrscht, und dass seitens der EU und der Nationalstaaten zunehmend restriktivere Sicherheitspolitiken durchgesetzt werden. (Huysmans 2006, S. 56)

3 Nationalstaatliche Interessen

3.1 Sicherheitsrelevanz der Migrationspolitik

Die Verknüpfung von Migrationspolitik mit innenpolitischen Sicherheitsaspekten findet auf nationalstaatlicher Ebene schon seit einiger Zeit statt. (Jahn 2006, S. 4) Dabei setzen Art und Ausmaß der Migrationsbewegungen die gesellschaftliche und infrastrukturelle Integrationskapazität unter Druck und verknüpfen durch ihren transnationalen Charakter verschiedene Nationalgesellschaften. Infolgedessen werden die Staaten empfänglich für Einflüsse von außen, wodurch sie zweifelsohne auch profitieren, deren Auswirkungen sie jedoch nur mit großen Mühen kontrollieren können. Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland erfolgt in diesem Kapitel eine Gliederung möglicher Gefahrenpotenziale in drei Dimensionen, um mit Hilfe von empirischen Daten die Sicherheitsrelevanz der Migrationspolitik zu überprüfen. Von Interesse sind dabei Ausländerkriminalität, Formen von Ausländerextremismus und ausländerfeindliche Tendenzen innerhalb der aufnehmenden Gesellschaft. Weitere Verknüpfungen erfahren die Migrations- und Sicherheitspolitik auch durch außenpolitische Belange, die allerdings nicht Schwerpunkt dieser Arbeit sind und daher nur kurz Erwähnung finden. Beispielsweise werden Wanderungsbewegungen als politische Druckmittel eingesetzt, die zu Spannungen zwischen dem Herkunfts- und dem Aufnahmeland führen können. Des Weiteren besteht durch den Import fremder Konflikte die Gefahr einer Verwicklung bzw. Einmischung in ausländische Angelegenheiten. (Tomei 2001, S. 27ff) Als Argument dafür, dass Migration eine Bedrohung für die innere Sicherheit darstellt, wird oftmals die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) herangezogen. 2006 betrug bei einem Ausländeranteil an der deutschen Wohnbevölkerung von 8,8 % (Abbildung 1) der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen 22 % (Abbildung 2, 3 und 4). Dieser hohe Prozentsatz, der in der öffentlichen Diskussion stets als Indikator für die Gefährdung der inneren Sicherheit durch Ausländer gewertet wird, muss jedoch in mehrfacher Hinsicht differenziert werden. Zum einen reichen die Ausprägungen für Ausländerkriminalität von Kleinstdelikten über Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht bis hin zum organisierten Verbrechen. Da Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Aufenthalts- oder Asylverfahrensgesetz stehen, jedoch nur von Ausländern begangen werden können, ist eine Bereinigung der Statistik um diese Delikte notwendig. (Tsoukala 2005, S. 170-173) Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen sinkt dadurch auf 19,4 % (Bundeskriminalamt 2006, S. 8). Weitere Probleme in der Evaluation ergeben sich auch dadurch, dass illegal anwesende Ausländer und ausländische Touristen zwar in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst werden, jedoch nicht in der Bevölkerungsstatistik. Somit verdeutlichen die Daten zwar die Verteilung der Straftaten zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen, vernachlässigt werden allerdings die Unterschiede zwischen lang ansässigen Ausländern und illegal Anwesenden bzw. ausländischen Touristen und Durchreisenden. (Angenendt 1997, S. 72-73) Der PKS zu Folge handelte es sich im Berichtsjahr 2006 bei 12,9 % (Abbildung 5) aller ausländischen Tatverdächtigen um illegal Anwesende oder Touristen und Durchreisende. Diese Daten zeigen somit, dass ein erheblicher Teil der Straftaten nicht auf dauerhaft ansässige Drittstaatsangehörige zurückzuführen, sondern hauptsächlich dem Wegfall der Grenzkontrollen und der höheren Durchlässigkeit der Grenzen zu Ost- und Mitteleuropa geschuldet ist. Tatbestände, die dem organisierten Verbrechen zuzurechnen sind, wie das Schlepperwesen oder der Handel mit Betäubungsmitteln, werden zu einem Großteil von Personen verübt, die sich nur für kurze Zeit oder illegal in Deutschland aufhalten. (Angenendt 1997, S. 73) Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang der Folgekriminalität von eingeschleusten Personen zu. Entstehend aus Abhängigkeitsverhältnissen sind irregulär Eingewanderte oftmals gezwungen, in kriminellen Strukturen zu agieren, um für die Kosten ihrer Einschleusung aufzukommen (Baringhorst 2006, S. 23). Als Fazit bleibt also festzuhalten, dass Ausländerkriminalität durchaus ein Gefahrenpotenzial für die innere Sicherheit darstellt, jedoch sollte eine differenzierte Betrachtung erfolgen, da ein Großteil der kriminellen Strukturen durch die Öffnung der Binnengrenzen und die durchlässigen Ostgrenzen begründet ist, und somit ein Steuerungsverlust darstellt, dem auf nationaler Ebene nur schwer entgegengewirkt werden kann.

Als zweiten Indikator für die Beeinträchtigung der inneren Sicherheit wird politischer Extremismus von Ausländern und der Import von Konflikten aus den Herkunftsregionen herangezogen. Unter Ausländerextremismus wird unter anderem die Mitgliedschaft in Organisationen verstanden, deren Ziel die Zerschlagung einer bestehenden freiheitlich demokratischen Gesellschaftsordnung ist, oder die eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft errichten wollen. (Bundesministerium des Innern 2006, S. 350) Die gewaltsame Austragung von politischen Konflikten auf dem Territorium des Gastlandes stellt einen hochrelevanten Bezug zwischen innerer Sicherheit und Migrationspolitik dar, da sich Immigranten nur in den seltensten Fällen komplett von ihren Herkunftsländern lösen, was bedeutet, dass sie meist ökonomisch, politisch oder kulturell mit ihrem Heimatland verbunden sind und stark sensibilisiert für die dortigen Entwicklungen bleiben. Die daraus erwachsende Gefährdung lässt sich schließlich darin erfassen, dass bestimmte Gefahrenpotenziale bzw. Konflikte aus den Herkunftsregionen mit in die aufnehmenden Gesellschaften gebracht werden. (Tomei 2001, S. 27)6 Angaben des Bundesinnenministeriums (Bundesministerium des Innern 2006, S. 213ff, 266ff) über die Organisationsstrukturen und das Personenpotenzial von extremistischen Strömungen belegen die Relevanz dieser Thematik. Demnach beläuft sich die Mitgliederzahl von islamistischen Organisationen in Deutschland für das Jahr 2006 auf 32.150 Personen, dazu kommen weitere 25.250 Personen, die in anderen extremistischen Ausländerorganisationen ohne islamistischen Hintergrund organisiert sind. Im Vergleich zum Jahr 2000 (Bundesministerium des Innern 2000, S. 185) ist die Gesamtzahl der Mitglieder in extremistischen Ausländerorganisationen damit leicht rückläufig, sie sank von 58.800 im Jahr 2000 auf 57.400 im Jahr 2006. Dem allgemeinen Trend widersetzen konnten sich hingegen die islamistischen Organisationen, deren Mitgliederanzahl in diesem Zeitraum leicht um 700 anstieg. Im Jahr 2006 registrierten die Behörden insgesamt 477 Straftaten (Abbildung 6), davon 95 Gewalttaten, die nachweislich auf extremistische Organisationen von Ausländern zurückzuführen sind.

[...]


1 Weiterführend zu den Möglichkeiten der Migrationskontrolle siehe (Baringhorst 2006, S. 21-23). Externe Migrationsbarrieren; externe Kontrollen an den Grenzen oder in den Botschaften (Visa). Interne Migrationsbarrieren; Kontrolle bei Ausstellung, Verweigerung, Verlängerung von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen; Kontrolle beim vorübergehenden zum dauerhaften Aufenthaltsrecht und schließlich Kontrollen im Einbürgerungsverfahren.Bachelorarbeit Andreas Becker

2 Beispielsweise galt in Deutschland das Asylrecht für „politisch Verfolgte“. In Griechenland und Frankreich für „Ausländer, die wegen ihres Kampfes für die Freiheit verfolgt werden“, ect.

3 Voraussetzung für die Anerkennung als Flüchtling oder als Person, die anderweitig internationalen Schutz benötigt, vgl. http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l33176.htm.

4 Für die EU-Osterweiterung 2004 gelten in einigen Ländern mehrjährige Fristen bis zur vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes. Weiterführend dazu auch das 2+3+2-Modell zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, vgl. u.a. (Peschutter et al. 2004). Bachelorarbeit Andreas Becker

5 Schätzungen basieren nach Angaben eines Tagungsberichtes des Europäischen Zentrums für Migrationsstudien auf der Annahme, dass auf jeden aufgegriffenen Flüchtling zwei Personen kommen, die es schaffen, unbemerkt die EU- Außengrenzen zu überwinden. Bachelorarbeit Andreas Becker

6 Als jüngstes Beispiel sind in diesem Zusammenhang die gewaltsamen Zusammenstöße von Kurden und Türken in BerlinKreuzberg zu nennen. Weiterführende Einschätzungen über sicherheitsgefährdende Bestrebungen vgl. (Verfassungsschutzbericht 2006 ab Seite 264).Bachelorarbeit Andreas Becker

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Das Ende nationaler Migrationspolitik?
Untertitel
Der Vergemeinschaftungsprozess vor dem Hintergrund nationaler Sicherheits- und Souveränitätssansprüche
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
66
Katalognummer
V86969
ISBN (eBook)
9783638009331
ISBN (Buch)
9783638927581
Dateigröße
996 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ende, Migrationspolitik
Arbeit zitieren
BA of Arts Andreas Becker (Autor:in), 2007, Das Ende nationaler Migrationspolitik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86969

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