Gebärden als Spracheinstieg für Kinder mit Trisomie 21


Bachelor Thesis, 2014

33 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprache und Kommunikation

3. Gebärdensysteme im Vergleich
3.1 Zur Entwicklung der Gebärden
3.2 Gebärdensysteme im Vergleich
3.3 Gebärden in der Unterstützten Kommunikation

4. Gebärden-unterstützte Kommunikation
4.1 Prodromale Fähigkeiten für den Einsatz von GuK
4.2 Aufbau und Material
4.3 Methodisches Vorgehen
4.4 Zielgruppen
4.5 Positive Auswirkungen

5. Menschen mit Trisomie 21 als Zielgruppe der Gebärdenunterstützten Kommunikation
5.1 Beschreibung eines Syndroms
5.2 Syndromspezifische Veränderungen bezüglich der Sprachentwicklung

6. Praktischer Teil
6.1 Theoretische Betrachtungen eines Interviews
6.2 Zur Durchführung und Reflexion des Interviews

7. Schlussbetrachtung und Ausblick

8. Anhang

9. Literatur- und Quellenverzeichnis

1.Einleitung

„Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und subjektiv für Lebensqualität von entscheidender Bedeutung. Sie ist eine wesentliche Bedingung für soziale Partizipation und Selbstbestimmung und zudem eine wichtige Grundlage jeder Entwicklung. Es besteht deshalb die Notwendigkeit, beeinträchtigten Kindern sowohl frühe entwicklungsbegleitende Hilfen zum Verstehen und Verständigen anzubieten als auch Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nicht hinreichend lautsprachlich verständigen können, Möglichkeiten ergänzender und ersetzender Kommunikationsformen zu vermitteln.“ (ETTA WILKEN 2006, S.1)

Das Arbeiten in integrativen und inklusiven Einrichtungen ist die Zukunft vieler Menschen. Das Bewältigen von abwechslungsreichen Situationen und breitgefächerten Problemen wird neben dem Lehren und Lernen den Berufsalltag dieser kreieren. In all diesen facettenreichen Aufgaben wird sich ein Konsens zeigen. Die Kommunikation durch verbale und non-verbale Ausdrucksmittel wird all das erzeugen und bewältigen. Nur findet man gerade im sonderpädagogischen Bereich ein Problem in der wechselseitigen Kommunikation. Etliche Formen von Beeinträchtigungen können das Sprechen und die Sprache der Schüler spezifizieren. Als Pädagoge oder Pädagogin1 gilt es einen einheitlichen Weg zu finden, möglichst für die gesamte Gruppe ein Ausdrucksmittel zu etablieren, welches benutzt und verstanden wird.

Die vorliegende Arbeit soll eine Alternative zu der lautsprachlichen Kommunikation vorstellen. Die Arbeit wird erläutern, wie positiv sich der Einsatz von Gebärden auf den Spracheinstieg und die Sprachentwicklung von Kindern auswirkt. Explizit wird die besondere genetische Bedingung des Down-Syndroms beschrieben. Kinder mit diesem Gendefekt gelten als exemplarische Zielgruppe der Gebärden-unterstützten Kommunikation nach Prof. Dr. ETTA WILKEN, Professorin für Allgemeine Behindertenpädagogik an der Leibnitz Universität Hannover.

Zunächst wird auf die Begriffe Sprache und Kommunikation eingegangen. Nach dieser Differenzierung folgt eine Darstellung verschiedener Gebärdensysteme und eine Abgrenzung des Schwerpunktes Gebärden-unterstützte Kommunikation von der Unterstützten Kommunikation. In Kapitel 4 wird der Einsatz, Vorgang und Erfolg des GuK-Systems genauer erläutert. Es folgen die Betrachtung des Down-Syndroms und ein abschließender praktischer Teil, der die Auswertung eines Interviews mit einer Expertin im Bereich der Gebärden-unterstützten Kommunikation enthält. Zur Verdeutlichung des Inhalts befinden sich im Anhang eine Bildsammlung und nützliche Adressen. ETTA WILKEN wird als Gründerin der Gebärden-Unterstützten Kommunikation und als literarischer Hauptbezugspunkt die Arbeit begleiten.

2.Sprache und Kommunikation

Eine Sprache zu erlernen ist ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung eines jeden Menschen. Von der Sprache zu unterscheiden ist die Ausführung dieser, das Sprechen. Diese beiden Fähigkeiten spiegeln sich im sozialen Kontext in der Kommunikation wider. Im Folgenden möchte ich die Unterschiede dieser drei Bereiche darstellen und verdeutlichen, wie bedeutsam es ist, Kommunikation für jedes Individuum unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu ermöglichen.

Unter Sprache versteht WILKEN ein „ speziesspezifisches Kommunikationssystem, das auf festgelegten Symbolen beruht…“ (2006, S. 53). Jede Spezies, sei das Mensch oder Tier, bedient sich festgelegter Symbole und wird somit Teil einer Sprachgemeinschaft. Diese Symbole repräsentieren Objekte, Ereignisse, Zeit oder Handlungen unabhängig davon, in welcher Form die Sprache auftritt. Somit ermöglicht jegliche Form von Sprache die kognitive Verarbeitung des Alltags (vgl. WILKEN 2010, S. 53). Nachdenken, grübeln, sich erinnern oder Dinge miteinander zu assoziieren geschieht alles durch eine formunabhängige Sprache im Kopf des Sprechers. Ein Kommunikationssystem entsteht dann wenn die Sprache produziert wird, wenn gesprochen wird. Das wohl bekannteste Zitat PAUL WATZLAWICK „ Man kann nicht nicht kommunizieren “ verweist darauf, dass nicht nur die Laut- oder Schriftsprache Instrumente der Sprache sind, sondern den Lebewesen auch nonverbale Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen. Mimik, Gestik und Körperhaltung sprechen Bände über die Stimmung oder den Gemütszustand einer Person. Mit diesem Verhalten bringen wie etwas zum Ausdruck, was andere Menschen verstehen und dadurch eine Mitteilung erhalten. Obwohl genau diese Kommunikationsformen über ein Gespräch entscheiden, befinden wir uns einer lautsprachlich orientierten Gesellschaft. Somit werden Menschen mit kommunikativen Beeinträchtigungen oft als dumm oder geistig beeinträchtigt eingestuft (vgl. WILKEN 1999, S. 151 und CROSSLEY 1997, S. 21). Abschließend soll das Zitat von Heidemarie Adams „Die Fähigkeit sprechen bzw. kommunizieren zu können wird als besonders wichtig für die Entwicklung des Kindes angesehen.“ (1996, S. 1) unterstreichen, wie wichtig es ist, schon jedem Kind den sprachlichen Zugang zur Welt zu ermöglichen. Nicht nur die Interaktionen die es führen wird, sind so bedeutsam, sondern auch die kognitive Entwicklung in Form von Verstehen und Verwenden verschiedenster Mitteilungsformen ermöglichen dem Kind einer uneingeschränkten Teilhabe am Leben.

3. Gebärdensysteme im Vergleich

3.1 Zur Entwicklung der Gebärden

Gebärden begegnen uns seit jeher in allen Teilen der Welt. Sie treten immer dann auf, wenn die Lautsprache nicht gesprochen werden kann oder darf. Der größte Benutzerkreis sind gehörlose und schwerhörige Menschen. Gebärden in Form von bewegten Händen, wurden jedoch auch von Urstämmen wie den Aborigines oder einigen nordamerikanischen Indianern genutzt. Werden Gebärden eingesetzt, um sich mitzuteilen und treten Menschen über sie in Kontakt miteinander, spricht man von Gebärdensprachen. Diese sind natürliche Sprachen, die von den Sprechern oder Signern2 selbst entwickelt und weitergegeben wurden. Die Anerkennung dieser visuell – manuellen Sprache (vgl. NONN 2011, S.47) nahm viel Zeit in Anspruch. Da sie dem lautsprachlichen – auditiven Sprachsystem gegenüber stand und somit nicht der Norm entsprach, existierte die Annahme, dass gehörlose Menschen „bildungsunfähig“ seien. Genauer genommen stand das Wort „taub“ für „dumm“. Um 1770 gründete Abbé de l´ Epée die erste Gehörlosenschule in Paris. Aufgrund seiner Überzeugungen bemühte er sich, seinen Schülern die französische Lautsprache beizubringen. Um die Lautsprache nicht zu gefährden, durften die Kinder in dieser Schule keine Gebärdensprache nutzen. Sie mussten sogar ihre Hände auf den Rücken nehmen um das Gebärden zu unterbinden. Wegen dieser Methoden nannte man die damaligen Lehrer "Oralisten" (vgl. NUßBECK 2007, S. 145ff). In Deutschland gründete Samuel Heinicke die erste Gehörlosenschule. Auch er versuchte die Schüler zur Lautsprache zu führen. Er lehrte die Laute, indem er Vibrationen am Kehlkopf der Schüler ertasten ließ, welche nachzuahmen waren. (vgl. ADAM 1996, S. 117-118). Im Jahr 1880 versammelten sich die "Oralisten" und "Taubstummenlehrer" zum Mailänder Kongreß . Es wurde beschlossen, dass der Einsatz von Gebärden an vielen europäischen Schulen verboten ist. Dieses offizielle Verbot führte zu privaten Gesprächen, unabhängig der öffentlichen Institutionen. Hier liegt der Ursprung für die bis heute vorhandenen regionalen Unterschiede der Gebärdensprache. Glücklicherweise wurde am 11. Mai 1987 das Institut für Deutsche Gebärdensprache3 und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg gegründet.4 Der große Erfolg ließ noch 15 Jahre auf sich warten, denn erst 2002 wurde die DGS durch die „Kommunikationshilfeverordnung“ als vollwertige Sprache anerkannt. Seither sollen Gebärdensprachlehrer und Dolmetscher die DGS verbreiten und vereinheitlichen. HÜNING - MEIER (2012, ohne Seite5 ) fasst die positiven Effekte wie folgt zusammen:

- Gebärden sind jederzeit und ortsunabhängig einsetzbar
- Sie dienen der schnellen und spontanen Kommunikation
- Sie besitzen ein hohes nonverbales Potential
- Motorische Ausführung kann unterstützt werden
- Oft verbessert sich die Aufmerksamkeit und der Blickkontakt durch den Einsatz von Gebärden
- Gebärden dienen der Sprachanbahnung und können bei wenig verbalem Vokabular einem Ausbau der Sprachfähigkeit dienen.

Diese Punkte stellen nur einen Auszug der positiven Seiten des Gebärdeneinsatzes dar.

3.2 Gebärdensysteme im Vergleich

Im vorherigen Kapitel wurde bereits die Geschichte der Gebärdensprache angerissen. Nun soll die Funktionsweise der Deutschen Gebärdensprache 6 erläutert werden. Die DGS ist eine eigenständige Sprache, somit besitzt auch sie eine eigene Grammatik und bedient sich nicht der der Lautsprache. Die DGS ist wie die deutsche Lautsprache kulturabhängig. Beide haben Dialekte (regionale Unterschiede) und Varietäten (gruppenspezifische Unterschiede). „ Frau “ wird zum Beispiel als Ohrring am Ohr, als Busen oder als Stöckelschuh gebärdet (vgl. WILKEN 2010, S. 73). Desweiteren handelt es sich um eine lebendige Sprache, welche ständig in Entwicklung ist und den Wortschatz andauernd aktualisiert. Die ersten Lexika, die „Blauen Bücher“, wurden 1994 von Maisch und Wisch zusammengestellt. Heute findet man viele verschiedene Erweiterungen.7 Die Gebärdensprache ist sehr komplex. Der ganze Körper des Signers wird als Kommunikationsmittel eingesetzt. Bedeutende Elemente dafür sind die Handstellung, die Handform, die Ausführungsstelle und die Bewegung. Diese manuellen Komponenten werden mit Armen und Händen ausgeführt. Demgegenüber stehen nicht-manuelle, Mittel, wie Mimik und Oberkörperhaltung, welche die Mitteilung unterstreichen. Eine Gebärde kann somit mehrere Informationen beinhalten. Eine anstrengende Fahrradfahrt kann durch die Ausführung der Gebärde8 und einer angestrengten Mimik mitgeteilt werden. Linguistisch sei zu betrachten, dass der Satzaufbau der Abfolge Subjekt – Objekt - Verb folgt. Der Satz „Eine Frau liest ein Buch“ wird dann FRAU – BUCH – LESEN gebärdet. Zeitangaben befinden sich am Satzanfang bzw. am Anfang einer Erzählung, während Fragewörter und Ortsangaben am Satzende gebärdet werden. Das Fingeralphabet dient dazu, dass Begriffe oder Eigennamen, welche der Gesprächspartner nicht kennt, daktiliert werden können (vgl. NUßBECK 2007, S.146 und NONN 2011, S.47). In den meisten Fällen haben Angehörige der Gehörlosenkultur, Städte, Firmennamen oder Ähnliches einen bestimmten Gebärdennamen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Gebärdensprache die Muttersprache der Gehörlosen ist und sie mit ihrer ganzen Grammatik und ihrer Lexik das sprachliche Grundgerüst stellt. Die folgenden Gebärdensysteme basieren auf der Grammatik der Lautsprache und werden somit allesamt durch Gebärden unterstützt.

In der Lautsprachbegleitenden Gebärdensprache, kurz LBG, werden die Gebärden simultan zu den Wörtern verrichtet. Sie bedient sich der Grammatik der Lautsprache und unterstreicht diese mit rudimentären Gebärden und ergänzenden Zeichen (vgl. NUßBECK 2007, S.146). Diese Visualisierung und Entschleunigung der Lautsprache bietet eine Verständigungshilfe zwischen hörenden und nicht-hörenden Menschen (vgl. WILKEN 2010, S.74). Die Lautunterstützenden Gebärden „übersetzen“ nur bedeutungstragende Wörter und unterstützen somit die Kommunikation. Hier geht es darum, dass der Inhalt der Botschaft verdeutlicht wird. An der Grammatik wird sich hier nicht orientiert. Es folgen Anweisungen wie EIS ESSEN und STADT (vgl. NONN 2011, S.48).

Bereits 1972 begann Ernst Blickle mit dem Einsatz von Gebärden. Er arbeitete in einer Einrichtung für gehörlose und hörgeschädigte Kinder mit einer geistigen Behinderung namens Haslachmühle . Gezielt suchte er nach brauchbaren Gebärden und vereinfachte diese. Diese Sammlung umfasst circa 700 Gebärden, die größtenteils aus dem Hamburger Gebärdenlexikon stammen und durch eine große Anzahl religiöser Gebärden geprägt sind. Da die Ansammlung von Gebärden an einigen Orten geschah, bildete sich Arbeitskreis „der verschiedene Sammlungen wieder vereinheitlichen sollte“ (vgl. LEBER und SPIEGELHAUER 2011, Begleitheft o.S.). Der Arbeitskreis des Verbandes evangelischer Einrichtungen erarbeite die Gebärdensammlung Schau doch meine Hände an. Im Vergleich zu den ursprünglichen Ausführungen der Deutschen Gebärdensprache, wurden die Gebärden in ihrer motorischen Ausführung vereinfacht („Einfache Gebärden“). 1994 wurde diese Sammlung erstmals veröffentlicht. 2008 erfolgte die Auflage mit DVD Ergänzung und einer Erweiterung um 300 Gebärden. Die Neuauflage wurde um moderne Themenbereiche wie Technik- und Arbeitswelt erweitert (vgl. NONN 2011, S.49).

In Großbritannien begann man Anfang der 70er Jahre vermehrt gehörlosen und zugleich geistig beeinträchtigten Kindern Gebärden beizubringen. Die British Sign Language wurde von den Wissenschaftlern Ma gret Walker, Ka thy Johnson und Ton y Conforth vereinfacht und als Makaton vervielfältigt. Diese Methode verbreitete sich schnell im englischsprachigen Raum und wurde erfolgreich angewendet (vgl. ADAM 1996, S.162 und www.makaton-deutschland.de)9 . GUDRUN SIEGEL begann das Makaton Material an die Deutsche Gebärdensprache anzupassen und übersetzte die Gebärden. Es handelt sich um 350 Grundvokabeln/Konzepte, die nach entwicklungspsychologischen Stufen eingeteilt sind. In 9 Lernstufen werden hier Gebärden und Bildsymbole miteinander kombiniert. Die grafischen Darstellungen sind zum Teil abstrakt und nicht eindeutig auf ihre Bedeutung zurückzuführen. Gudrun Siegel ist es laut Adam wichtig, dass die Reihenfolge der Lernstufen eingehalten wird. Die Stufen 1 – 6 beinhalten den Wortschatz eines viereinhalb-jährigen Kindes, während sich die Stufen 7 und 8 mit komplexeren Themen beschäftigen. Die letzte Stufe enthält Gebärden für spezielle Kategorien. „ Das Kernvokabular bildet die Grundlage des Förderansatzes. Das Ausbauvokabular ist viel größer, unlimitiert, nach Themen angeordnet und deckt das weitere Lebensfeld ab.“ , heißt es auf der Internetseite Makaton Deutschland. Ebendort spricht man von einem Aufbauvokabular mit 7000 Konzepten, welche nach Themen geordnet und dem Alltag individuell angepasst sind (vgl. Makaton Deutschland). ADAM hingegen äußert im ISAAC10 Magazin 2012, dass eine ausreichende Erweiterung des Materials bis heute nicht erfolgte und das Vokabular noch immer recht begrenzt sei. Überdies erhält man das Material nur über entsprechende Fortbildungen, was für die Verbreitung von Makaton in Deutschland ebenso hinderlich sei (vgl. ADAM 2012, ISAAC o.S.).

3.3 Gebärden in der Unterstützten Kommunikation

„UK ist eine Methode zur Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die noch nicht oder nicht mehr sprechen können. Kommunikation umfasst viel mehr als die rein motorische Fähigkeit des Sprechens, als Lautsprache.“ ( OTTO und WIMMER 2012, S.11).

Die Fähigkeit sich über (Laut-)Sprache auszudrücken ist nicht jedem Menschen gegeben. Gründe dafür können im gesamten Bereich liegen, welcher für die sprachlichen Fähigkeiten zuständig ist. Dazu zählen beispielsweise der kognitive oder der motorische Bereich. Die Unterstützte Kommunikation, kurz UK, dient der Ergänzung oder dem Ersatz der Lautsprache, um allen Personen die Möglichkeit zu geben, aktiver Teilnehmer von Kommunikationsprozessen zu werden. Ziel ist es, fehlende Funktionen weitestgehend herzustellen, um sich mitteilen zu können. Da es verschiedene Beeinträchtigungen bezüglich der Sprech- und Sprachfähigkeiten gibt, ist das Feld der UK-Nutzer sehr heterogen. Daraus folgt ein großes Spektrum an Hilfsmitteln und Möglichkeiten zur Unterstützung (vgl. NUßBECK 2007, S. 153). Diese sind in drei Kategorien zu teilen. Die elektronischen oder technischen Hilfsmittel sind meist verschieden komplexe Sprachausgabegeräte. Sehr beliebt sind hier der SuperTalker , der GoTalk , der BigMack oder viele ähnliche Geräte. Zu diesen elektronischen Hilfen zählen auch sogenannte Ansteuerungshilfen, wie Joysticks oder Bildschirmtastaturen. Diese Möglichkeiten beinhalten nicht nur Fingerstützen zum Betätigen von Tasten, sondern auch Geräte die Blicke oder Geräusche nutzen. Grafische Symbole, wie Fotos oder Bildkarten, Kommunikationstafeln, verschiedene Ablaufpläne oder ein „Ich-Buch“ sind bekannte Beispiele für die nicht-elektronischen Hilfsmittel. Die dritte Form ist die körpereigene Kommunikationsform. Laut ISAAC benutzt man die Atmung, die Muskelspannung, Körperhaltung, verschiedene Lautäußerungen, Zeige- und Blickbewegungen, individuelle Zeichen und Gebärden. Der Gebärdeneinsatz konnte schnell große Erfolge erzielen und wird mittlerweile als unabhängige Sprachförderung angesehen. Die Pädagogin ETTA WILKEN beschäftige sich ausgiebig mit diesem Bereich der Hilfestellung und entwickelte die Gebärdenunterstützende Kommunikation.

4. Gebärden-unterstützte Kommunikation

Um Menschen mit geistiger Behinderung den Zugang zur gesprochenen Sprache zu erleichtern, werden seit über 50 Jahren Gebärden eingesetzt (ADAM in ISAAC 2012, o.S.). Vom Namen kann man ableiten, dass die Gebärden angewendet werden um die Kommunikation zu unterstützen. Ziel ist es, die inhaltliche Erschließung einer Botschaft zu erleichtern und Menschen ohne ausreichende Zugänge zur Lautsprache, die Möglichkeit zu geben, sich mitzuteilen. Um die komplexen Regeln der Grammatik ebenfalls zu vereinfachen, werden nicht alle grammatischen Strukturen in Gebärden umgesetzt, sondern vor allem bedeutungstragende Wörter.

Im Jahr 2000 wurde die Gebärden-unterstützte Kommunikation, kurz GuK, von Professorin ETTA WILKEN entwickelt. Bei der Anwendung bewährte sich das System besonders bei Kindern mit Down-Syndrom. Bevor sie Syndrom beginnen, Zwei-Wort-Sätze zu sprechen, benötigen sie einen Wortschatz von 80-100 Wörtern, bei Kindern ohne Beeinträchtigung sind es nur 50. In der Regel benutzt ein Kind mit Down-Syndrom erste Mehrwortsätze im Alter von 4 Jahren (vgl. WILKEN 2010, S.67). Um all dem Ausdruck verleihen zu können, was die Kinder bis zu ihrem 4.Lebensjahr erlebten und besprechen wollen, begann ETTA WILKEN vereinfachte Gebärden in die Interaktion mit Kleinkindern einzubauen und eröffnete hier etlichen Familien eine neue Form der Kommunikation.

4.1 Prodromale Fähigkeiten für den Einsatz der GuK

Um mit den Gebärden zu beginnen sollte allen Bezugspersonen, die individuellen Voraussetzungen und die syndromspezifische Beeinträchtigungen des Kindes klar sein (WILKEN in Leben mit Down-Syndrom Januar 2010, Nr.63). Mit folgender Liste definiert WILKEN die Entwicklungsstufe, die erreicht sein sollte um erste ergänzende Zeichen einzusetzen:

­ lächeln
­ „vegetative“ Laute, Lallen und das dialogische Echo
­ Auditiv – visuelle Aufmerksamkeit (Blickkontakt)
­ Wechselseitiges Handeln (turn-taking)
­ Gemeinsames Spielen und sensorische Integration
­ Situationsverständnis und Objektpermanenz
­ Entwicklung von Vorstellungen und Erwartungen ( Kind bekommt Mütze auf und weiß, dass es in den Kindergarten geht und macht dies deutlich)
­ Imitieren von Handlungen und Lauten („Babbling Drift“)
­ Symbolverständnis, kommunikative Rituale und erste Gesten (Teddybär, Guten-Nacht-Lied von Mama – es geht Schlafen, Kind reagiert vielleicht, indem es sich die Augen reibt)
­ Sprachverständnis
­ Pragmatische Fähigkeiten (Zum Abschied wird gewunken - „winke winke“)

Das Kind hat nun die Möglichkeit ein präverbales Kommunikationssystem zu erwerben in dem im Kontext und somit handlungsbezogen erste Gebärden eingesetzt werden. Die Visualisierung des Gesprochenen fördert das aufmerksame Hinsehen und erleichtert das Sprachverständnis des Kindes. Die Bezugspersonen müssen keine Hemmung vor dem Gebärdeneinsatz haben. Wichtig ist es, dass sich alle Kommunikationspartner vor Augen halten, dass Gespräche gleichberechtigt ablaufen und dass die Verständigung miteinander, die beste Sprachförderung darstellt. (vgl. WILKEN 2006, S.11)

4.2 Aufbau und Material

Mit der Idee der Gebärden-unterstützten Kommunikation entwickelte ETTA WILKEN einen „GuK – Kasten“. Die verwendeten Gebärden sind an das Sortiment von den „Schau dir meine Hände“ Büchern angelehnt. Circa 100 dieser Gebärden wurden ausgewählt und kindgerecht auf den Bildkarten dargestellt. Die GuK-Kästen gibt es in verschiedenen Ausführungen. Jeder Nutzer wird mit dem Grundwortschatz GuK 1 beginnen und ihn durch den Aufbauwortschatzes des GuK 2 ergänzen. Der Aufbauwortschatz wurde entwickelt, um den schulischen Bereich mit Gebärden abzudecken. Nach dem Erfolg des GuK 1 Kasten sollten auch Kinder im Schulalter von diesem System alters- und entwicklungsgerecht profitieren können. Bei der Erweiterung wurde sich zunehmend an den Gebärden der Deutschen Gebärdensprache orientiert und nicht mehr an den (motorisch gesehen) „einfachen Gebärden“ (vgl. WILKEN in Leben mit Down Syndrom, Januar 2003, Nr.42). Erhältlich sind auch noch sogenannte GuKplus Kästen mit gesonderten Themen wie Weihnachten . In all diesen Kästen befinden sich stabile Karten in Postkartengröße. Hier findet man drei verschiedene Kartensorten. Es gibt Gebärdenkarten, Bildkarten und Wortkarten. Ergänzend bieten die CDs eine alphabetische Anordnung der Wörter. Der GuK 1 beinhaltet bspw. ein Wortverzeichnis von Affe bis Wurst. Die Wortkarten kann man je nach Bedarf spielerisch einsetzen, um das frühe Lesen zu lernen. Inhaltlich kann man die Karten ideal dazu nutzen, Oberbegriffe oder Kategorien zu bilden ( Tiere, Essen, Geburtstag, Familie …). Auf den Gebärdenkarten sind oft blaue Pfeile abgebildet. Diese stehen für den Bewegungsablauf oder die Bewegungsrichtung. Auf Abbildung 2 im Anhang sieht man die drei Karten für JACKE. Die blauen Pfeile weisen darauf hin, dass man die Bewegung des „darüber ziehen“ nachahmt. Dabei geht die rechte Hand zu der linken Brust und umgedreht.

Viele der Gebärden repräsentieren Begriffsfelder. Es kommt häufig vor, dass eine Gebärde in der Praxis für mehrere Begriffe eingesetzt wird. Ein Beispiel dafür ist SÜß. Hier streicht der Zeigefinger von der Nase nach unten über die Lippen. Diese Gebärde wird ebenfalls für Süßigkeiten oder Liebkosungen eingesetzt. Weiterhin werden einige Substantive genauso gebärdet wie die dazugehörigen Verben. Ein klassisches Beispiel ist ESSEN oder AUTO und FAHREN. Das Arbeitsmaterial GuK 1 und 2 kann somit jeweils 300 Gebärden abdecken.

Wie bereits angerissen sollte der Gebärdeneinsatz gut und kindgerecht in den Alltag eingebaut werden. Diesbezüglich folgt nun die Erläuterung einige Praxismöglichkeiten.

Da der Einsatz im Kleinkindalter beginnt, liegt es auf der Hand, das Anlernen der Gebärden spielerisch zu begleiten. Übergestikulierte, theatralische, aber kindgerechte Darstellungen werden die Aufmerksamkeit des Kindes einfangen. Bereits bei diesen spielerischen Übungen ist die Begleitung der Lautsprache sehr zu empfehlen. Besonders vorteilhaft ist es, dass man nahezu alle Spiele auch mit Gebärden spielen kann. Eine Variante des Gebärden-Memory wäre das Symbol der aufgedeckten Karten zu gebärden. Bastelliebhaber könnten das GuK Material nutzen und Memory Paare aus einer Gebärden- und einer Bildkarte bilden. Bei Mein rechter Platz ist frei kann sich jedes Kind seinen Gebärdennamen aussuchen und diesen im Spiel zu den normalen Regeln benutzen. Eine weitere Variante wäre es vor jedem Spiel eine Kategorie zu wählen, zum Beispiel Obst, und jeder Spieler reagiert auf seine „Obst-Gebärde“. Interessant ist auch das Spiel Ich packe meinen Koffer, in welchem nun nur noch gebärdet wird. Interessant wäre hier der Vergleich, ob man sich durch die visuelle Unterstützung der Gebärden mehr Gegenstände merken kann.

Gerade bei Kindern mit Down-Syndrom bietet es sich an, Musik und Lieder mit Gebärden zu umrahmen. Es steht einem frei, ob man Lieblingsliederbücher mit Bildern von Gebärden ergänzt oder ob man im Singkreis langsam vereinzelte Gebärden einführt. Mittlerweile kann man auch einige Gebärden-Liederbücher kaufen. Diese Bücher beinhalten Liedtexte, Notenzeilen und Fotos, auf welchen Kinder die Gebärden darstellen. Mit den Händen singen oder Hände auf Reisen sind zwei von diesen Büchern. Bilderbücher können ebenso gut für den Gebärdeneinsatz modifiziert werden. Beim Lesen gibt es viele Möglichkeiten Gebärden einzubringen, zusammen auszuführen oder die Bilder des Buches begleitend zu den Gebärden zu benutzen.

Eine Optimierung der Bilderbuchnutzung in der Gebärden-unterstützten Kommunikation sind die GuK Bücher und der AnyBook Reader. Das Bilderbuch „ Und nun? Lisa und Tom haben viele Ideen. Ein GuK Bilderbuch.“, erzählt verschiedene Kurzgeschichten von Lisa und Tom. Der Illustrator WOLFGANG HALDER gestalte bereits die GuK Karten wodurch die Kinder Lisa und Tom wiedererkennen können. Am Ende des Buches ist eine Übersicht der benötigten Gebärdenkarten. Hier zeigen die Kinder die wichtigen Gebärden nochmal, welche im Fließtext unterstrichen sind. In jeder Geschichte schaut man der Familie bei Alltagssituationen zu. Die Erzählung wird in einfacher Sprache geschrieben und durch farbenfrohe Bilder verstärkt. Die Kinder sollen beim Anschauen mit ihren Eltern einen Dialog führen, bei welchem sie im besten Falle die Situationen wiedererkennen. Da die unterstrichenen Wörter dazu einladen, die Gebärden gemeinsam zu üben, wird das Kind im Idealfall die Situation aus der Geschichte mit seinem Leben verknüpfen können und auch die Gebärden einsetzen. Am Ende jeder Geschichte wurden bewusst Fragen eingebaut. Dies soll die Gelegenheit geben einen Dialog zu erproben und die Gebärden der letzten Seiten zu wiederholen (WILKEN und HALDER 2013,o.S.).

[...]


1 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird, aufgrund der besseren Übersichtlichkeit, auf die Nennung der femininen Form verzichtet und nur die maskuline Form gebraucht. Diese schließt trotzdem alle Geschlechterformen mit ein.

2 Als Signer werden Menschen bezeichnet, welche die Gebärdensprache nutzen. Sign ist das Zeichen.

3 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden, aufgrund der Übersichtlichkeit und Länge, die Abkürzungen der verschiedenen Gebärdensysteme verwendet. Diese werden auch in der Fachliteratur genutzt.

4 http://www.idgs.uni-hamburg.de/de/ueber-das-institut/geschichte.html

5 „Ohne Seite“ wird im weiteren Verlauf mit „o.S.“ abgekürzt.

6 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird des Öfteren die Abkürzung DGS für Deutsche Gebärdensprache eingesetzt werden

7 Im Anhang befindet sich eine Übersicht zu verschiedenen Gebärdensammlungen.

8 das Treten der Pedale wird mit den Händen nachgestellt

9 http://www.makaton-deutschland.de/011makaton.html 03.08.2014

10 Die Abkürzung I SAAC steht für International society of augmentative and alternative communication. Auch die sich in Deutschland befindende Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. nutzt dieses internationale Kürzel um sich zu benennen. ISAAC ist die international Vereinigung von Betroffenen, Interessenten, Pädagogen und Wissenschaftlern, die sich hinsichtlich der Unterstützten Kommunikation gefunden haben.

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Details

Title
Gebärden als Spracheinstieg für Kinder mit Trisomie 21
College
University of Erfurt  (Erziehungswissenschaftliche Fakultät)
Grade
1,7
Author
Year
2014
Pages
33
Catalog Number
V1119947
ISBN (eBook)
9783346485618
ISBN (Book)
9783346485625
Language
German
Notes
Die Autor_in würde den Text heute gendern und vom Begriff Down-Syndrom absehen. Aktueller und der Community gerechter werdend ist der Begriff Trisomie 21. Anm.: Der Anhang ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten
Keywords
Inklusion, Down Syndrom, Trisomie21, Sonderpädagogik, Gebärden, Gebärdensprache, Unterstütze Kommunikation, Nonverbale Kommunikation, Behinderung, Teilhabe, Unterricht, Spracherwerb, Kommunikation
Quote paper
Franziska Pilz (Author), 2014, Gebärden als Spracheinstieg für Kinder mit Trisomie 21, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1119947

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