Kommunaler Ordnungsdienst. Einordnung und Entwicklung eines Berufsbildes sowie einer landeseinheitlichen Ausbildung


Master's Thesis, 2012

95 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Bisherige Ausbildung
2.1.1 Lehrgänge der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie e.V.
2.1.2 Städtische Ausbildungen am Beispiel Ludwigsburg und Stuttgart
2.1.3 Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugsdienst

3 Kapitel Berufsbildung
3.1 Bildungstheoretische Grundlagen
3.1.1 Bildungstheorien
3.1.2 Lernpsychologie
3.2 Kapitel Recht
3.2.1 Allgemeines
3.2.1.1 Polizeibegriff
3.2.1.2 Zuständigkeiten
3.2.1.3 Befugnisse der Mitarbeiter
3.2.1.4 Grundrechte
3.2.2 Polizeirechtliche Eingriffsbefugnisse
3.2.2.1 Generalklausel nach § 3, 1 PolG
3.2.2.2 Personenfeststellung
3.2.2.4 Gewahrsam
3.2.2.5 Durchsuchung der Person
3.2.2.6 Durchsuchung von Sachen
3.2.2.7 Betreten und Durchsuchungen von Wohnungen
3.2.2.8 Sicherstellung und Beschlagnahme
3.2.3 Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafprozessrecht
3.2.3.1 Einleitung
3.2.3.2 Beschlagnahme
3.2.3.3 Beschlagnahme nach § 111b StPO
3.2.3.4 Durchsuchung
3.2.3.5 Sicherheitsleistung und Zustellungsbevollmächtigter § 132 StPO
3.2.3.6 Identitätsfeststellung nach § 163 b

4 Neue Ausbildung
4.1 Ganzheitliche Ausbildung
4.2 Ausbildungsinhalte
4.2.2 Situation „Streifengang“
4.2.3 Situation „Repression“
4.2.4 Ergänzender Unterricht
4.3 Ausbildungsstruktur
4.3.1 Zeitliche Dauer
4.3.2 Blöcke
4.3.3 Prüfungen
4.3.4 Praktika
4.3.5 Räumliche Voraussetzungen
4.3.6 Ausbildungsstatus
4.4 Curriculum
4.4.1 Übersicht rahmenlehrplan Ausbildung Verwaltungsfachangestellter Fachrichtung Sicherheit und Ordnung
4.4.1.1 Grundblock
4.4.1.2 Qualifizierungsblock
4.4.1.3 Abschlussblock

5 Fazit

6 Anlage

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart, Ulm, Reutlingen, Heidelberg, Heilbronn, Esslingen, Ludwigsburg und viele weitere Städte in Baden-Württemberg unterhalten einen sogenannten Kommunalen Ordnungsdienst. Dieser gewinnt in der baden-württembergischen Sicherheitsarchitektur, insbesondere in den mittleren und großen Städten, eine immer gewichtigere Rolle, wenn es um die Bekämpfung und Ahndung von Ordnungsverstößen geht. Man könnte auch von einer Renaissance der kommunalen Polizeien sprechen, die es in den Anfangszeiten Baden-Württembergs noch gegeben hat. Allein in den Jahren 2011 und 2012 haben drei Städte einen Kommunalen Ordnungsdienst eingeführt.[1] Der schrittweise Rückzug der Landespolizei aus dem Modell „Schutzmann-um-die-Ecke“ führt zu einem erhöhten Druck auf die Kommunen aus der Bevölkerung, sich auch um deren „kleinen“ Dinge und Nöte zu kümmern.

Im Jahr 2012 konnte ich meine Arbeitsstelle wechseln und fand mich in der Verantwortung für einen Kommunalen Ordnungsdienst wieder. Nicht nur, dass dies der erste wirkliche Kontakt mit einem Kommunalen Ordnungsdienst für mich war, ich stand auch in der Verantwortung, meine sechs neuen Mitarbeiter in ihr Tätigkeitsfeld einzuführen. Dies bedeutete Lehrinhalte mit zu bestimmen, die Dauer der Ausbildung festzulegen und die Ausbildungskonzeption durchzuführen. Mit Verwunderung stellte ich fest, dass es in Baden-Württemberg keine einheitliche Ausbildung im Bereich des Gemeindevollzugsdienstes gibt, wovon der Kommunale Ordnungsdienst einen Teil darstellt. Nachdem ich mich intensiv mit dem Lehrplan für die Ausbildung meines KOD beschäftigt hatte, war es für mich umso mehr ein Rätsel, warum es keine einheitliche Ausbildung gibt. Die Eingriffsrechte und die damit einhergehenden Grundrechtseingriffe sind tief greifend und bedürfen einer professionellen und sachgerechten Anwendung. Nun begann langsam das Interesse an einer neuen Ausbildungsstruktur in mir zu wachsen. Ich stellte recht schnell fest, dass ich mit meinen Gedanken nicht alleine stand. Im Jahr 2011 entschied die Runde der Ordnungsamtsleiter in Baden-Württemberg, eine Informationsrunde über den Kommunalen Ordnungsdienst in den Mitgliedsstädten abzuhalten. Diese fand im Frühjahr 2012 in Ulm statt. Auch hier wurde von den Vertretern der Städte moniert, dass es kein einheitliches Ausbildungskonzept in Baden-Württemberg gibt, ebenso wenig standardisierte Lehrinhalte. Diesbezüglich wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen, die sich in erster Linie um standardisierte Lehrinhalte kümmern, aber auch einen Blick auf eine Berufsausbildung im Land selber werfen soll.

Dass das Thema im Jahr 2012 noch weiteren Auftrieb erhalten sollte, war zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen. Am 05. Juli 2012 führte VERDI eine Veranstaltung rund um den Kommunalen Ordnungsdienst durch. Auch die Gewerkschaft fordert seit Jahren eine qualifizierte, einheitliche Ausbildung für den Gemeindevollzugsdienst in Baden-Württemberg. Mittlerweile hat der Städtetag Baden-Württemberg ebenfalls die Initiative ergriffen. Nicht nur die Städte, als Arbeitgeber, oder die Gewerkschaften haben die Ausbildung als wichtigen Punkt erkannt, sondern der Gesetzgeber selber sieht die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung, was anhand der momentanen Novellierung des Polizeigesetzes ersichtlich wird. Hier möchte das Land Baden-Württemberg sich die Möglichkeit einräumen, per Verordnung eine Ausbildung vorzugeben.

Doch wie soll diese in Baden-Württemberg aussehen? Welche Inhalte sind notwendig und warum soll es Standards geben? Diese Fragen sind elementar in der oben beschriebenen aktuellen Debatte. Antworten sind, wenn überhaupt, nur sehr fragmentarisch vorhanden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll eine mögliche Antwort auf diese Fragen gegeben werden. Die anzudenkende Ausbildungsstruktur ist sicherlich nur eine Möglichkeit der Gestaltung. Wichtig ist die Behandlung der Thematik in Bezug auf das „Warum“. Warum benötigen wir eine professionelle und tiefgründige Ausbildung? Diese Antwort ist wiederum eng mit der Fragestellung des Ausbildungsinhaltes verknüpft.

Die Masterarbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Das Kapitel Einleitung gibt einen kurzen Einblick in die Motivation und beschreibt die Aktualität der Debatte. Im zweiten Kapitel „bisherige Ausbildung“ wird die Ausbildung des Gemeindevollzugsdienstes in Baden-Württemberg beschrieben, wie sie heute vonstattengeht. Dies wird anhand der Fortbildungsreihe „Gemeindevollzugsdienst“ der Verwaltungsakademie Württemberg, der stadtinternen Ausbildungskonzeptionen für den Kommunalen Ordnungsdienst der Städte Stuttgart und Ludwigsburg exemplarisch dargestellt. Die Ausbildung des mittleren Polizeivollzugsdienstes als Vorbild einer möglichen fundierten und adäquaten Ausbildung für den Gemeindevollzugsdienst rundet den Ausblick ab.

Das Kapitel „Berufsausbildung und Recht“ vermittelt berufstheoretische Grundlagen. Im Unterabschnitt „Recht“ liegt der Schwerpunkt auf den Eingriffsbefugnissen im Polizeigesetz und der Strafprozessordnung, die sich aus der Rechtsstellung als Gemeindevollzugsdienst ergibt. Dabei bleiben die weiteren Möglichkeiten im Polizeirecht unbeachtet, für die der Mitarbeiter des Gemeindevollzugsdienstes bei der Durchsetzung kein Recht auf unmittelbareren Zwang hat.

Im Kapitel „Neue Ausbildung“ wird eine einheitliche Ausbildung für den Gemeindevollzugsdienst in Baden-Württemberg konzipiert.

Das Kapitel Fazit fasst die Gedanken noch einmal zusammen und beschreibt eine Entwicklung hin zu einer bodenständigen, anerkannten Ausbildung.

2 Bisherige Ausbildung

In Baden-Württemberg existiert bislang keine einheitliche Ausbildung im Bereich des gemeindlichen Vollzugsdienstes. Eine Ausbildung, verknüpft mit einer über einen längeren Zeitraum besuchten Ausbildungsstätte und Lehrplan, wird in Baden-Württemberg nicht geleistet. Wie im anschließenden Kapitel „Berufsbildung und Recht“ deutlich wird, befasst sich dieses nur mit Eingriffsrechten, wobei weitere Rechtsgebiete nicht betrachtet wurden, dass die Tätigkeit des Gemeindevollzugsbediensteten einer fundierten Berufsausbildung bedarf. Dem wird die „Ausbildung“ innerhalb Baden-Württembergs in keinster Weise gerecht. Im Jahr 2007 lehnten die Mitglieder des Städtetages eine Initiative für einheitliche Ausbildungsstandards ab. Im Nachgang einer gewerkschaftlichen Veranstaltung[2] initiierte der Städtetag Baden-Württemberg eine Umfrage zur Ausbildung des Gemeindevollzugsdienstes. Insgesamt 82 Mitgliedsstädte beantworteten den Fragebogen. Dies entspricht einer Teilnahme von 45 Prozent der 181 Mitglieder des Städtetages.[3]

Die Frage „Findet für die Mitarbeiter Ihres gemeindlichen Vollzugsdienstes eine Ausbildung statt?“ ist im Wort „Ausbildung“ schwammig, da jede Kommune etwas anderes darunter verstehen kann. Dieses Manko wird auch bei der Beantwortung der Fragen deutlich. Zwei Städte verneinten die Frage bezüglich der Ausbildung, führten jedoch im weiteren Verlauf des Fragebogens teilweise Ausbildungsabschnitte an. Der Städtetag versuchte, diese Ungenauigkeit mit der Einführung einer neuen Kategorie „Schulung“ korrekt abzubilden. Insgesamt findet in 55 Städten im Land eine Ausbildung statt. Von diesen Städten führen 28 Kommunen ein spezielles Ausbildungsprogramm für den gemeindlichen Vollzugsdienst durch.[4]

Bei der Abfrage der Ausbildungsinhalte wurde nur zwischen den Kategorien „Theorie“, „Praxis und Theorie“ sowie „Praxis“ unterschieden. In der Gruppe der Städte mit einem speziellen Ausbildungsprogramm vermitteln 24 Kommunen sowohl theoretische als auch praktische Inhalte. Bei vier Städten beschränkt sich dies auf theoretische Inhalte.[5]

Die in der Ausbildung vermittelten Inhalte sind überwiegend Rechtskenntnisse. Dies ist bei 15 Städten mit einem speziellen Ausbildungsprogramm der Fall. Nur in zwölf Kommunen werden sowohl rechtliche als auch psychologische Inhalte vermittelt.[6]

Die zeitliche Dauer der theoretischen Ausbildung variiert ebenfalls extrem zwischen wenigen Tagen und mehr als sechs Monaten. Dieses Phänomen tritt sowohl im Bereich der Kategorie „Schulung“ als auch in der praktischen Ausbildung auf. Hier liegt die Spannbreite zwischen zwei Wochen und mehr als sechs Monaten bei Städten mit einem speziellen Ausbildungsprogramm.[7]

Das Ergebnis des Städtetages zeigt daher deutlich, wie schwierig es ist, verständliche und allgemeingültige Fragen zu stellen. In den Antworten der Städte ist deutlich zu erkennen, dass verschiedene Zeitfenster für die Beantwortung der Ausbildungsdauer herangezogen wurden. Auch die Unterscheidung zwischen Schulung und Ausbildung ist im Ergebnis irrelevant. Die Differenzierung findet lediglich im Kopf des Beantworters statt. Stellt sich dieser unter einer Ausbildung eine komplette Berufsausbildung vor, kann er die Anfangsfrage nicht mit „Ja“ beantworten. Die meisten Städte betrachten jedoch die angebotenen Lehrgänge, Seminare und Fortbildungen als „Ausbildung“. Die Umfrage zeigt aber noch etwas anderes sehr deutlich. Die Qualifikation ist enorm heterogen in Inhalt, Dauer und Ausrichtung. So unterschiedlich die Kommunen sind, so verschieden ist auch das in der Ausbildung vermittelte Wissen des Gemeindevollzugsdienstes.

Eine grundlegende Reform mit einheitlichen Ausbildungsstandards ist notwendiger denn je. Mit der nächsten Novellierung des Polizeigesetzes soll dem Innenministerium die Möglichkeit gegeben werden, einheitliche Ausbildungsstandards festzulegen.

In den weiteren Ausführungen wird die durch die Umfrage des Städtetages ersichtliche Heterogenität in ihrer realen Ausprägung, bedingt durch die verschiedenen Ausbildungskonzeptionen, beschrieben.

2.1.1 Lehrgänge der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie e.V.

Die Fortbildung bei der Verwaltungsakademie Württemberg kann heute als die „Ausbildung“ in Baden-Württemberg für den Gemeindevollzugsdienst angesehen werden. Weitere Angebote sind nur noch stadtintern angesiedelt. Eine Ausbildung in klassischer Form findet jedoch nicht statt. Es handelt sich vielmehr um Lehrgänge, die teilweise bis zu vier Tage dauern. Ziel ist es, dem Teilnehmer in kurzer Zeit möglichst viel fachliches Wissen an die Hand zu geben. Die wichtigen Lehrgänge werden durch verwaltungsexterne Dozenten abgehalten, wobei die Veranstaltungen alle wichtigen Aspekte der rechtlichen Themenkomplexe des Gemeindevollzugsdienstes abdecken. Durchnummerierte Seminare von GVD I bis GVD IX bieten eine breite Fortbildungspalette an. Die Lehrgänge GVD I, GVD II und GVD III sowie GVD VII sind die notwendigen Grundlehrgänge, ohne die eine einigermaßen qualifizierte Arbeit nicht möglich ist. Das Seminar GVD I beinhaltet die Grundlagen des Allgemeinen Gefahrenabwehr- und Polizeirechts. In drei Tagen werden den Teilnehmern die Basics des Verwaltungsrechts sowie der Verwaltungsvollstreckung nahegebracht. Dazu kommt eine Übersicht über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Allgemeinen und des Gemeindevollzugsdienstes im Speziellen. Die gesamten Einzelmaßnahmen des Polizeigesetzes, Adressaten, Polizeipflichtige, Ermessen und alle weiteren Grundsätze polizeilichen Einschreitens sind ebenfalls Gegenstand der Lehrveranstaltung. Auch die Amts- und Vollzugshilfe, in dem engen Maß, wie sie dem Gemeindevollzugsdienst möglich ist, und das Gebührenrecht des Polizeigesetzes werden durch den Dozenten vermittelt. Dadurch wird ein wesentlicher Teil des rechtlichen Wissens den Mitarbeitern des gemeindlichen Vollzugsdienstes vermittelt.

Das Seminar GVD II kümmert sich um den Themenkomplex „Überwachung des ruhenden Verkehrs“. Die einschlägigen Paragrafen und Tatbestandsnummern der Straßenverkehrsordnung werden mit ihren Spezifika gelehrt. Zudem verschafft das Seminar ebenfalls einen Überblick über die Eingriffsrechte nach dem Polizeigesetz. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Ordnungswidrigkeitenverfahren mit den Eingriffsbefugnissen der Strafprozessordnung. Abgerundet wird der Lehrgang durch taktische Hinweise im Bereich der Beweisführung und Dokumentation sowie in der Anleitung des Verhaltens als Zeuge vor Gericht. Lediglich ein Überblick über das Abschleppen von Fahrzeugen wird den Teilnehmern ermöglicht, obwohl sich der eintägige Lehrgang GVD III ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt. Alle rechtlichen Fragen um das Abschleppen von Fahrzeugen, die entweder im öffentlichen Verkehrsraum entgegen den Regeln der Straßenverkehrsordnung geparkt wurden, betriebsunfähig oder als Müll zu behandeln sind, werden vermittelt. Dazu zählen auch taktische Maßnahmen oder das Gebührenrecht.

Um rechtliche Kenntnisse in den weiteren Zuständigkeitsgebieten wie dem Naturschutz oder Jugendschutz zu erhalten, wird das zweitägige Seminar GVD VII „Feldschutz“ angeboten. Der Schwerpunkt liegt im klassischen Bereich des Feldschutzes: dem Landschafts- und Naturschutz. Zusätzlich wird in diesem Seminar das Thema Jugendschutz angesprochen. Des Weiteren wird das Ermittlungsverfahren mit allen Aspekten wie Fahndung, Recherche, Verwahrverzeichnisse und Aktenaufbau angesprochen. Auch Verhaltensmaßnahmen bei Personenkontrollen, zum Beispiel im Drogenmilieu, werden in diesem Seminar behandelt.

Ein Kompaktlehrgang, der sich über insgesamt drei Wochen erstreckt, fasst die oben beschriebenen Seminare zusammen und bildet die „klassische Ausbildung“ des gemeindlichen Vollzugsdienstes in Baden-Württemberg. Die Kurse des Kompaktlehrgangs sind ähnlich aufgebaut wie die einzelnen Seminare. Unterschiedlich sind die etwas größeren Praxisanteile, wie das situative Handlungstraining, wobei die Theorie in Rollenspielen umgesetzt werden soll.[8]

2.1.2 Städtische Ausbildungen am Beispiel Ludwigsburg und Stuttgart

In Ludwigsburg gibt es seit dem Jahr 2012 zwei Organisationseinheiten des Gemeindevollzugsdienstes. Der städtische Vollzugsdienst existiert seit über 20 Jahren und kümmert sich hauptsächlich um den ruhenden Verkehr. Die Ausbildung wird zu einem Teil über interne Schulungen geleistet, die die Bereiche der Verkehrsüberwachung, Polizeiverordnung und Sondernutzungssatzung der Stadt Ludwigsburg enthalten. Die theoretischen Inhalte werden den Auszubildenden in drei bis vier Monaten vermittelt, wobei an einem Tag bis zu vier Unterrichtseinheiten gelehrt werden. Die restliche Zeit begleiten die Lernenden einen Praxisausbilder beim Streifengang. Ab dem vierten Monat arbeiten die Auszubildenden selbstständig. Nach sechs Monaten, zeitgleich mit dem Ablauf der Probezeit, ist die Ausbildung beendet. Entweder in der regulären Ausbildungszeit oder im Anschluss werden die neu eingestellten Mitarbeiter zu ausgewählten VWA-Seminaren geschickt und durchlaufen die Standard-Fortbildung in Baden-Württemberg.

Der 2012 neu gegründete Kommunale Ordnungsdienst arbeitet nach einem neuen Ausbildungskonzept. Die Ausrichtung auf den Schwerpunkt Verkehrsrecht und die über das Jahr verteilten Fortbildungen der Verwaltungsakademie machten dies notwendig. In Anlehnung an die Ausbildung des gemeindlichen Vollzugsdienstes an der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz dauert die Wissensvermittlung zwölf Wochen. Das Konzept sieht eine moderne, handlungsorientierte Ausbildung vor. Bestandteil und Verbindungsglied zwischen Theorie und Praxis ist das situative Handlungstraining, in dem die Bereiche Recht, Taktik und Psychologie zur Anwendung und Begutachtung kommen. Daneben werden die Rechtsthematiken Verwaltungs- und Polizeirecht, besonderes Polizeirecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, Strafprozessrecht mit wesentlichen Bestimmungen des Strafrechts, Verkehrslehre, Einsatzlehre, Psychologie, Abwehr- und Zugriffstechniken sowie Lern- und Arbeitsmethodik unterrichtet. Zu einer ganzheitlichen Ausbildung fehlen noch Bereiche der Allgemeinbildung, des Gesellschaftsrechts und das Vermitteln von Partizipationsmöglichkeiten auf Betriebsebene. Insgesamt sind für die Ausbildung 317 Unterrichtsstunden veranschlagt. Die Unterrichtseinheiten finden am Vormittag statt und werden durch interne und externe Dozenten gestaltet. Bei den externen Lehrern handelt es sich um aktive oder ehemalige Polizeibeamte. An zwei Nachmittagen gibt es die Möglichkeit, den Unterrichtsstoff nachzubereiten und Aufgaben zu erledigen. Die weiteren Nachmittage verbringen die Auszubildenden mit Praxisausbildern auf Streifengang, um die Stadt Ludwigsburg und ihre Besonderheiten kennenzulernen. Zu den zwölf Wochen Ausbildung kommt eine Woche Praktikum beim örtlichen Polizeirevier hinzu. Ziel des Praktikums ist es, die Vorgehensweise der Polizei nahezubringen und Kontakte zu knüpfen, um eine gemeinsame Ebene zu schaffen. In dieser Woche begleiten die Auszubildenden an drei Tagen die Jugendsachbearbeiter des Revieres und tauchen in den Schichtumlauf einer Dienstgruppe ein.[9]

Die Stadt Stuttgart hat den ältesten städtischen Vollzugsdienst der Kommunen in Baden-Württemberg. Er blieb übrig, nachdem der gemeindliche Polizeivollzugsdienst in staatliche Regie übergeben wurde. Daher ist dieser Gemeindevollzugsdienst als einziger in Baden-Württemberg mit Schusswaffen ausgerüstet. Dieser Umstand schlägt sich auch auf die Ausbildung nieder. In der Landeshauptstadt Stuttgart werden neue Mitarbeiter in einem sechs Monate dauernden Grundlehrgang geschult. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf der Vermittlung von theoretischem Wissen in den Bereichen Allgemeines Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht in Verbindung mit der Strafprozessordnung, Polizeirecht und Ortsrecht. Die weiteren Zuständigkeiten nach der Durchführungsverordnung werden allgemein angesprochen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Waffensachkundeausbildung, um die Dienstwaffe im Anschluss führen zu dürfen. Diese „Ausbildung in der Ausbildung“ nimmt alleine schon zwei Wochen des Grundlehrgangs in Anspruch. Insgesamt werden 219 Unterrichtsstunden durch die Mitarbeiter absolviert. Da der Unterricht erst ab einer Anzahl von vier neuen Mitarbeitern startet, wird teilweise erst mit einer Verzögerung die Grundausbildung begonnen. Um dies auszugleichen, bietet Stuttgart neben den VWA-Seminaren interne Fortbildungsveranstaltungen an, die ähnliche Themen wie im Grundlehrgang behandeln. Der Unterricht wird sowohl von externen als auch von internen Dozenten gestaltet, wobei die externen Beamte der Landespolizei sind.[10]

2.1.3 Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugsdienst

Die Ausbildung im mittleren Polizeivollzugsdienst ist nicht mit den Fortbildungen des Gemeindevollzugsdienstes vergleichbar. Sie dauert insgesamt 2,5 Jahre und wurde mehrmals reformiert. Im Jahr 1998 wurde die Ausbildung neu konzipiert: leitthemenorientiert, fächerübergreifend, handlungsorientiert.[11]

Schulische Zugangsvoraussetzung ist die Mittlere Reife. Die Ausbildung gliedert sich in eine neunmonatige Grundausbildung, ein anschließendes dreimonatiges Praktikum, einen sechs Monate dauernden Aufbaukurs mit anschließendem sechsmonatigem zweitem Praktikum und einen sechsmonatigen Abschlusskurs. Zum Ende der Ausbildung wird die Laufbahnprüfung abgelegt.

Der Grundkurs wird wiederum unterteilt. In den ersten vier Monaten werden die Grundlagen und Zusammenhänge der Ausbildung in einem fächerzentrierten Kanon vermittelt. Dies bedeutet, dass die einzelnen Themen wie Polizeireicht, Strafprozessrecht oder Verkehrsrecht in separaten Unterrichtsfächern gelehrt werden. Erst ab dem fünften Monat wandelt sich diese Trennung und der Unterricht findet fächerübergreifend und fächerintegrativ statt. Lernstoffe verschmelzen zu Modulen, die die zu vermittelnden Inhalte themenbezogen miteinander verbinden. Die sogenannten Leitthemen gliedern sich in Kriminalitätsbekämpfung, Streife und Verkehrsüberwachung/Verkehrsunfallaufnahme. Das Leitthema Kriminalitätsbekämpfung umfasst das Strafrecht, Strafprozessrecht und das Ordnungswidrigkeitenrecht. Da die Neukonzeption der Ausbildung den Beamtenanwärter „fit für den Streifendienst“ machen soll, beinhaltet das Leitthema Streife das gesamte allgemeine und besondere Polizeireicht sowie spezielle Verhaltensweisen oder Themenkomplexe wie häusliche Gewalt. Verkehrsunfallaufnahme/Verkehrsüberwachung bündelt die Rechtsgebiete des Verkehrsrechts mit der Vorgehensweise bei der Unfallaufnahme und Fahrzeugkontrolle. Im Grundkurs 2 wird ebenfalls die Fertigkeit des Zehn-Finger-Systems gelehrt und die Teilnehmer werden zu Ersthelfern ausgebildet. Das anschließende Praktikum soll die Ausbildungsinhalte des Grundkurses vertiefen. Dafür werden in den Dienstgruppen der Polizeireviere Praxisbetreuer ausgebildet, die sich der Praktikanten annehmen. Vorranging sind in dieser Zeit solche Fälle zu bearbeiten, die im Grundkurs thematisiert wurden.

Nach erfolgreich bestandenem Praktikum schließt der Aufbaukurs an. Die Leitthemenstruktur wird hier ebenfalls beibehalten. Ist dieser erfolgreich absolviert, gehen die Polizeimeisteranwärter in das zweite, diesmal sechsmonatige Praktikum. Hier werden die gelernten Inhalte weiter in der praktischen Umsetzung vertieft. Nach bestandenem Praktikum wird zum letzten Mal in die Lehranstalt gewechselt und der Abschlusskurs besucht. Wie bei den vorangegangenen Kursen werden auch hier die Leitthemen beibehalten. Eine intensive Wiederholung und Vorbereitung auf die abschließende Laufbahnprüfung findet gegen Ende des Abschlusskurses statt. Mit erfolgreich bestandener Prüfung erfolgt die Einstellung in die Laufbahn des mittleren Polizeivollzugsdienstes.

Die gesamten Kurse begleitet ein Block „Ergänzender Unterricht“ und rundet die Ausbildung zu einer Einheit ab. Seit der letzten Reform wird den Beamtenanwärtern die Möglichkeit gegeben, während der Ausbildungszeit die Fachhochschulreife zu erlangen. Zusätzlich erhalten die Auszubildenden Unterricht in Berufsethik und Führungslehre. Ziel ist dabei eine Auseinandersetzung mit den ethischen Bedingungen des Berufes und des Führungshandelns. Die Beamten sollen in ihrer Persönlichkeit reifen und den Sozialkompetenzanforderungen des Polizeiberufes gerecht werden. Der emanzipatorische Ansatz in den Berufsbildungstheorien, der den Auszubildenden auch die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Teilnahme angedeihen lassen will und im nächsten Kapitel erläutert wird, kommt hier zum Tragen.

Ebenfalls im Bereich des „Ergänzenden Unterrichts“ sind der Sport und das Einsatztraining angesiedelt. Zum Sport zählen auch das Schwimmen sowie der Erwerb der Qualifikation als Rettungsschwimmer. Im Einsatztraining werden die Grundqualifikationen des Abwehr- und Zugriffstrainings gelehrt, Zwangsmittel- und Schießtraining absolviert, Fahr- und Sicherheitstraining mit den Einsatzfahrzeugen durchgeführt und auf die Verwendung in geschlossenen Einheiten vorbereitet. Diese hier gelernten Fähigkeiten werden auch innerhalb der Leitthemen durch die Verbindung von praktischem Handeln und theoretischem Unterbau im Situativen Handlungstraining benötigt.

Die Ausbildung umfasst insgesamt 3.238 Unterrichtsstunden.

Der Polizeiberuf ist ein Erfahrungsberuf und erfordert sehr viel Routine und Wissen. Durch den handlungsorientierten Aufbau der Ausbildung und die Ausformung der Leitthemen mit einer im Lehrplan verankerten Entwicklung von Schlüsselqualifikationen[12] setzt diese am Beamtenanwärter an und steht somit der subjektorientierten Berufsbildungstheorie nahe. Die Leitthemen verknüpfen die verschiedenen Rechtsgebiete zu einem auch in der Realität vorkommenden komplexen Aufbau, der im Zusammenspiel mit dem handlungsorientierten Situativen Handlungstraining die geforderten Schlüsselqualifikationen vermittelt. In der Ausbildung werden sowohl Methodenkompetenzen als auch Fachkompetenzen vermittelt, die den antizipatorischen Ansatz vertreten. Durch die Anwendung von allen drei Komponenten ist die Ausbildung ganzheitlich ausgelegt.

3 Kapitel Berufsbildung

3.1 Bildungstheoretische Grundlagen

3.1.1 Bildungstheorien

Die Bildungstheorien werden bei Ott in drei unterschiedliche Kategorien gegliedert. In seinem Buch „Grundlagen des beruflichen Lernens und Lehrens“ vereinigt er diese in einem ganzheitlichen Ansatz. Der emanzipatorische Ansatz entwickelte sich aus der „Frankfurter Schule“, einer Richtung der Sozialphilosophie. Kernstück des Ansatzes ist der Mensch in seiner Selbstverwirklichung und Autonomie in der Berufsausbildung. Die Fachqualifikation wird von den Anhängern der Theorie als Teil der beruflichen Ausbildung gesehen, die Gewichtung verlagert sich jedoch in den Bereich der Allgemeinbildung. Oberstes Ziel ist die Mündigkeit des Auszubildenden. Wolfgang Lempert ist ein bedeutender Vertreter des emanzipatorischen Ansatzes. Für ihn stellt die berufliche Ausbildung einen Beitrag zur gesellschaftlichen Demokratisierung dar.[13] In deren Rahmen sind nicht nur berufliche Qualifikationen zu lehren, sondern es geht in allererster Linie um einen pädagogischen Anspruch einer Persönlichkeitsförderung und -entwicklung des Auszubildenden und zweitens den politischen Anspruch einer humanisierten und mitbestimmten Berufswelt. Für ihn stehen „Autonomie“ und „Emanzipation“ in der Bildung ganz weit oben. Damit diese Felder bedient werden können, ist es während einer Ausbildung unerlässlich, sich immer wieder zu reflektieren und das soziale Zusammenspiel zu hinterfragen. Dabei ist es ebenfalls unabdingbar, Rollen-, Wert- und Normenkonflikte zu besprechen, um moralische Verantwortungen in der politischen Partizipation übernehmen zu können.[14]

Der daraus resultierende Anspruch einer Berufsausbildung muss die Verknüpfung von fachlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bildungsinhalten sein. Zusätzlich ist die betriebliche Sozialisation in der Ausbildung zu berücksichtigen und zu integrieren. Dem Gedanken der „Autonomie“ wird Rechnung getragen, indem die Auszubildenden selbstständig Lerninhalte oder komplexe Aufgaben erarbeiten und sich durch die Mitwirkung und Gestaltung von Lernprozessen in den einzelnen Fächern einbringen.[15]

Der antizipatorische Ansatz sieht die Berufsausbildung aus einer anderen Perspektive. Der gesellschaftliche und berufliche Wandel, bedingt durch eine globalisierte, technisch fortschreitende Umwelt, steht im Fokus seiner Betrachtung. Daraus resultieren die Anforderungen an die Ausbildung. Durch die immer weiter fortschreitende Technisierung unserer Arbeitswelt, die Einbindung von neuen Technologien und die Vervielfachung unseres Wissen kommt es in erster Linie nicht mehr auf das Vermitteln von Fachwissen an, da dieses schnell veraltet. Vielmehr sind das Erkennen von zukünftigen Lebens- und Arbeitsqualifikationen und die Einarbeitung in die Berufsausbildung Kernstücke der Betrachtungsweise. Grundlage dafür ist, dass diese didaktische Vorwegnahme von Qualifikationsanforderungen planbar ist.[16] Große Bedeutung kommt daher der Qualifikation der Auszubildenden zu, die in berufsbezogene, berufsübergreifende und nicht-berufliche Qualifikationen unterschieden wird. Berufsbezogene Qualifikationen werden für die Ausübung des angestrebten Berufes benötigt und bilden in den Bereichen grundberufliche, fachberufliche und weiterführend berufliche Kenntnisse die Grundlage der Ausbildung. Die berufsübergreifenden Qualifikationen sind wichtig und entscheidend für die Anpassung an die zukünftigen Berufssituationen, die einem ständigen Wandel unterliegen. Wichtig hierbei ist die Kristallisation einer Bereitschaft zur Flexibilität, Mobilität, Partizipation und Akzeptanz des Wandels. Auch die nicht-beruflichen Qualifikationen sind für die Flexibilität und Erkenntnis des gesellschaftlichen Wandels wichtig und müssen als politische, kulturelle oder ethische Einsichten in eine Berufsausbildung integriert werden.[17]

Auf einer auf dem antizipatorischen Ansatz beruhenden Berufsausbildung wird im Gegensatz zur emanzipatorischen der Schwerpunkt bei der Vermittlung von Fach- und Methodenwissen liegen. Methodenwissen ist ein zentrales Element, da dies die Technik darstellt, um sich schnell wandelndes Fachwissen anzueignen oder sich ganz schnell in neue Aufgabenbereiche einzuarbeiten.

Der dritte berufsbildungstheoretische Ansatz geht bei seiner Betrachtungsweise vom Subjekt, also vom Auszubildenden aus. Der Beruf ist ein soziales Konstrukt mit Auswirkungen auf den Menschen, der ihn ausübt. So werden sein Denken, Handeln, seine Werte und Vorstellungen von seinem Beruf mitentwickelt. Es findet eine Sozialisation, eine Weiterentwicklung des Individuums statt.[18] Gleichzeitig wiederum begrenzt der Beruf die individuelle Entwicklung, da er eine ganz bestimmte Lebens-, Technologie- und Normenwelt vermittelt. Zudem hat die Berufsarbeit eine erhebliche Schnittstellenfunktion zwischen gesellschaftlichen, sozialen und individuellen Strukturen. In der bisherigen Betrachtung der beruflichen Ausbildung stand der „Bedarf“ des Berufes im Vordergrund. Der Fokus war auf die Vermittlung von theoretischem Fachwissen gerichtet, indem geschaut wurde, wie der Einzelne diesem Bedarf angepasst wird. Der subjektorientierte Ansatz kehrt diesen Blickwinkel um und stellt den Lernenden mit seinen subjektiven Entwicklungsmöglichkeiten in den Blickpunkt.[19]

Auf der auf pädagogischen Grundmotiven aufbauenden Sichtweise einer umfassenden entwickelten Persönlichkeit ist das Zusammenfassen von theoretischen und praktischen Elementen von zentraler Bedeutung, um die notwendigen Schlüsselqualifikationen innerhalb der Ausbildung zu formen. In einer handlungsorientierten Didaktik werden persönliche, fachliche und soziale Kompetenzen gefördert und entwickelt. Teamfähigkeit, Flexibilität, Selbstständigkeit, Kompromissfähigkeit, Empathie und soziale Kompetenz sind Schlüsselqualifikationen, die nicht in einem theoretischen Unterricht, sondern nur in Handlungen mit anderen Subjekten vermittelt werden können.[20]

Ein elementarer Schritt in die Richtung des subjektorientierten Ansatzes ist es, die benötigten Fähigkeiten einer Person in den Vordergrund zu stellen, um einen bestimmten Beruf auszuüben, und diese in einer Ausbildung anzulegen. Der heutige Aufbau von Berufsausbildung sei darauf nicht ausgelegt. Zusätzlich müssten Lehrinhalte neu und anders vermittelt werden, um dem Anspruch gerecht zu werden. Ein handlungsorientierter Ansatz in der Ausbildung wäre der eine Schritt, die Fähigkeiten zu vermitteln. Der andere Schritt baut um die bisherige Ausbildungskonzeption einen Fächerkanon, der die Schlüsselqualifikationen fördert. Angedacht sind sozial- oder erlebnispädagogische Wochen und künstlerische Übungen.[21]

Alle drei bildungstheoretischen Modelle haben ihre eigene Sichtweise. Der emanzipatorische Ansatz setzt seinen Schwerpunkt auf die Sozialkompetenz des Auszubildenden und vernachlässigt dabei die Methoden- und Fachkompetenz. Der antizipatorische Ansatz legt das Hauptgewicht auf die Fach- und Methodenkompetenz. Die Individual- und Sozialkompetenz geraten dabei leicht aus dem Blickwinkel. Zuletzt zielt der subjektorientierte Ansatz verstärkt auf die Individualkompetenz des Auszubildenden und weist Schwächen in der Vermittlung von Fach- und Methodenkompetenz auf.[22]

Bernd Ott fasst in seinem Buch „Grundlagen des beruflichen Lernens und Lehrens“ die drei theoretischen Ansätze zu einem ganzheitlichen bildungstheoretischen Ansatz zusammen. Dabei versteht er die berufliche Handlungskompetenz weiter als das bloße Vermitteln von fachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten. Zu einer modernen und komplexer werdenden Berufswelt gehört das Entwickeln von sogenannten Schlüsselqualifikationen, die den Auszubildenden befähigen, sich Wissen und Know-how, für die sich im ständigen Wandel befindliche Arbeitswelt selbstständig anzueignen. Dazu zählt er u. a. Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft, Beherrschung von Lern- und Arbeitstechniken sowie beruflichen Sachverstand und Selbstständigkeit im Denken und Handeln.[23]

„Berufliche Handlungskompetenz ist zur Erklärung ganzheitlicher Berufsbildung zwar notwendig, aber aus berufspädagogischer Sicht noch nicht hinreichend, denn berufliche Bildung soll ja nicht nur befähigen, in der Berufs- und Arbeitswelt, sondern auch im gesellschaftspolitischen und im privaten Bereich selbstständig und eigenverantwortlich zu wirken.“[24]

Auch die Persönlichkeitsentwicklung des Auszubildenden ist in einer ganzheitlichen Berufsbildung zu berücksichtigen.

Sie fördert und entwickelt selbstständiges Handeln, Reflexion des eigenen Handelns und Seins sowie eigene Lebenspläne. Diese individuellen Kompetenzen bilden die Grundlage für eine gesellschaftliche Kompetenz, die beide miteinander verwoben sind. Somit versteht sich eine ganzheitliche Berufsbildung, zusammengesetzt aus der beruflichen Handlungskompetenz und Persönlichkeitsentwicklung, als Vereinigung aus Fach-, Methoden-, Sozial- und Individualkompetenz.[25]

3.1.2 Lernpsychologie

Der vorangegangene Abschnitt über die Berufsbildungstheorien bildet das Fundament des Berufsausbildungshauses „Kommunaler Ordnungsdienst“. Die räumliche Struktur des Hauses wird in den Lerntheorien langsam sichtbar und in den didaktischen Grundlagen des Curriculums vollendet.

„Lernen ist der relativ dauerhafte Erwerb einer neuen oder die Veränderung einer schon vorhandenen Fähigkeit, Fertigkeit oder Einstellung.“[26]

Dieses Lernen wird in den beiden theoretischen Grundrichtungen, behavioristische und kognitions- und handlungspsychologische Konzeption, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet.

In der behavioristischen Konzeption werden der Reiz und die Reaktion darauf als relevante Größe für Lernprozesse definiert. Hierbei gibt es drei Modelle: klassische Konditionierung, instrumentelle Konditionierung und die operante Konditionierung. Alle drei Modelle basieren auf Reizen, die ein Verhalten auslösen. Die klassische Konditionierung ist fest verbunden mit dem Pawlow-Experiment. Der Hund speichelt beim Anblick des Futters ein. Wird nun zeitgleich ein neutraler Reiz, wie in diesem Fall der Glockenton, beim Vorzeigen des Futters dazugegeben, wird der Glockenton nach einiger Zeit alleine ausreichen, um den Speichelfluss in Gang zu setzen. Die instrumentelle Konditionierung geht davon aus, dass das Lernen durch Versuch, Irrtum und zufälligen Erfolg erfolgt. Eine Handlung wird verstärkt, wenn sie erfolgreich war (Effektgesetz). Zusätzlich wird diese erfolgreiche Verhaltensweise verstärkt, wenn dies wiederholt und geübt wird (Frequenzgesetz).[27]

Der Lernerfolg ist demnach abhängig von Bestärkung und Übung. Die operante Konditionierung nach Skinner verfeinert die instrumentelle Konditionierung, indem sie zufällige Reaktionen, die gewünscht sind, gleich nach deren Auftreten verstärkt. Dadurch erhöht sich das Erscheinen der gewünschten Reaktion.[28]

Beim Menschen lässt sich dieses Lernprinzip durch eine positive Verstärkung mit Lob erreichen. Zudem erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Handlung, wenn durch diese ein negativer Zustand überwunden wird.[29]

„Kognitives Lernen kann aufgefasst werden als ein Prozess der Informationsaufnahme und -verarbeitung, an dem das lernende Subjekt aktiv beteiligt ist. Der Lernprozess zielt auf Verhaltensmuster und Wissensstrukturen und nicht auf relativ isolierte Verbindungen zwischen Reiz und Reaktion. Handlungstheorien sind zwar auch kognitive Theorien, sie befassen sich aber in besonderer Weise mit der internen Handlungssteuerung.“[30]

Im konstruktivistischen Ansatz ist das Lernen ein Zusammenspiel aus Denken und Handeln. Jegliches Neues wird anhand von alten Handlungsmustern verarbeitet und so assimiliert. In umgekehrter Richtung wirken unerwartete Handlungsfolgen auf die Wahrnehmungsmuster des Menschen und verändern somit auch dessen Handlungsmuster. Um dieses Wechselspiel der Kräfte auszugleichen, reagiert der Mensch nicht nur, sondern agiert auch proaktiv und ist damit einem ständigen Lernprozess ausgesetzt.[31]

Der handlungstheoretische Ansatz von Aebli beruht auf der Annahme, dass jede Handlung einen Lernprozess darstellt. Denken und Handeln bilden demnach eine dialektische Einheit. Die Beherrschung von einzelnen Handlungen ist Voraussetzung für die Bewältigung von komplexen Handlungsabläufen.[32]

Der Erkenntnisgewinn ist beim handlungsorientierten Lernen nicht nur durch das Handlungsergebnis bestimmt, sondern es zählen auch der Weg und die Lösungsmethode.[33]

Eine weitere kognitive Theorie ist die des bedeutungsvollen rezeptiven Lernens. Der Lehrer soll dabei das zu vermittelnde Wissen so darbieten, dass es in die vorhandene kognitive Struktur des Lernenden passt, er dieses integrieren kann und damit versteht. Es stellt einen Impuls dar, der den Schüler veranlasst, selbstständig das Wissen weiter aufzunehmen, zu verarbeiten und anzuwenden. Der Lehrer gibt dabei immer wieder Wissensanreize, die der Lernende in Übungen umsetzt. Dabei ist es wichtig, dass die selbstständigen Schülerübungen einen größeren Anteil im Unterricht einnehmen als die Lehrervorträge, sodass die Integration des Wissens in die vorhandene kognitive Struktur des Lernenden optimal gelingt.[34]

[...]


[1] 2011 hat Karlsruhe einen KOD eingeführt und im Jahr 2012 zogen Ludwigsburg und Heilbronn nach.

[2] Verdi Fachtagung, 05.07.2012, Stuttgart.

[3] Mauch, Gerhard: Gemeindlicher Vollzugsdienst, Ausbildung, § 80 PolG Auswertung der Umfrage vom 17.08.2012 (U 523/2012). Stuttgart 2012, S. 1.

[4] Ebd., S. 2.

[5] Ebd., S. 2 - 3.

[6] Ebd., S. 4.

[7] Ebd., S. 4 - 5.

[8] Der Abschnitt basiert auf der Sonderveröffentlichung „GVD 2013“ der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie e.V. sowie den Kursangeboten auf der Homepage www.w-vwa.de.

[9] Ein schriftliches Ausbildungskonzept liegt für die Stadt Ludwigsburg nicht vor. Der Autor war an der Planung und Durchführung der Ausbildung beteiligt.

[10] Städtischer Vollzugsdienst Stuttgart: Ausbildungskonzept für den Städtischen Vollzugsdienst Stuttgart. Stuttgart 2012.

[11] Lehrplan für die Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugsdienst.

[12] Zu den Schlüsselqualifikationen zählen insbesondere abstraktes, logisches, planerisches, problemlösendes und vernetztes Denken; Ideenreichtum und Flexibilität; Medien- und Recherchekompetenz zur Erschließung neuer Wissensgebiete, Selbstlernkompetenz, Entscheidungswille und -fähigkeit, Selbstbewusstsein und Mut; Urteils- und Kritikfähigkeit, Fähigkeit zur Selbstkritik, ständige Bereitschaft zur Fortbildung, Fähigkeit, mit anderen Menschen umzugehen, Verantwortungsbewusstsein für Mitmenschen, Kooperationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Toleranz, Fähigkeit, sich mit Aufgaben und Zielen identifizieren zu können, Leistungsbereitschaft, Zielbewusstsein, Zuverlässigkeit, Beharrlichkeit und Ehrlichkeit.

[13] Lempert, W.: Berufliche Bildung als Beitrag zur gesellschaftlichen Demokratisierung: Suhrkamp Verlag KG 1974.

[14] Ott, Bernd: Grundlagen des beruflichen Lernens und Lehrens. Ganzheitliches Lernen in der beruflichen Bildung. 4. Aufl. Berlin: Cornelsen 2011i, 2011, S. 26 - 27.

[15] Ebd., S. 27.

[16] Zabeck, J.: Didaktik der Berufserziehung: Eprint 1984, S. 180.

[17] Ott, Bernd, S. 28.

[18] Beck, U., M. Brater u. H. Daheim: Soziologie der Arbeit und der Berufe: Grundlagen, Problemfelder, Forschungsergebnisse: Rowohlt 1980, S. 180.

[19] Brater, Michael: Ende des Taylorismus – Paradigmenwechsel in der Berufspädagogik? In: Neue Fabrikstrukturen – veränderte Qualifikationen: Ergebnisse eines Workshops zum Forschungsprojekt: „Förderung von Systemdenken und Zusammenhangsverständnis – Lernen und Arbeiten in Komplexen Fertigungsprozessen“. Hrsg. von U. Laur-Ernst: Bibb, Generalsekretär 1990. S. 83 - 90, S. 85.

[20] Ott, Bernd, S. 29 - 31.

[21] Ebd., S. 31.

[22] Ebd., S. 35.

[23] Ebd., S. 34.

[24] Ebd., S. 34 - 35.

[25] Ebd., S. 35 - 37.

[26] Ebd., S. 39.

[27] Lefrançois, G. R, P. K Leppmann u. W. F. Angermeier: Psychologie des Lernens: mit 13 Tabellen: Springer-Verlag GmbH 1994, S. 26 ff.

[28] Klüver, C. u. J. Klüver: Lehren, Lernen und Fachdidaktik: Theorie, Praxis und Forschungsergebnisse am Beispiel der Informatik: Vieweg+Teubner Verlag 2012, S. 59 ff.

[29] Ott, Bernd, S. 40 - 41.

[30] Ebd., S. 42 - 43.

[31] Ebd., S. 43 - 44.

[32] Aebli, H.: Zwölf Grundformen des Lehrens: eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Auflage 13, 2006: Klett-Cotta 1983, S. 182 ff.

[33] Ott, Bernd, S. 44.

[34] Ebd., S. 46.

Excerpt out of 95 pages

Details

Title
Kommunaler Ordnungsdienst. Einordnung und Entwicklung eines Berufsbildes sowie einer landeseinheitlichen Ausbildung
College
Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
Course
Puplic Management
Grade
1,7
Author
Year
2012
Pages
95
Catalog Number
V232957
ISBN (eBook)
9783656489405
ISBN (Book)
9783656490869
File size
816 KB
Language
German
Keywords
Gemeindevollzugsdienst, Baden-Württemberg, Kommunaler Ordnungsdienst, Polizeirecht, Kommunal, Polizeivollzugsdienst, Ausbildung, Konzept, Ludwigsburg
Quote paper
Christoph Balzer (Author), 2012, Kommunaler Ordnungsdienst. Einordnung und Entwicklung eines Berufsbildes sowie einer landeseinheitlichen Ausbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232957

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